Sachverständige uneins über geplante Grundgesetzänderung zu Sonderschulden

Erwartungsgemäß gingen die Meinungen der von den einzelnen Fraktionen geladenen Sachverständigen bei der Anhörung am Donnerstag im Haushaltsausschuss des Bundestages zur Lockerung der Schuldenbremse weit auseinander. Damit zeigte sich ein ähnliches Bild wie zuvor im Plenum des Bundestages.
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Die 101. Sitzung des Haushaltsausschusses am 13. März 2025 im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages mit der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen zum Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und CDU/CSU zur Änderung des Grundgesetzes.Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times
Von 14. März 2025

Kontrovers ging es zu während der zweieinhalbstündigen Anhörung von 13 geladenen Sachverständigen im Haushaltsausschuss des Bundestages am Donnerstag, 13. März.

Thema war der Gesetzentwurf der Fraktionen von Union und SPD zur Änderung des Grundgesetzes sowie der Änderungsantrag, mit dem sie den Grünen bei der Finanzierung des Klimaschutzes entgegenkommen wollen, um sie zu einer Zustimmung zu bewegen. Der Gesetzentwurf stand kurz davor auch im Zentrum einer hitzigen Debatte im Plenum des Bundestages.

Mit dem Entwurf wollen die beiden Fraktionen Verteidigungsausgaben ab 1 Prozent von den Regeln der Schuldenbremse ausnehmen, ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur einrichten und den Ländern einen Verschuldungsspielraum für ihre Haushalte einräumen. Die Vorschläge sind das Ergebnis der Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU und SPD.

Verfassungsrechtlich strittig

Als vielleicht legal, aber nicht legitim bezeichnete der Berliner Rechtsanwalt Dr. Ulrich Vosgerau die von Union und SPD vorgebrachte Beschlussfassung des alten Bundestages. Man müsse die Vorschriften des Grundgesetzes nach ihrem Sinn sehen, nicht nur nach ihrem Buchstaben, so der Staatsrechtler. Die 30-Tage-Frist von der Bundestagswahl bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages sei zudem „eine Höchstfrist, keine Karenzzeit“. Der neue Bundestag könne einberufen werden, sobald das Wahlergebnis endgültig festgestellt sei, und sofort seine Beratungen aufnehmen.

„Unter Legitimitätsgesichtspunkten wäre offensichtlich jedenfalls immer dann der neue Bundestag einzuberufen, wenn dies technisch möglich erscheint. Allenfalls, wenn es völlig unmöglich wäre, dürfte ersatzweise doch noch einmal der alte Bundestag zusammenkommen“, so Vosgerau in seiner schriftlichen Stellungnahme.

 

Er weist zudem darauf hin, dass es keinen Präzedenzfall zur jetzigen Situation gebe. Bei einem ähnlichen Fall, der oft angeführt würde, und zwar die Erteilung eines Bundestagsmandats zum Bundeswehreinsatz im Kosovo, die zwischen der Abwahl der Kohl-Regierung und der Konstituierung des 14. Deutschen Bundestages erfolgte, sei es nicht darum gegangen, „mit dem alten Bundestag eine Mehrheit zu erlangen, die im neuen Bundestag nicht mehr gegeben wäre.“

„Hier aber geht es nicht um diesen Regelfall, sondern um den Sonderfall, dass der 20. Bundestag nach dem negativen Ausgang der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers durch den Bundespräsidenten vorzeitig und explizit aufgelöst wurde“, so Vosgerau.

Dr. Ulrich Vosgerau. Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

Rechtswissenschaftler: Kluge Ausgestaltung wichtig

Anders sieht dies der Heidelberger Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hanno Kube. Er hält das Vorgehen von Schwarz-Rot für verfassungsrechtlich unproblematisch. Seiner Auffassung nach sei der alte Bundestag uneingeschränkt handlungsfähig, bis der neugewählte zusammengetreten sei. Das gelte auch für die vorgesehene Abstimmung über die Grundgesetzänderung nach der Feststellung des Endergebnisses der Bundestagswahl, denn der Bundestag dürfe ein laufendes Gesetzgebungsverfahren noch zu Ende bringen.

