Scholz stellt neue Industrie-Agenda in Aussicht – Arbeitgeber signalisieren geringe Erfolgserwartung

Zur 75-Jahr-Feier des Bestehens des Außenhandelsverbandes BGA waren die Spitzen der Ampelkoalition erschienen. Bundeskanzler Scholz stellte dabei eine neue Industrie-Agenda, günstigere Energiepreise und mehr Freihandel in Aussicht. Bei Gesamtmetall ist man skeptisch.
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Bundeskanzler Olaf Scholz (Archivbild).Foto: Tobias Schwarz/AFP via Getty Images
Von 3. Oktober 2024

Am Dienstag, 1. Oktober, hat der Bundesverband Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen (BGA) sein 75-jähriges Bestandsjubiläum gefeiert. Neben Mitgliedern und befreundeten Verbänden waren auch die Spitzen der Ampelkoalition bei dem „Unternehmertag“ anwesend, der aus diesem Anlass über die Bühne ging. Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Gelegenheit genutzt, um einen Anlauf der Bundesregierung in Richtung einer neuen Industrie-Agenda anzukündigen.

Verbandschef mahnt zu Rückbau politischer Regulierungen

Zuvor hatte BGA-Chef Dirk Jandura in einer Rede Kritik an einer Politik in Berlin und Brüssel geübt, die dem Handel das Leben schwer mache:

Wir Händler halten das Land am Laufen. Aber wir können nicht mehr: Berichtspflichten ohne Ende, veraltete Infrastruktur, eine Europäische Union, die im globalen Wettbewerb nicht mithalten kann. Wir wollen handeln für Deutschland – dafür brauchen wir die Freiheit, es auch tun zu können.“

An die Adresse des Kanzlers richtete Jandura den Appell, Investitionen in die richtigen Rahmenbedingungen zu veranlassen, statt auf einzelne Unternehmen zu setzen. Wolle die Politik perspektivisch das Überleben des Handels sicherstellen, müsse sie auch die Vielzahl an Regulierungen abbauen. Wörtlich erklärte Jandura:

Bitte lassen Sie uns in Ruhe, aber lassen Sie uns nicht im Stich.“

Scholz stellt Drosselung der Energiepreise für die Industrie in Aussicht

In seiner eigenen Ansprache ging Scholz auf Ängste der Wirtschaft ein, die ohnehin schon zu hohen Energiepreise könnten noch weiter steigen. Der Kanzler kündigte eine neue industriepolitische Agenda an. Diese werde dafür sorgen, dass auch der Netzausbau zugunsten der erneuerbaren Energien die Unternehmen nicht durch noch höhere Übertragungsnetzentgelte überfordern werde.

Schon allein die Unsicherheit aufgrund dieses Faktors schade, so Scholz. Er werde jedoch dafür sorgen, dass diese nicht noch weiter anstiegen. Bereits im Dezember des Vorjahres hatten Stadtwerke angekündigt, ihre Abschläge 2024 deutlich zu erhöhen, weil die Netzentgelte deutlich höher würden.

Die haushaltspolitischen Engpässe der Ampel infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse war auch am Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) nicht spurlos vorübergegangen. Aus diesem hatte die Ampelkoalition bisher ihre Preisbremsen finanziert.

Intel-Subventionen zur Stabilisierung der Netzentgelte verwendet?

Aus dem WSF sollten 5,5 Milliarden Euro zur Stabilisierung der Netzentgelte fließen. Diesen Posten hatte man aufgrund der neuen Herausforderungen nicht mehr im Haushalt vorgesehen. Ohne den Zuschuss haben sich die Netzentgelte jedoch von 3,12 auf 6,43 Cent pro Kilowattstunde mehr als verdoppelt.

Das Ende der Fahnenstange ist dabei noch nicht abzusehen. Immerhin steigt auch die Summe der Zeiten mit negativen Strompreisen. Für diese müssen die Netzbetreiber die garantierten Einspeisevergütungen an die Produzenten der Erneuerbaren bezahlen – und werden von der öffentlichen Hand dafür entschädigt.

Scholz ist sich jedoch sicher, durch die Einsparung der Intel-Subventionen nun über ausreichend finanzielle Mittel zu verfügen, um kurzfristig die Übertragungsnetzentgelte aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Ursprünglich war ein Zuschuss des Bundes in Höhe von etwa 5,5 Millionen Euro geplant. Intel, dem eine Subvention von zehn Milliarden Euro für die Errichtung einer Produktionsstätte in Magdeburg in Aussicht gestellt worden war, hat diese für vorerst zwei Jahre auf Eis gelegt.

Scholz warnt vor möglicher Selbstschädigung durch Strafzölle

Der Kanzler kündigte darüber hinaus an, die sogenannte Strompreiskompensation auszuweiten. Diese wird derzeit auf Antrag von der Deutschen Emissionshandelsstelle an energieintensive Unternehmen bezahlt, um Wettbewerbsnachteilen durch teure Strompreise entgegenzuwirken. Zu den bisherigen beihilfeberechtigten Sektoren wie Papierfabriken, Gießereien oder der Mineralölverarbeitung sollen auch Chemie- und Glasindustrie kommen, so der Kanzler.

Scholz bekannte sich außerdem zu einer Ausweitung des Freihandels. Dies impliziere eine Absage an Strafzölle der EU gegenüber Chinas KP-Regime und einen zügigen Abschluss der bereits ausgehandelten Freihandelsverträge mit den Mercosur-Staaten. Die Russland-Sanktionen stellte Scholz hingegen nicht infrage.

Zwar müsse man sich gegen unlautere Handelspraktiken schützen, so der Kanzler mit Blick auf China. Die Reaktion der EU dürfe jedoch „nicht dazu führen, dass wir uns selbst schädigen“. Mit Blick auf die Konkurrenz durch billige und subventionierte E-Autos müsse es eine Verhandlungslösung geben. Scholz befürchtet im Fall von Strafzöllen mögliche Vergeltungsmaßnahmen gegen deutsche Unternehmen in China.

Gesamtmetall-Chef rechnet nicht mehr mit Ergebnissen

Scholz kritisierte zudem, dass viele geplante Freihandelsabkommen der EU an politischen Widerständen scheiterten. So verzögert Frankreich aus innenpolitischen Motiven das Inkrafttreten des Abkommens mit den Mercosur-Staaten. Der Kanzler möchte solche Abkommen künftig teilen in einen „EU-Only-Teil“ und einen, dem die nationalen Parlamente zustimmen müssten.

Unterdessen äußerte der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Stefan Wolf, gegenüber dem „Handelsblatt“ Sorge vor einer weiteren Deindustrialisierung. Vor allem die Metall- und die Elektroindustrie würden perspektivisch Arbeitsplätze verlieren. Wolf erklärte, bereits die Politik der Vorgängerregierung habe zum Abstieg des Standortes Deutschland beigetragen. Die Ampel schaffe es jedoch nicht, Reformen anzugehen.

Dass aus der Industrie-Agenda von Kanzler Scholz ein großer Wurf werde, daran glaubt der Arbeitgeberfunktionär nicht – immerhin beginne spätestens nach Weihnachten der Wahlkampf:

Die Ampel kriegt die Kurve nicht mehr, die Zeit ist viel zu kurz.“



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