Roland Koch nimmt Merkel-Kurs auseinander: „CDU wagt kein offenes Bekenntnis zur Freiheit“

Hessens ehemaliger Ministerpräsident Roland Koch übt nach der Thüringen-Wahl deutliche Kritik an der Politik der CDU unter Kanzlerin Angela Merkel. Diese war so stark bestrebt, nicht anzuecken, dass sie den Rändern das Feld überlassen habe.
Von 29. Oktober 2019

Die Kritik an der politischen Führung und deren Strategien der vergangenen Jahre wird in der CDU nach der deutlichen Wahlniederlage am Sonntag (27.10.) in Thüringen heftiger. Die „Bild“-Zeitung präsentiert vorab die Kernaussagen eines Beitrages von Roland Koch, der demnächst im Magazin „Cicero“ erscheinen wird.

Koch war in der Zeit von 1998 bis 2010 Landesvorsitzender der CDU in Hessen und von 1999 bis 2010 Ministerpräsident des Landes. In seinem Text analysiert er den Niedergang der alten Volksparteien CDU und SPD als Konsequenz eines „Versagens von politischer Führung“ und plädiert für eine Wende in der Union. Diese solle durch ein Eintreten „für einen modernen Konservatismus, für Mut zur offenen Debatte, für Freude am Richtungsstreit“ gekennzeichnet sein.

„Unanständiges Verhalten kein Ausdruck von Modernität, Egoismus keiner von Freiheit“

Das prägende Merkmal der Volksparteien, insbesondere der CDU, sei es gewesen, nicht anecken zu wollen, meint Koch. Auf diese Weise habe man die gesellschaftliche Debatte verengt und „nahezu ausschließlich den Rändern überlassen“. Zudem habe man sich immer mehr davor gescheut, klare Ansagen zu machen. Dies müsse sich künftig ändern, auch um den Preis medialen Gegenwindes: 

„Die Union muss den Mut wiedergewinnen zu sagen, dass unanständiges Verhalten kein Ausdruck von Modernität ist. Das gilt es mit Härte gegenüber Zuwanderern zu vertreten, aber mit ebensolcher Klarheit gegenüber Mitbürgern, die glauben, Freiheit sei ein ungebundener Anspruch, seinen Egoismus ausleben zu können.“

Die CDU, so Koch, müsse wieder die Courage entwickeln, für die Freiheit und den wehrhaften Staaten als zentrale Werte einzustehen. Sie müsse dem Bestreben widerstehen, für jedes Problem nach einer staatlichen Regulierung zu rufen. Stattdessen müsse man wieder lernen, auf die „kreative Kraft des Eigennutzes als Motor für Innovation und Verbesserung der Lebenssituation des Einzelnen und der Menschheit“ zu setzen.

Vor allem in der Klimadebatte vermisst Koch die klare Ansage der Union, dass Planwirtschaft, Sozialismus und Unfreiheit keine Rezepte seien, um ökologische Probleme zu lösen:

Aus der ganzen Volkspartei CDU traut sich niemand mehr offen zu sagen, dass freie Menschen in freien Gesellschaften auch die ökologischen Herausforderungen lösen können, ohne einem unsozialen und defätistischen Verzicht das Wort zu reden.“

CDU muss sich zwischen Fortschritt und Apokalyptik entscheiden

Die CDU solle schnell entscheiden, ob sie „die Apokalypse-Theorie der Fridays-for-Future-Bewegung teilt oder an die Chancen des technischen Fortschritts glaubt“.

Der Kompromiss sei zwar eine Tugend der Volksparteien, er müsse jedoch am Ende einer Debatte stehen und nicht eine Schere im Kopf bewirken. Volksparteien müssten in der Lage sein, Positionen durchzusetzen, dies aber in einer Form, die am Ende auch für Andersdenkende erträglich sei. Koch weiter:

„Heute fehlen Persönlichkeiten, die von einer Vision geprägt sind und die Bereitschaft zeigen, für diese Vision ihre politische Existenz zu riskieren. Solche Menschen sind keine Ideologen, sie werden nur erfolgreich sein, wenn sie eine wertgebundene und unverwechselbare Position ausdrücklich mit der Fähigkeit zum Kompromiss verbinden.“

Jedenfalls solle sich die Union wieder Helmut Kohl zum Vorbild nehmen, der seine Politik nicht von Meinungsumfragen abhängig gemacht habe. Gleiches habe bereits für frühere Kanzler von Adenauer und Erhard bis hin zu Brandt gegolten. Deren Errungenschaften wären vielfach „gegen Widerstände und meist gegen den anfänglichen Mainstream erkämpft“ worden.

n-tv: „Merkel hielt Zustimmung für Selbstläufer“

Auch Thomas Schmoll sieht in einem Kommentar für n-tv die Ursache für den Niedergang der CDU bereits in der Ära Merkel und in dem System, das diese geschaffen habe. Angela Merkel habe die Union „über Jahre hinweg zum Kanzlerinnenwahlverein gemacht, bei dem unklar ist, welche Positionen er vertritt“.

Die Politik habe sie nach den Umfragewerten eines bestimmten Umfeldes ausgerichtet und einen Verlust an Vertrauen und Konturen in Kauf genommen. Zwar habe sie erkannt, dass die Bindung an bestimmte Milieus, Weltanschauungen und Konfessionen für sich allein kein Erfolgsfaktor mehr sei und es auch über eine lange Zeit hinweg Zustimmung garantierte, emotionale Sehnsüchte wie jene nach Stabilität zu verkörpern.

„Merkels Fehler aber war anzunehmen, dass diese Welle der Zustimmung zu ihrer Person und Partei ewig hält, was immer sie tut – und vor allem auch, wenn sie nichts tut und wartet, bis es andere für sie tun.“



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