Rot-grün-schwarzer Kampf um den Chefsessel im Roten Rathaus
Franziska Giffey will unbedingt Regierende Bürgermeisterin von Berlin bleiben. „Ich bin gekommen, um zu bleiben“, sagte die SPD-Politikerin kürzlich. Ob sie das schafft, ist jedoch mehr als ungewiss. Die jüngste Umfrage zur Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus sieht ihre Partei nur auf dem dritten Platz hinter der CDU und den Grünen.
Konservativerer Kurs
Die einstige Hoffnungsträgerin der Bundes-SPD, bereits seit Ende 2020 zusammen mit Fraktionschef Raed Saleh Vorsitzende des Berliner SPD-Landesverbands, stürzte sich anschließend mit voller Kraft in die Landespolitik. Ihre Partei kürte sie zur Spitzenkandidatin.
Obwohl ihr Sympathien für ein Bündnis mit CDU und FDP nachgesagt wurden, ging sie nach dem Wahlsieg eine Regierung mit den Grünen und der Linken ein. Spätestens seit das Berliner Verfassungsgericht die pannenbehaftete Wahl jedoch im November 2022 für ungültig erklärte und eine Wahlwiederholung verfügte, knirscht es in der Koalition: Giffeys Stellvertreterin als Bürgermeisterin, Verkehrssenatorin Bettina Jarasch, will für die Grünen das Rote Rathaus übernehmen. Trotzdem müssen die beiden noch zusammenarbeiten.
Giffey wertet Umgang mit Folgen des Ukraine-Kriegs als Erfolg
Giffey zog kürzlich Bilanz ihrer bislang nicht allzu langen Amtszeit als Regierende Bürgermeisterin. Dabei nannte sie unter anderem den Umgang mit den Folgen des Ukraine-Kriegs als Erfolg. Tausende Geflüchtete seien aufgenommen, ein Entlastungspaket für Haushalte und Hilfen für die Wirtschaft verabschiedet worden, sagte die Diplomverwaltungswirtin. Auch beim Wohnungsbau, den Giffey zur „Chefinnensache“ gemacht hatte, sieht sie Erfolge. Berlin habe über dem Bundesdurchschnitt neue Wohnungen geschaffen – auch wenn es nicht so viele gewesen seien wie geplant.
Es gebe „noch offene Aufgaben“, gestand Giffey ein. Ob sie es sein wird, die diese nach der Wahl angeht, ist aber nicht sicher. Die in Frankfurt an der Oder geborene Mutter eines Sohns nimmt eine Flut von Terminen wahr, profitiert dabei von ihrer zupackenden und volksnahen Art, mit der sie schon als Bürgermeisterin im Berliner Problembezirk Neukölln von sich reden machte. Und ist damit medial sehr präsent.
Entscheidet Debatte um Silvesterkrawalle?
Trotzdem könnte es am Ende für Giffey nicht reichen. Denn während es in den Umfragen zuerst nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen von CDU und Grünen aussah, prognostiziert die jüngste Erhebung für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) einen Sieg der Christdemokraten: Spitzenkandidat Kai Wegner und seine Parteikollegen könnten unter anderem von der Debatte um die Silvesterkrawalle in der Hauptstadt profitieren.
Zu diesen kam es nicht nur, aber vor allem auch in Neukölln. Der Bezirk ist eng mit Giffeys politischer Karriere verknüpft: Hier war sie ab dem Jahr 2002 zuerst Europabeauftragte, dann fünf Jahre lang Stadträtin für Bildung und Schule und anschließend bis zu ihrem Wechsel in die Bundespolitik im Jahr 2018 Bürgermeisterin. In der Diskussion geht es deshalb auch um das politische Vermächtnis der SPD-Politikerin.
Dreierbündnis wahrscheinlich
Doch unabhängig davon, wer letztlich die Wahl gewinnt, wird in Berlin den bisherigen Zahlen zufolge nur ein Dreierbündnis regieren können. Giffey will ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf ziehen, ging aber bereits auf Distanz zu Rot-Grün-Rot. „Es gibt in dieser Koalition an zentralen Punkten sehr unterschiedliche Auffassungen, was der beste Weg für diese Stadt ist“, sagte sie dem „Tagesspiegel“.
Einer der größten Streitpunkte mit den bisherigen Partnern ist dabei der Umgang mit dem Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, für den eine Mehrheit der Berliner Bevölkerung stimmte. Grüne und Linke beabsichtigen, ihn umzusetzen, wenn eine Expertenkommission grünes Licht gibt. Giffey erklärte hingegen erst kürzlich, sie könne es mit ihrem „Gewissen nicht vereinbaren, mich für Enteignungen einzusetzen“.