Er mahnt allerdings an, dass, um die erwünschten Wachstumseffekte herbeizuführen, auf eine kluge Ausgestaltung zu achten sei.

Ähnlich wie Kube sah auch die Augsburger Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Sina Fontana auch bei dem jetzt auf wenige Tage geschrumpften Gesetzgebungsverfahren zur Lockerung der Schuldenbremse durch Grundgesetzänderung verfassungsrechtlich keine Hindernisse.

Zwar habe das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem sogenannten Heizungsgesetz ausreichend Zeit für die parlamentarische Beratung gefordert, im Gegensatz zum damaligen Gesetzentwurf sei der Beratungsgegenstand jetzt aber „übersichtlich“, so Fontana.

Dem widersprach Vosgerau. Der Staatsrechtslehrer sieht angesichts der Tragweite des Gesetzentwurfes von Union und SPD eine Gewissensentscheidung der Abgeordneten vorliegen. Um dies zu fällen, bräuchten sie ausreichend Zeit, sich über die möglichen Konsequenzen zu informieren.

Mögliche Auswirkungen der Verschuldung strittig

Unterschiedliche Ansichten gab es bei der Beurteilung möglicher Folgen der geplanten Kreditaufnahme. So erwartet die Ökonomin Philippa Sigl-Glöckner von der Denkfabrik Dezernat Zukunft durch die Neuverschuldung ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent. Dieser Effekt hänge aber davon ab, was von den möglichen Mitteln tatsächlich ausgegeben wird. Denn erst der nächste Bundestag und die nächste Bundesregierung würden über die Ausnutzung des zusätzlichen Ausgabenspielraums entscheiden.

Kritischer sieht dies Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Dr. Lars Feld vom Freiburger Walter Eucken Institut. Er warnt vor langfristigen Belastungen infolge der jetzt geplanten Verschuldungsmöglichkeiten.

Es sei ein Anstieg der Staatsverschuldung von heute 62 auf 90 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung in zehn Jahren zu erwarten, so Feld. Dies aber hätte zusätzliche jährliche Zinsausgaben zwischen 250 und 400 Milliarden Euro zur Folge, je nach der Entwicklung des Zinssatzes für Staatsanleihen. Die internationalen Anleihenmärkte seien schon nervös geworden.

Auch die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Veronika Grimm von der Technischen Universität Nürnberg warnt vor einer „Herausforderung für die Stabilität in Europa“. Wenn infolge der deutschen Kreditaufnahme die Zinsen für Staatsanleihen stiegen, werde es für bereits hoch verschuldete Länder wie Italien und Spanien noch teurer, ihrerseits aufzurüsten, und die „Vulnerabilität in der Eurozone“ steige.

Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Thiess Büttner von der Universität Erlangen-Nürnberg hingegen sieht keine Gefahr, dass die Staatsverschuldung weiter ausufert. Deutschland könne sich ohnehin nur im Rahmen der EU-Vorgaben bewegen, so der Vorsitzende des Beirates des Stabilitätsrates.

Prof. Dr. Thiess Büttner, Lehrstuhl für Finanzwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Vorsitzender des Beirates des Stabilitätsrates. Foto: Epoch Times

Richterin fordert mehr Klimaschutz

Den Änderungsantrag von Union und SPD zu zusätzlichen 50 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds, um die Grünen zur Zustimmung des jetzigen Gesetzentwurfes zu bewegen, hält die Rechtsanwältin und Richterin am Hamburger Verfassungsgericht, Dr. Roda Verheyen für unzureichend, um die Klimaziele wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert umzusetzen. Sie schlug stattdessen eine Ausnahme von der Schuldenbremse, wie sie für die Verteidigung vorgesehen sei, auch für Investitionen in den Klimaschutz vor.

