Scholz zum Jahrestag des 20. Juli 1944: „Demokratie ist auf unseren unermüdlichen Einsatz angewiesen“

Bundespräsident Steinmeier, Kanzler Scholz und Minister Pistorius waren unter den prominentesten Teilnehmern des Gedenkens aus Anlass des 80. Jahrestages des 20. Juli 1944 in Berlin. In der Geschichte der Bundesrepublik war der Umgang mit der Stauffenberg-Gruppe uneinheitlich.
Der Kanzler würdigte den Mut aller Widerstandskämpfer gegen die NS-Diktatur.
Der Kanzler würdigte den Mut aller Widerstandskämpfer gegen die NS-Diktatur.Foto: Hannes P. Albert/dpa
Von 20. Juli 2024

Am Samstag, 20. Juli, jährte sich zum mittlerweile 80. Mal das Attentat der Verschwörergruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg gegen den nationalsozialistischen deutschen Diktator Adolf Hitler. Im Berliner Bendlerblock hat aus diesem Anlass ein feierliches Gelöbnis von rund 400 Rekruten der Bundeswehr stattgefunden. Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Gedenken an die Widerständler eine Rede gehalten und gemeinsam mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen Kranz niedergelegt.

Seit 1999 finden diese entweder am Berliner Bendlerblock oder am Reichstagsgebäude statt. Der Bendlerblock, wo 1944 Stauffenberg und viele Mitverschwörer hingerichtet wurden, steht im Besitz des Bundesverteidigungsministeriums.

Scholz ruft zu mehr Respekt auf

In diesem Jahr war Scholz zudem zur Ehrenrede zum Gelöbnis für die Rekruten eingeteilt, Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius nahm die Gelöbnisansprache vor. Zur Feierstunde am Vormittag waren zudem auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig und Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner anwesend.

Kanzler Scholz rief in seiner Ansprache zur „Verteidigung der Demokratie auf“. Diese sei „auf unseren unermüdlichen Einsatz angewiesen“. Es sei erforderlich, dass „wir jeder Art von Menschenfeindlichkeit und jedem Extremismus entgegentreten“.

Scholz mahnte mehr Respekt im wechselseitigen Umgang im Alltag an. Er rief zudem zur Unterstützung von Einsatzkräften wie Polizei, Feuerwehr oder THW „und natürlich auch unserer Bundeswehr“ auf. Ferner gebe es eine eindeutige Mahnung aus dem 20. Juli 1944:

„Diejenigen, die unsere Demokratie bekämpfen, werden stets auf unseren entschiedenen Widerstand treffen.“

Erst mit dem Remer-Prozess erfuhr der 20. Juli eine grundlegende Neubewertung

Während die Verschwörer vom 20. Juli in den ersten Jahren der Bundesrepublik in weiten Teilen der Bevölkerung als „Landesverräter“ geschmäht wurden, erfuhr ihr Handeln in späteren Jahrzehnten eine positive Bewertung. Eine Wende bewirkte dabei in erster Linie der Prozess gegen den Generalmajor Otto Ernst Remer im Jahr 1952.

Dieser hatte auf persönlichen Befehl Hitlers den Aufstand niederschlagen lassen und nach dem Krieg öffentlichkeitswirksam an seiner nationalsozialistischen Überzeugung festgehalten. Angeklagt war Remer wegen übler Nachrede und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, nachdem er die Verschwörer als „Landesverräter“ geschmäht hatte. Das Braunschweiger Landgericht verurteilte ihn dafür zu drei Monaten Haft.

Das Bedeutendste an dem Prozess war jedoch, dass in der Urteilsbegründung das NS-Regime als „Unrechtsstaat“ benannt wurde, gegenüber dem vonseiten seiner Beamten und Soldaten keine Loyalitätspflicht bestanden habe. Damit war der Vorwurf des „Landesverrats“ aus Sicht der bundesdeutschen Rechtsordnung vom Tisch. In weiterer Folge bezogen sich Politik, Bundeswehr und andere gesellschaftliche Institutionen zunehmend in positiver Weise auf den 20. Juli.

DDR betonte ideologische Verstrickung der Attentäter in die nazistische Ideologie

In der DDR war die Rezeption des Attentats kritischer – und bisweilen ambivalent. Einige Zeitzeugen berichten, dass die Verschwörer durch das staatliche Bildungssystem vereinnahmt und als Sympathisanten des kommunistischen Widerstands dargestellt wurden. Andere weisen darauf hin, dass nicht zuletzt in Publizistik und Forschung der DDR die ideologische Verstrickung vieler Personen aus der Stauffenberg-Gruppe zum Thema gemacht wurde.

Dass zahlreiche spätere Verschwörer vom 20. Juli zuvor keine Einwände gegen die nationalsozialistische Rassenpolitik, deren Antisemitismus und den Vernichtungskrieg im Osten erkennen ließen, ist auch unter Historikern wenig umstritten. Einigen von ihnen wird sogar eine Beteiligung an nationalsozialistischen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zugeschrieben. Auch die „Untermenschen“-Ideologie, die der Nationalsozialismus mit Blick auf Osteuropäer und insbesondere Sowjetbürger kultivierte, hätten die Beteiligten nicht beanstandet.