Jarasch will Berlin „lebenswerter“ machen
Die Berliner Vizeregierungschefin und Senatorin Bettina Jarasch (Grüne) will Giffey als Regierende Bürgermeisterin ablösen. Bereits am Abend der regulären Wahl im September 2021 lag ihre Partei in den Hochrechnungen eine Zeitlang vorn. Doch dann legten die Sozialdemokraten zu und gewannen am Ende. Die Grünen wurden nur zweitstärkste Kraft.
In einem Regierungsbündnis mit der SPD und der Linken wurde Jarasch anschließend Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. Mit einher ging das Amt der Bürgermeisterin, also der stellvertretenden Regierungschefin. „Wir wollen Berlin spürbar lebenswerter machen“, erklärte die 54-Jährige damals – und meinte damit vor allem: grüner machen.
Ausbau des Fahrradnetzes stockt
Dazu gehören für Jarasch weniger Autos in der Innenstadt. Für die grüne Verkehrswende sollen stattdessen neben einem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs mehr und bessere Fahrradwege sorgen. Neue Spuren weiht die Senatorin deshalb gern öffentlichkeitswirksam selbst auf dem Fahrrad ein – auch wenn sie sich aus Termingründen schon einmal mit dem Elektroauto hinbringen lässt. Doch so richtig kommt der Ausbau des Fahrradnetzes nicht voran. Das gab Jarasch kürzlich auch persönlich zu und forderte mehr Tempo von Land und Bezirken.
Zäh lief es für die gebürtige Augsburgerin bislang auch mit der Friedrichstraße im Herzen der Hauptstadt: Diese wurde im Jahr 2020 in einem Modellversuch für den Autoverkehr gesperrt. Jarasch ließ die Sperrung verlängern – rechtswidrig, wie das Verwaltungsgericht im Oktober 2022 urteilte. Zwischenzeitlich fuhren dort wieder Autos, doch die Verkehrssenatorin wandelte die „Flaniermeile Friedrichstraße“ mitten im Wahlkampf in eine Fußgängerzone um. Nun angeblich rechtssicher.
29-Euro-Ticket ein Erfolg
Ein Erfolg war hingegen das im Oktober eingeführte und formal bei Jaraschs Senat angesiedelte 29-Euro-Ticket. Der regionale Nachfolger des Neun-Euro-Tickets kam bei den Berlinern gut an. Doch Werbung machte damit vor allem die SPD. Der Wahlkampf hatte da bereits begonnen, denn schon im September hatte das Berliner Verfassungsgericht erkennen lassen, dass es die pannenbehaftete Abgeordnetenhauswahl vom September 2021 für ungültig erklären lassen wolle. Im November 2022 kam dann das Urteil.
Die drei Regierungsparteien hatten sich eigentlich vorgenommen, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Doch damit war es spätestens jetzt vorbei. „Ich würde dieses Bündnis gerne fortsetzen wollen“, sagte Jarasch im Dezember 2022 bei einer Senatspressekonferenz. Dabei fügte sie hinzu, dies „gern unter einer grünen Führung“ tun zu wollen. „Da werden wir nicht mehr zusammenkommen“, erwiderte Giffey, die neben ihrer Senatorin saß, postwendend. Sie sei „gekommen, um zu bleiben“.
Enteignung großer Immobilienkonzerne ernst gemeint
Jarasch, die vor ihrem Eintritt in die Politik unter anderem als Journalistin für die „Augsburger Allgemeine“ tätig war, bezeichnete die Situation deshalb jüngst auch als „gelebte Schizophrenie“. „Im Senat müssen wir weiter durchregieren und uns einigen, im Wahlkampf sind wir Konkurrentinnen“, sagte sie zur „Zeit Online“.
Wahlkampf ist dabei nichts Neues für die 54-Jährige. In der Landespolitik ist sie schon seit einigen Jahren unterwegs: im Jahr 2009 wurde sie Mitglied des Berliner Grünen-Landesvorstands, später war sie einige Jahre dessen Vorsitzende. Ins Abgeordnetenhaus zog sie im Jahr 2016 zum ersten Mal ein.
Schafft sie es, die Macht im Roten Rathaus zu übernehmen, will sich die Mutter zweier Söhne unter anderem für einen klimagerechten Umbau der Berliner Wärmeversorgung, Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit und für Wohnraum einsetzen, der stärker am Gemeinwohl orientiert sein soll. Mit dem Volksentscheid zur Enteignung großer Immobilienkonzerne, für den im Jahr 2021 fast 60 Prozent der Berliner Bevölkerung stimmten, sei es ihr „ernst“.
Einer Koalition mit den Christdemokraten erteilte die Senatorin zumindest im Wahlkampf bereits faktisch eine Absage. Mit diesen sei eine „progressive Koalition“ nicht möglich, konstatierte Jarasch.
Wegner will amtierende Koalition ablösen
Kai Wegner kämpft dafür, mit der CDU die rot-grün-rote Koalition abzulösen. Der 50-Jährige hat Umfragen zufolge auch gute Chancen, die Wahl zu gewinnen. Dabei profitiert er von seiner harten Linie in der Diskussion um die Silvesterkrawalle.
