Schlagabtausch zur Haushaltslage im Bundestag: Merz sieht „Zeitenwende“ für Regierungsmitglieder
Ein gutes Dutzend Vertreter von Bundesregierung und Opposition haben sich am Nachmittag des 16. November im Plenarsaal des Bundestags einen Schlagabtausch zur neuen Haushaltslage geliefert.
Anlass war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Vortag, durch das der Ampelregierung nun 60 Milliarden Euro fehlen, die ursprünglich für klimapolitische Zwecke der kommenden Jahre gedacht waren. Die Aktuelle Stunde war auf Antrag der Unionsfraktion angesetzt worden.
Merz: „Zeitenwende“ für Regierungsmitglieder
Oppositionsführer Friedrich Merz, der Chef der CDU, warf den Regierungsfraktionen vor, schon zum zweiten Mal innerhalb „weniger Wochen“ das Grundgesetz verletzt zu haben: das erste Mal kurz vor den Sommerferien beim Heizungsgesetz, nun wieder beim Nachtragshaushaltsgesetz 2021.
Merz sagte voraus, dass die Ampelparteien im nächsten Jahr wegen der Verpflichtungen aus dem „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF) einen Nachtragshaushalt aufstellen müssen würden. Wenn man dies aber schon vorher wisse, sei auch dies ein Verstoß gegen die Grundsätze von „Haushaltswahrheit und -Haushaltsklarheit“. Die von Olaf Scholz Ende Februar 2022 beschworene „Zeitenwende“ sei „spätestens seit gestern“ auch für die Regierungsmitglieder Realität. Nun gelte es, endlich die „Prioritäten neu zu setzen“.
Mathias Middelberg, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende von CDU und CSU, bezeichnete es als „grob fahrlässig“ und „völlig unverantwortlich“, noch in der laufenden Woche weiter über den Bundeshaushalt 2024 zu verhandeln, solange das BVerfG-Urteil noch nicht ausgewertet sei. „Sie laufen in den nächsten Verfassungsbruch hinein, sehenden Auges!“, warnte Middelberg.
Dobrindt: „Die Koalitionsidee ist schlichtweg Geschichte“
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt schlug einen noch schärferen Ton gegen die Ampel an: Der KTF sei von der „Allzweckwaffe“ der Regierung zum „Rohrkrepierer“ geworden. Das „Gründungsdokument ihrer Koalition“ habe sich mit dem BVerfG-Urteil „in Luft aufgelöst“ und der „Koalitionsvertrag“ sei „mit rechtswidrigen Mitteln erkauft“ worden. Die „Koalitionsidee“ sei somit „schlichtweg Geschichte“.
Dem Finanzminister warf Dobrindt Ignoranz und Arroganz vor: Immerhin wolle er auch jetzt noch „den Haushalt [2024] einfach verabschieden, als hätte es nichts gegeben“.
AfD fordert „Löschung aller KTF-Titel“
Peter Boehringer, der haushaltspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, sprach von „frechem Vorsatz“, dessen sich die Regierung bedient habe, weil sie „zwingende Vorschriften des Grundgesetzes schlicht missachtet“ habe. Es sei „sehr positiv“, dass mit dem Urteil die verfassungswidrige „Verbuchungssystematik von Schulden in Sondervermögen außerhalb der Schuldenbremse“ beendet werde.
„Wir fordern, wie schon länger, die fast völlige Löschung aller KTF-Titel“, sagte Boehringer, „und wir fordern eine Neuaufsetzung eines ‚Haushaltsprozesses 24‘ unter Anrechnung der Kredite der Sondervermögen auf die Schuldenbremse.“
Bartsch: „historisches Debakel“
Dietmar Bartsch, der Fraktionsvorsitzende der Linken, sprach von Christian Lindner als einem „begossenen Pudel“ und von einem „historischen Debakel“ für die Ampelregierung: Dass man einen Haushalt nicht „rückwirkend aufstellen“ dürfe, hätte „man vorher wissen können“.
Ein Nachtragshaushalt für 2024 sei schon jetzt „am Horizont zu erkennen“, zumal es Investitionen in Milliardenhöhe zum Beispiel für die Bahn oder die Stahlindustrie bedürfe. Nun aber sei klar: Die Regierung habe „dem Land Versprechen gegeben mit ungedeckten Schecks“. Deutschland brauche nun „eine große Steuerreform“ und „mindestens“ eine Modifikation der Schuldenbremse.
Lindner: Schuldenbremse und Nein zu Steuererhöhungen bleiben bestehen
Finanzminister Christian Lindner (FDP) versuchte, die positiven Seiten des Urteils vom 15. November hervorzuheben, das auch „eine Chance“ sein könne: „Das Bundesverfassungsgericht hat nun neue Klarheit geschaffen. Und alle Unterstützerinnen und Unterstützer der Schuldenbremse müssen dies begrüßen.“
Die Bundesregierung werde die neue „Rechtsklarheit“ nun dazu nutzen, „um die Schuldenbremse nicht zu schwächen, sondern zu stärken“. Auch beim Verzicht auf Steuererhöhungen werde es bleiben, versprach der Liberale: „Wir werden mit weniger Geld wirksamere Politik machen“. Lindner hatte sich schon früher stets gegen anderslautende Vorschläge gewehrt.
Die Sperre für den KTF habe er schon entschieden, so Lindner. Zudem würden 60 Milliarden aus dem Fonds „gelöscht“ und ein neuer Wirtschaftsplan dafür vorgelegt, der „die Vorgaben aus Karlsruhe“ berücksichtige. Man arbeite gerade an der Auswertung des Urteils, das auch Auswirkungen für die Länder haben könne.
