Scholz bei Bürgerdialog: Wohnungsnot hat nichts mit Migranten zu tun

Am Mittwoch, 4. September, fand in Berlin erneut ein Bürgerdialog mit Olaf Scholz statt. Dabei war zu erkennen, dass die Menschen drei Kernthemen beschäftigen. Nicht immer wirkte der Medienprofi Scholz während der Veranstaltung souverän.
Titelbild
Bürgerdialog mit Olaf Scholz am 4. September 2024 in Berlin.Foto: Erik Rusch/Epoch Times
Von 5. September 2024

Ein warmer Sommerabend an einem Mittwoch mitten in Berlin. Auf dem Gelände der ufaFabrik – ein sogenanntes „Kultur- und Lebensprojekt“ – herrscht reges Treiben.

Das große Veranstaltungszelt auf einer Wiese ist hell beleuchtet und umfangreich ausgestattet mit Ton- und Bildtechnik. Ein Duft von frischen Backwaren aus einer Biobäckerei macht sich angenehm bemerkbar. Ein massives Polizeiaufgebot und zahlreiche Sicherheitsleute sind zu sehen. Am Eingang wird jeder Besucher gescannt wie am Flughafen.

Hier soll heute ein Bürgerdialog stattfinden – ein Gespräch zwischen Bürgern und dem Bundeskanzler. Angela Merkel hatte dieses Format ursprünglich eingeführt.

Bei der Zahl der Veranstaltungen, auch Kanzlergespräche genannt, schlägt Scholz die Altkanzlerin allerdings um Längen, erfahre ich von einem Journalistenkollegen. Er hat alle Bürgerdialoge von Scholz begleitet und hat den Eindruck, dass der SPD-Politiker das Bad in der Menge genießt.

Der oval geformte mehrreihige Stuhlkreis um eine Freifläche in der Mitte füllt sich nun stetig mit Menschen – bunt gemischt, was sowohl das Alter als auch das Geschlecht betrifft. Das Publikum wirkt gut bürgerlich. Ein paar Rollstuhlfahrer säumen den Rand. Kein Kind ist zu sehen, dafür aber viel Presse.

Kanzler Scholz und 150 Bürger

Unter dem Veranstaltungszelt sitzend, warten die Menschen darauf, dem Kanzler eine Frage stellen zu können. Die Atmosphäre ist locker und entspannt. Alles wirkt routiniert und gut organisiert. Die Moderatorin stimmt die Gäste auf die Verhaltensregeln ein. Über die Regierungswebsite und „Phoenix“ kann der Abend live verfolgt werden.

Jetzt sind alle 150 Stühle besetzt, offenbar vor allem über die Medienpartner der Veranstaltung, den Berliner „Tagesspiegel“ und „104.6 RTL“. Es seien aber auch Gäste direkt vom Bundeskanzleramt eingeladen worden, heißt es.

Die Personenschützer wechseln ihre Position – der Kanzler ist angekommen.

Ohne Jackett, nur mit einem weißen Hemd, das in der Studiobeleuchtung strahlt, und einer dunkelblauen Bundfaltenhose betritt Scholz die Bühne. Nach einer kurzen Einführung beginnt die 90-minütige Fragerunde.

Gezielt nutzt Scholz die Freifläche in der Mitte, umringt von den Bürgern. Das ist seine Bühne, auf der er sich souverän bewegt.

Es läuft wie in der Schule – wer eine Frage hat, meldet sich. Die Moderatorin wählt aus. Jeder darf nur einmal fragen – nachfragen darf man nur in Ausnahmefälle mit Erlaubnis der Moderatorin.

Gleich bei der ersten Frage geht es um das Thema Sicherheit. Die zweite Frage zielt auf die wahrgenommene Veränderung in der Gesellschaft ab. Und in der dritten geht es um die Unterstützung für die Ukraine.

Damit sind auch die Hauptthemen des Abends abgedeckt.

Bürgerdialog mit Olaf Scholz am 4. September 2024 in Berlin. Foto: Erik Rusch/Epoch Times

Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen

Es geht auch um die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. „Das Wahlergebnis für die AfD bedrückt mich sehr. Dass jetzt Populismus so viel Unterstützung bekommt, das ist nicht gut. Und jetzt müssen wir alle sehen, was wir machen“, so der Kanzler auf eine Frage aus dem Publikum dazu. Er habe aber den Eindruck, es gebe eine breite Verabredung, keine Regierung mit der AfD zu bilden. „Immerhin.“

Zum Thema Unterstützung für die Ukraine sagt Scholz: „Viele, die anders gewählt haben, als ich es gut finde, finden, wir sollten die Ukraine nicht unterstützen. Und das ist ein Thema, darüber muss man reden.“ Es sei auch eine Frage, bei der man wahrhaftig bleiben müsse. „Und da kann ich sagen, ich bleibe bei meinem besonnenen Kurs, aber eben einem Kurs der Unterstützung.“

Weitere Themen sind die Migration und die damit verbundene Belastung der Arbeitskräfte sowie die sich verschärfende Wohnsituation.

„Die großen Herausforderungen, die wir auf dem Wohnungsmarkt haben, sind schon länger da und haben […] nichts zu tun mit der Zuwanderungsbewegung durch Flüchtlinge“, antwortet der Kanzler.

Das wäre eine zu einfache Theorie, führt er weiter aus. „Und falls Ihnen jemand so was erzählt, gehen Sie dem nicht auf den Leim. Wären die nicht da, hätten wir kein Problem. „Stimmt leider nicht. Das Problem ist viel größer.“ Das Problem sei allerdings durch die Migration verschärft worden, sagt der Kanzler.