Ob er an die Macht gelangen kann, hängt vor allem davon ab, ob SPD oder Grüne zu einem Bündnis mit der CDU bereit wären. Der in Berlin-Spandau Geborene saß über 15 Jahre lang für die CDU im Bundestag. Dort fungierte er als baupolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Nach der letzten Abgeordnetenhauswahl wechselte er in die Landespolitik: Der Immobilienkaufmann ist Fraktionschef seiner Partei im Landesparlament, zudem Chef des Berliner CDU-Verbands.
Marode Verwaltung modernisieren
„Du, Berlin, wir müssen reden. Du kannst so wunderbar sein – aber wie du regiert wirst, so kann es nicht bleiben. Berlin, wähl dich neu. Für ein Berlin, das für alle funktioniert.“ Nach diesem auf Twitter geteilten Motto zieht Kai Wegner in den Wahlkampf. Er will frischen Wind in der Hauptstadt spüren, zitiert ihn das Nachrichtenportal „News.de“. Weil sie aus seiner Sicht nicht funktioniere, solle die rot-grün-rote Koalition schon bald wieder Geschichte sein. Seine Pläne für einen Neuanfang habe er bereits gefasst. Falls er Bürgermeister werde, wolle er zuerst die marode Verwaltung in der Stadt modernisieren. Den Klimaschutz wolle er ebenfalls angehen, aber ohne die Autos dabei außer Acht zu lassen.
Der „Berliner mit Herz und Seele“, Jahrgang 1972, wuchs als Sohn eines Bauarbeiters und einer Einzelhandelskauffrau in der Hauptstadt auf. Nach dem Oberschulabschluss absolvierte er in den Jahren 1993/94 seinen Wehrdienst bei der Luftwaffe. Im Anschluss erlernte er den Beruf des Versicherungskaufmanns. Bevor er in einem Bauunternehmen als Mitglied der Geschäftsführung tätig wurde, arbeitete er für eine Versicherung im Betrieb.
Seit der Jugend politisch aktiv
Politisch ist Wegner schon seit seiner Jugend aktiv. Im Jahr 1989 trat er in die Junge Union ein. Von 2000 bis 2003 war er deren Landesvorsitzender. Seit 2005 ist der 50-Jährige Vorsitzender der CDU Spandau. Dem Abgeordnetenhaus gehörte er von 1999 bis 2005 an. Wegner gilt als „Vollblutpolitiker“ mit einem vollen Terminkalender und der Bereitschaft, sich vielfältig zu engagieren. Er ist zum zweiten Mal verheiratet und hat drei Kinder, davon stammt ein Sohn aus seiner ersten Ehe.
Linke, AfD und FDP mit geringen Chancen
Bei der Wahl müssen dieselben Kandidaten antreten, wie zuletzt im Jahr 2021. Klaus Lederer arbeitet seit 2016 als Kultursenator für die Linke. Der 48-Jährige ist einer der beliebtesten Politiker Berlins. Aktuelle Umfragen sehen die Linke jedoch nur bei elf bis zwölf Prozent und damit an vierter Stelle. Hoffnungen, Teil der Regierung zu bleiben, kann sich der promovierte Jurist Lederer nur bei einem Bündnis mit SPD und Grünen machen. Die CDU schließt eine Koalition mit der Linken aus. Unterwegs in der Landespolitik ist der gebürtige Schweriner schon lange – zuerst als Bezirksverordneter und seit 2003 als Mitglied des Abgeordnetenhauses. Knapp zehn Jahre lang war er zudem Landesvorsitzender seiner Partei.
Kristin Brinker dürfte mit der AfD weiter in der Opposition bleiben. Aktuelle Umfragen sehen die Partei auf dem vorletzten Platz. Mitglied des Abgeordnetenhauses wird die 51-Jährige aber voraussichtlich bleiben. Dort ist die promovierte Architektin derzeit haushalts- und finanzpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Seit März 2021 ist sie zudem Vorsitzende der Berliner AfD.
Sebastian Czaja muss mit der FDP noch um den Wiedereinzug in das Landesparlament kämpfen. Aktuelle Umfragen sehen die Liberalen bei fünf bis sechs Prozent. Damit könnte sie gerade so über die Fünf-Prozent-Hürde kommen und weiter im Abgeordnetenhaus vertreten sein. Dort führt der 39-Jährige die kleinste Fraktion an, nachdem er es mit der FDP nach der letzten Wahl nicht in eine Regierungskoalition geschafft hatte. Zudem ist Czaja einer von drei stellvertretenden Landesvorsitzenden. Der in Ostberlin Geborene ist ausgebildeter Elektrotechniker, war kurzzeitig CDU-Mitglied und macht sich heute vor allem für eine Verwaltungsreform stark.
[Mit Texten von Agenturen]
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