Miersch: Handlungsfähigkeit beweisen
Matthias Miersch, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, sprach wie Lindner von einer „riesigen Chance“. Dafür „elementar“ aber sei es, „dass wir die Zukunftsinvestitionen, die wir im KTF abgebildet haben, auch weiter fahren können“. Es bedürfe „deutlicher Förderprogramme, die in die Milliarden gehen, damit der Umstieg für die breite Schicht dieser Gesellschaft überhaupt möglich“ sei:
Wenn wir in einer Zeit der absoluten Krisen nicht als Staat Handlungsfähigkeit beweisen, dann wird dieses Land in richtige Schwierigkeiten kommen.“
Der Idee einer höheren Bepreisung von CO₂, um die Finanzlücke zu stopfen, erteilte Miersch eine Absage, denn so etwas wirke „für manche viel, viel stärker als eine Steuererhöhung“.
Audretsch kontra Merz
Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender bei den Grünen, wandte sich direkt an CDU-Chef Friedrich Merz: Dieser handele „unverantwortlich für einen Oppositionsführer“ und mache keinen einzigen Lösungsvorschlag, sondern immer nur „Luftbuchungen“. Für die Regierung sei es jetzt aber „wichtig, den Haushalt voranzubringen und seriös zu beraten, wo das Geld herkommt“.
Für die SPD, die Grünen und die Linken könnte diese Frage durchaus mit einer Lockerung oder gar Abschaffung der Schuldenbremse beantwortet werden – wenn sich der Finanzminister nicht strikt dagegen positionieren würde.
Linken-Chef Schirdewan sieht Ende der „Ampel“ kommen
Martin Schirdewan, der Co-Parteichef der Linken, forderte im Gespräch mit der „Augsburger Allgemeinen“ dennoch das endgültige Aus für die Schuldenbremse. Dies sei ein „Gebot der gesellschaftspolitischen Vernunft“. Denn die Schuldenbremse sei „eine Investitionsbremse […], die Zukunftsinvestitionen verhindert“.
Besonders die Vorhaben der Grünen seien wegen der vorgeschriebenen Kreditaufnahmegrenze nun kaum noch umsetzbar, solange Kanzler Scholz und Finanzminister Lindner an der Bremse festhielten. Deshalb gehe er davon aus, dass die Ampelregierung „nicht mehr viele Monate in dieser Zusammensetzung“ existieren werde. So gesehen bedeute das Karlsruher Urteil „eine absolute Zerreißprobe für diese Koalition“.
SPD: „Grundsätzliche Verteilungsfragen neu stellen“
Nachdem die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken die Schuldenbremse schon vor Wochen infrage gestellt hatte, erklärte ihre Stellvertreterin Serpil Midyatli nun, dass die Kanzlerpartei auch über höhere Vermögens- und Erbschaftssteuern nachdenke
Die SPD wäre bereit, grundsätzliche Verteilungsfragen neu zu stellen, um die Einnahmeseite zu verbessern.“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte sich in einem eigenen „Strategiepapier“ dafür ausgesprochen, bisherige finanzpolitische Spielregeln wie die Schuldenbremse demnächst zu überdenken, wie die „Zeit“ berichtet hatte: Industrie- und Haushaltspolitik müssten per „Richtungsentscheidung“ in Einklang gebracht werden.
Wirtschaftsweise für höhere CO₂-Bepreisung
Ginge es nach der Wirtschaftsweisen Prof. Veronika Grimm, dann würde die Bundesregierung ihr neues 60-Milliarden-Finanzloch über höhere Preise für CO₂-Emissionen stopfen. „Statt auf Ordnungsrecht und Förderprogramme zu setzen, sollte man die CO₂-Bepreisung stärken und die Härten über ein Klimageld abfedern“, hatte Grimm im Gespräch mit der „Rheinischen Post“ empfohlen.
„Außerdem sollte man die Abschaffung der EEG-Umlage auf keinen Fall rückgängig machen, die die Elektrifizierung attraktiver macht“, erklärte die Ökonomin.
Finale Etat-Beschlussfassung des Haushaltsausschusses verschoben
Ursprünglich hätte der Haushaltsausschuss des Bundestags am 16. November auch seine „Bereinigungssitzung“ komplett hinter sich bringen sollen, bei der traditionell ein abschließender Beschluss für den Bundesetat 2024 getroffen wird. Wegen des Karlsruher Urteils verschoben die Ausschussmitglieder ihre finale Beschlussfassung jedoch kurzfristig auf Donnerstag, 23. November, wie das ZDF mitteilte.
Die Union habe zuvor beantragt, am Dienstag davor noch Sachverständige zum BVerfG-Urteil zu hören. Zwei Tage später solle die Bereinigungssitzung dann auf digitalem Wege vollendet werden.
Haushalt 2024 soll zum 1. Dezember feststehen
Ab dem 28. November stehen dann die zweite und dritte Lesung im Bundestag auf dem Terminkalender. Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums (BMF) soll der Haushalt 2024 trotz des Karlsruher Dämpfers spätestens am 1. Dezember im Bundestag beschlossen werden. Zwei Wochen später soll der Bundesrat die Kalkulation final absegnen.
Ein Servicetipp am Rande: Das Bundesfinanzministerium hat auf seiner Netzseite das Onlinewerkzeug „Bundeshaushalt digital“ eingerichtet. Es enthält eine Reihe von interaktiven Optionen, mit denen sich die Steuerzahler ein Bild über die Ausgabe- und Einnahmesituation der vergangenen Jahre verschaffen können.
(Mit Materialien aus Agenturen)
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