Eine „Unwucht“ stellte der Mannheimer Wirtschaftswissenschaftler Prof. Tom Krebs fest. Mehr Investitionen seien gleichermaßen in Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz nötig, er sehe aber viel Militär und wenig Klimaschutz. Sein Gegenvorschlag zur vorgesehenen Grundgesetzänderung lautete, alle Investitionsausgaben von der Berechnung der Schuldenbremse auszunehmen.

Reiner Braun vom Internationalen Friedensbüro übte hingegen grundsätzliche Kritik an der angestrebten Aufrüstung der Bundeswehr. Die Große Koalition unter Kurt Georg Kiesinger und Willy Brandt habe dem Harmel-Bericht der NATO von 1967 mit den zwei Schultern Rüstung und Dialog zugestimmt. Heute dagegen werde „die zweite Schulter überhaupt nicht mehr in Betracht gezogen“.

Abgeleitet vom Harmel-Bericht entstand die Harmel-Formel, die eine Doppelstrategie der westlichen Verbündeten vorsah. Durch sowohl militärische Abschreckung als auch Entspannungspolitik sollte die NATO zu dauerhaftem Frieden beitragen.

Braun bestritt zudem eine Bedrohung durch Russland. Europa sei Russland auch ohne die USA militärisch deutlich überlegen.

„Russland rüste derzeit sehr schnell auf“

Dagegen warnte Prof. Dr. Moritz Schularick vom Kiel Institut für Weltwirtschaft, Russland rüste derzeit sehr schnell auf. In Deutschland hingegen hätten die gegenwärtigen Verteidigungsausgaben von rund 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts „nicht zu einem nennenswerten Ausbau von Fähigkeiten geführt“. Eine Steigerung auf 3 bis 3,5 Prozent sei daher sinnvoll.

Auch der Frankfurter Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christopher Daase nannte den Gesetzentwurf „gerechtfertigt“ angesichts der Bedrohungslage durch den Krieg Russlands und die Politik der USA. Auch die Eile sei „vertretbar“. Allerdings kritisierte Daase einen zu engen Sicherheitsbegriff. Die Ausnahme von der Schuldenbremse solle sich nicht nur auf den Haushalt der Bundeswehr beziehen, sondern auf die Resilienz der gesamten Gesellschaft. So schlug er einen zusätzlichen Betrag für die Länder über die geplanten 100 Milliarden hinaus für Investitionen in den Bevölkerungsschutz vor.

Mehrere Klagen gegen geplante Grundgesetzänderung

Im Rahmen der Sitzung reichten die AfD und die Linke einen Antrag ein. Der Antrag der AfD sah eine Verschiebung der Haushaltsausschusssitzung in die neue Legislaturperiode vor, damit der neue Bundestag eine Entscheidung trifft. Die Linke wollte, dass es eine zusätzliche Sitzung des Haushaltsausschusses am Sonntag bevor die 2. und 3. Lesung zum Gesetzentwurf im Bundestag stattfinde. Beide Anträge wurden mehrheitlich abgelehnt.

Laut dem haushaltspolitischen Sprecher der AfD, Peter Boehringer, wurde über die Organklage und den Eilantrag der AfD gegen die geplante Grundgesetzänderung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe noch nicht beschieden. „Es wäre schön gewesen, wenn man jetzt ein Urteil hätte, zwingend wäre es erst vor der zweiten Abstimmung im Bundestag am Dienstag“, so der Bundestagsabgeordnete zu Epoch Times.

Neben der AfD hat auch die Gruppe der Linken Klage gegen das Vorhaben von Union und SPD erhoben sowie mehrere einzelne Abgeordnete verschiedener Fraktionen oder Parteilose. Auch hier ist bisher kein Ergebnis bekannt.

(Mit Material von bundestag.de)



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