Scholz und Merz bringen sich vor Bundestagswahl in Stellung – enden beide in Großer Koalition?
Die beiden wahrscheinlichen Kanzlerkandidaten von SPD und Union zur Bundestagswahl 2025, Olaf Scholz und Friedrich Merz, haben sich am Sonntag, 23. Juni, ein erstes Fernduell geliefert. Während der Amtsinhaber im Rahmen seines „Sommerinterviews“ der ARD Rede und Antwort stand, fand das Gespräch mit Merz im ZDF statt.
Keine potenzielle Koalitionsvariante in der Bevölkerung beliebt
Es ist noch mehr als ein Jahr Zeit bis zur Bundestagswahl, und neben drei Landtagswahlen im Osten wird davor noch eine Bürgerschaftswahl in Hamburg stattfinden. Vor allem für die SPD dürfte die Wahl im Stadtstaat, in dem Olaf Scholz einst als Regierender Bürgermeister fungierte, eine letzte Chance sein, Zeichen zu setzen. In Thüringen und Sachsen wird die Partei im einstelligen Bereich gehandelt.
Scholz gibt sich trotz des schlechten Ergebnisses seiner Partei bei der EU-Wahl und der verheerenden Umfrageergebnisse sicher, die Bundestagswahl gewinnen und die Ampel weiterführen zu können. Dabei sind – mit Ausnahme der Grünen – nicht einmal die Anhänger der Ampelparteien selbst mit dieser Konstellation zufrieden.
Die beliebteste Koalitionsvariante in der Bevölkerung, sofern man bei 20 Prozent Zustimmung davon sprechen kann, war vor knapp zwei Monaten die Große Koalition zwischen Union und SPD. Alle anderen Varianten waren noch deutlich unbeliebter und es ist wenig wahrscheinlich, dass sich Substanzielles daran geändert hat. Unklar ist, ob es für Union und SPD 2025 zu einer gemeinsamen Mehrheit reichen würde.
Scholz will Ukrainepolitik diskutieren – aber nicht ändern
Der Kanzler zeigt sich in einigen Bereichen auch selbstkritisch. Unter anderem machte er in seinem „Sommerinterview“ deutlich, dass er Teile der Corona-Politik in Deutschland aus heutiger Sicht als verfehlt erachte. In diesem Zusammenhang brachte er eine Aufarbeitung im Rahmen von Bürgerräten ins Spiel, wo Bürger zusammen mit Abgeordneten und Experten die Entscheidungen erörtern würden. Es sei „sicherlich nicht die richtige Entscheidung“ gewesen, dass in Deutschland „die Schulen mehr geschlossen“ worden seien als in anderen Ländern, so der Kanzler.
Scholz will zudem – ungeachtet einer Blockadehaltung der FDP – den Sozialstaat weiterentwickeln. Dazu solle der Mindestlohn weiter steigen und eine Stabilisierung der Renten abgesichert werden. Auch ein höheres Kindergeld bringt der Kanzler ins Spiel – sowie mehr „Treffsicherheit“ beim Bürgergeld. Ob die SPD damit Gewinnerthemen bespielt, wird sich weisen.
Außerdem räumte der Kanzler ein, dass Unzufriedenheit mit der Ukrainepolitik und den Russlandsanktionen Gründe für die jüngsten Wahlergebnisse seien. Er wolle darüber zwar „im Osten und im Westen diskutieren“. Es gebe jedoch „nicht die Alternative, dass wir das ändern“.
Eskalationsrhetorik in der Außenpolitik zurückgefahren
Friedrich Merz versuchte demgegenüber, dem Ruf der Union als Eskalationspartei im Ukrainekonflikt entgegenzuwirken. CDU und CSU haben sich bei der EU-Wahl und in Umfragen bei zusammen 30 Prozent festgesetzt und sind damit klar stärkste Kraft. Allerdings stellen die 30 Prozent derzeit auch eine Art gläserne Decke dar. Von Ergebnissen der Merkel- oder Kohl-Ära ist die Union damit weit entfernt.
Ein Grund dafür ist auch die fehlende Unterstützung für den Ukrainekurs der Union im Osten des Landes. Es gebe zwar einen Konsens darüber, dass man dem Land „weiter helfen“ müsse, betonte Merz im „Sommerinterview“, allerdings wolle er mit Blick auf die Frage nach Taurus-Marschflugkörper-Lieferungen im Falle einer Unionsregierung „ungern Was-wäre-wenn-Fragen“ beantworten.
Stattdessen beteuerte Merz, er gebe Kritikern wie dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer „auch Raum im Präsidium der Partei“. Außenpolitik müsse „immer auch ein Stück Ungewissheit vermitteln an das jeweilige Gegenüber“, äußerte der CDU-Chef weiter. Außerdem seien ja die Uneinigkeit der Ampel und deren Weigerung, den Oppositionsführer einzubinden, mitverantwortlich für die Debatten.
Merz arrangiert sich mit Realitäten im Osten – und relativiert „Nein“ zu Bündnissen mit BSW
Als Hauptargument kommunizierte Merz im „Sommerinterview“, die Union sei die letzte Hoffnung gegen die AfD. Tatsächlich schafft es die Union nunmehr bereits seit mehreren Jahren, Wählerverluste in deren Richtung in engen Grenzen zu halten. Ähnlich wie die Grünen können CDU und CSU auf ein loyales Stammwählerpotenzial setzen, das verlässlich zur Wahl geht.
Offen bleibt jeweils die Frage, wie viele Wähler man jeweils auf diese Stammwählerschaft draufsatteln kann. Hier stößt die Union vorwiegend im Osten auf Grenzen. Mit Blick auf die Landtagswahlen im September appelliert Merz nun an die Wähler der Ampelparteien, der Union ihre Stimme zu geben, um erste Plätze für die AfD zu verhindern. In den Jahren 2019 und 2021 verfing diese Strategie immerhin bereits in Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Eine weitere Realität, mit der sich die Union vor allem im Osten auseinandersetzen muss, ist das Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW). Mit Blick auf die zu erwartenden Mehrheitsverhältnisse nach den Landtagswahlen beginnt Merz bereits von seiner Position zurückzurudern, keine Bündnisse mit der neuen, als linkskonservativ geltenden Kraft einzugehen.
Diese Ansage gelte lediglich für den Bund. In den Bundesländern müssten die Verbände über mögliche Koalitionen mit der Wagenknecht-Partei selbst entscheiden. Die neue Partei, die von ehemaligen Mitgliedern der Linkspartei gegründet worden war, hatte in mehreren Ostbundesländern bei der EU-Wahl zweistellige Ergebnisse erzielt. Bei den Landtagswahlen werden ihr ähnliche Resultate zugetraut. Vor allem im Fall eines Scheiterns mehrerer Ampelparteien an der Fünf-Prozent-Hürde könnten Mehrheiten gegen die AfD in einigen Bundesländern nur mit dem BSW zu bewerkstelligen sein.
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