Kanzler spricht von „Sumpfblüten“

In Bezug auf die Ergebnisse der Landtagswahlen mit dem starken Stimmenzuwachs für die AfD äußert eine Teilnehmerin Zukunftsängste.

„Ein zentrales Thema neben denen, die jetzt diskutiert werden, ist die Frage: Wird die Zukunft auf unserer Seite sein? Und das ist, glaube ich, zentral.“ Solche Zeiten der Unsicherheit seien immer Zeiten, in denen die „Sumpfblüten“ gut gediehen.

In diesen Zeiten sähen diejenigen, die Zwietracht säen wollten, ihre Stunde gekommen, um zu sagen: „Früher war alles besser und lasst uns zurückgehen“ – was nie stimme. Wichtig sei, dass man nicht vergesse, dass eine Gesellschaft nur dann gut leben könne, wenn sie sicher sei, […] dass die Zukunft gut werde. „Und zwar für alle.“

Kanzlergespräch mit Olaf Scholz am 4. September 2024 in Berlin. Foto: Erik Rusch/Epoch Times

Scholz weicht aus

Während der Medienprofi Scholz die meisten Fragen souverän beantwortet, wirkt er bei der Frage eines Erziehers überfordert. Die Ampelregierung wirke manchmal wie eine Kindergruppe mit sich widersprechenden Ministern. Er wünscht sich eine bessere Außenwirkung der Bundesregierung und fragt den Kanzler, was er dafür tun könne.

Scholz weicht erst aus: „Das ist bisher selten vorgekommen.“ Dann das Eingeständnis: „Ja, Sie haben recht.“ Dann richtet er die Frage an den Fragesteller zurück: „Welches Patentrezept haben Sie? Ich meine, ich frage für einen Freund.“ Gelächter bricht aus.

Der Fragesteller antwortet: „Ich finde, dass man einfach Sachen intern bespricht und nicht nach außen trägt.“ Scholz fällt ihm ins Wort. Dies würde passieren, obwohl er drei voll abgeschirmte Räume im Kanzleramt habe, wo niemand von draußen mitbekommen würde, was in den Räumen besprochen wird.

Der Bundeskanzler scheint dann unsicher zu sein, ob er noch etwas dazu sagen soll oder nicht. Schließlich entscheidet er sich dagegen und wiederholt: „Sie haben recht“.

Kanzler lobt die Demokratie

Auf die Frage, was für ihn das „Wertvolle, Wichtige und Tolle“ an der Demokratie sei, antwortete Scholz: „An der Demokratie ist wichtig und wertvoll, dass wir als Menschen selbst über uns bestimmen.“ Und dass man ohne Angst leben könne, auch wenn man eine andere Meinung habe, eine bestimmte sexuelle Vorliebe habe oder einer Minderheit angehöre.

Deshalb gehöre zur Demokratie auch immer der Rechtsstaat, damit nicht eine Mehrheit beschließen könne, dass eine Minderheit nun verfolgt werde. „Alle Diktaturen sind korrupt. Das ist fast systemisch so, weil niemals kann in irgendeinem Medium über die Korrupten berichtet (…), dass die korrupt sind. Sie haben ja die Macht.“

Die letzte Frage, dann sind die 90 Minuten vorbei. Anschließend gibt es noch eine Selfierunde mit dem Kanzler. Die ersten Gäste verlassen das Zelt. Dann geht auch Scholz, begleitet von seinen Personenschützern.

Teilnehmer: Positives verbreiten

Die Veranstaltung diene dazu, Positives zu verbreiten und gute Stimmung den Bürgern zu vermitteln, sagte Vincent Pell (22) aus Berlin gegenüber Epoch Times nach dem Bürgerdialog.

Die Hauptbotschaft von Scholz sei gewesen, dass er als Bundeskanzler zuversichtlich in die Zukunft blicke. Und auch das, was jetzt vielleicht momentan nicht gut laufe, anzusprechen. „Aber er sagt dann, das wird schon alles.“ Probleme in der Koalition seien bestätigt, aber nicht kritisch hinterfragt worden. „Das fand ich etwas schade.“

Auch zum Thema AfD und den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen hätte er sich klarere Aussagen gewünscht. Es habe auch andere Fragen gegeben, „wo man sich sehr konkrete Antworten gewünscht hätte und die Antworten eher kurz, knapp und eher ausweichend waren“, so der im öffentlichen Dienst tätige junge Mann. „Aber insgesamt hat er das jetzt souverän über die Bühne gebracht.“

30-Jährige vermisst klare Aussagen zu jungen Menschen

Anders sieht es eine 30-jährige Berlinerin, die ihren Namen nicht nennen möchte. Allein steht sie hinter den leeren Stuhlreihen, während der Großteil der Gäste den Veranstaltungsort schon verlassen hat. Sie wirkt, als wolle sie die 90-minütige Veranstaltung gedanklich Revue passieren lassen.

Sie sei enttäuscht, da der Kanzler zu wenig auf die Sorgen und Nöte der jungen Menschen eingegangen sei. Sie verweist auf die finanziellen Schwierigkeiten bei der Familiengründung und beim Erwerb von Wohneigentum. Auch fand sie die Antworten des Kanzlers zum Thema Bildung, Spannungen zwischen Ost und West und dem Erstarken der AfD zu unklar.

Andere sagen uns, sie seien gekommen, um den „Kanzler als Mensch“ kennenzulernen. Andere wollten wissen, wie er sich bei den Fragen der Bürgen schlägt oder wie die Bürger mit dem Kanzler umgehen. Nur noch wenige Menschen sind jetzt am Veranstaltungsort. Der Abend klingt aus.

Bürgerdialog mit Olaf Scholz am 4. September 2024 in Berlin. Foto: Erik Rusch/Epoch Times



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