Den Krieg um „Lebensraum“ im Osten als solchem sollen viele der aus der Aristokratie stammenden 20.-Juli-Verschwörer dem Grunde nach gutgeheißen haben. Für viele stellte dieser, so Historiker Stephan Malinowski, eine Wiederbelebung der Kolonisierung des Ostens Europas durch den Deutschen Ritterorden im Mittelalter dar.

Historiker weisen auf indifferente Haltung zum Antisemitismus hin

Der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, Peter Steinbach, wies 2016 gegenüber dem „Deutschlandfunk“ auf Stauffenbergs ausgeprägten Antisemitismus hin, der sich zumindest bis Ende der 1930er-Jahre nachweisen lässt.

Außerdem nennt er Namen wie Arthur Nebe, Wolf-Heinrich von Helldorff oder Axel von dem Bussche. Diese hätten sich zum Teil massiv durch Schikanen gegen Juden oder Verbrechen an der Ostfront hervorgetan.

In einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion im Bundestag aus dem Jahr 2006 wird auch auf Kriegsverbrechen im Rahmen der Partisanenbekämpfung und die Verschickung von Zwangsarbeitern hingewiesen, die Wehrmacht-Generalmajor Henning von Tresckow zugeschrieben werden. Als Quelle nannte diese unter anderem namhafte Historiker wie Hans Mommsen. Einige der Offiziere sollen sich noch zu einem Zeitpunkt an Kriegsverbrechen unter anderem in der Sowjetunion beteiligt haben, als sie ihren Entschluss zum Attentat auf Hitler längst gefasst hätten.

„Aufstand des Gewissens“ – oder Eigennutz als Triebfeder?

Dies legt aus Sicht von Kritikern des Gedenkens der Verschwörer vom 20. Juli 1944 den Gedanken nahe, dass das Gewissen bei vielen nur bedingt eine Rolle beim Tatentschluss gespielt habe. Vielmehr sei es bei vielen der Unmut über die sich zunehmend verschlechternde Lage für die Wehrmacht im Krieg gewesen, der sie zum Widerstand gegen Hitler trieb. Zudem soll es darum gegangen sein, Deutschland eine bessere Behandlung durch die Siegermächte nach einem verlorenen Krieg zu sichern.

Für Historiker Steinbach steht fest, dass jedenfalls der eliminatorische Antisemitismus der nationalsozialistischen Führung nicht der entscheidende Impuls für die Attentatspläne war. Lediglich einige religiös-christliche Kreise seien „im Grunde sofort relativ früh dem ideologischen Rassenantisemitismus entgegengetreten“. Dies gelte zum Teil auch für den Adel, bestätigt Malinowski – auf den katholischen bayerischen Adel habe dies eher zugetroffen als auf den protestantischen preußischen.

In vielen Kreisen des Adels habe man sich zudem phasenweise mit den Nationalsozialisten arrangiert, weil man gleiche Feindbilder teilte. Abneigung gegen Hitler und dessen Parteigänger regte sich hauptsächlich deshalb, weil man gegen die untere Mittelschicht, die sich vorwiegend von der NSDAP angesprochen fühlte, Vorbehalte hatte. Eine egalitäre Demokratie sei auch nicht das Ziel der Attentäter für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen, betonte Malinowski.

Beliebigkeit der Narrative zum 20. Juli

In den vergangenen Jahren mehrte sich zunehmend auch öffentliche Kritik an einer Art Entwertung des Widerstands durch beliebige Aneignung. Historikerin Ruth Hoffmann äußerte gegenüber dem NDR:

„Wenn man so will, haben sich im Laufe der Zeit die unterschiedlichsten politischen Gruppierungen immer das aus dem 20. Juli herausgepickt, was ihnen gerade in den Kram passte und was zu ihrer jeweiligen politischen Agenda oder ihrer jeweiligen Botschaft passte.“

Als Beispiel dafür nannte sie die AfD und Corona-Maßnahmengegner, die sich selbst zu legitimen Erben der Stauffenberg-Gruppe stilisierten. Ihr Narrativ stütze sich unter anderem darauf, dass es sich bei den Verschwörern des 20. Juli um „Patrioten“ gehandelt hätte, die sich gegen ein „unfreies System“ wehrten.

Bundeskanzler Scholz wiederum hat mit den „tapferen Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine“, die „seit mehr als zwei Jahren dem verbrecherischen russischen Angriffskrieg widerstehen“, seine Erzählung zum Tag gefunden. In Berlin äußerte er heute:

„Schon aus der Verantwortung vor unserer eigenen Geschichte kann es in dieser Lage für Deutschland nur einen Platz geben: An der Seite der Ukraine.“



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