RKI-Vize: Pflichtimpfungen nicht ausgeschlossen – „Das ist eine politische Frage“

Kann ein Mund-Nasen-Schutz problematisch sein für Lungen-Patienten? Und wie sieht das Robert-Koch-Institut (RKI) eine Impfpflicht gegen SARS-CoV-2, mit der Bayerns Ministerpräsident Markus Söder liebäugelt? Darüber gab RKI-Vize Lars Schaade in der Pressekonferenz am 24. April Auskunft.
Von 24. April 2020

Nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) haben in Deutschland rund 106.800 Menschen die Infektion überstanden, berichtete Lars Schaade, RKI-Vize-Präsident in einer Pressekonferenz am 24. April.

Er informierte darüber, dass das RKI nunmehr die generelle Testung aller Atemwegserkrankungen auf eine mögliche Corona-Infektion empfehle. Und das hat zwei Gründe: Zum einen gebe es mehr Testkapazitäten. Zum anderen sei die Erkältungssaison vorbei, und es seien „mehr Treffer“ zu Covid-19-Erkrankungen zu erwarten. Nicht zuletzt sei es nach der Lockerung der Ausgangsbeschränkungen „besonders wichtig“, Corona-Erkrankungen schon bei schwachen Symptomen zu erkennen, betonte Schaade. „Wir empfehlen dringend, dass jeder mit einem Atemwegsinfekt, ob Husten oder Fieber, auch getestet werden sollte.“

Reproduktionswert 0,9

Das RKI schätzt die Reproduktionszahl weiterhin auf 0,9. Das bedeutet, dass im Mittel fast jeder mit Sars-CoV-2 Infizierte einen weiteren Menschen ansteckt und die Zahl der Neuerkrankungen leicht zurückgeht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Ausbruchsgeschehen regional unterschiedlich stark ist. So gäbe es in Bayern 305 Fälle auf 100.000 Einwohner, in Mecklenburg-Vorpommern 41. Wichtig sei nun, dass dieser Wert auch auf diesem Niveau bleibt.

Mund-Nasen-Schutz als Ergänzung

Wenn es durch die Lockerung der Einschränkungen zu mehr engen Kontakten komme, könne der Anstieg der Fallzahlen wieder steigen, warnte Schaade. Im schlimmsten Fall könne das dazu führen, dass Kliniken überlastet und die Epidemie nicht mehr beherrschbar sei. Daher appellierte er, die Hygienemaßnahmen und den Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Zusätzlich riet er dazu, die Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.

Dabei wies er gleichzeitig darauf hin, dass ein Schutz keine hundertprozentige Sicherheit geben würde, schon gar nicht für den Träger selbst. Es sei eine Ergänzung zu den anderen Maßnahmen. In erster Linie sollen die Mund-Nasen-Abdeckungen dazu dienen, kleine Tropfen daran zu hindern, „zu weit zu fliegen“.

Für den Mund-Nasen-Schutz würden unter anderem Erfahrungen aus dem asiatischen Raum sprechen. Gerade in der COVID-19-Epidemie hätten einige Staaten „gute Erfolge nachzuweisen“.

Vorsicht bei Lungen-Patienten

Bei Patienten mit eingeschränkter Lungenfunktion könne es jedoch vorkommen, dass von diesen der Mund-Nasen-Schutz „gar nicht toleriert wird“, gab Schaade zu bedenken und fügte hinzu: „Die wollen den nicht. Die merken das sehr schnell, dass ihnen das nicht gut tut.“ Selbst ein einfacher Mund-Nasen-Schutz sei für diese Personengruppe ein zusätzlicher Atemwiderstand. In diesem Fall solle man diese Menschen „nicht zu stark motivieren“, die Gesichtsmaske anzulegen. Um so wichtiger sei ein passiver Schutz, beispielsweise dadurch, dass im Haushalt lebende Personen eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen.

Impfpflicht nicht ausgeschlossen

„Ministerpräsident Söder hat gewisse Sympathien für eine Impfpflicht geäußert, wenn der erwartete Impfstoff da ist“, äußerte ein Reporter und fragte den RKI-Vize nach einem Statement zur notwendigen Herdenimmunität.

„Ob man immun ist, weil man die Infektion durchgemacht hat oder weil man eine Impfung bekommen hat, das spielt eigentlich keine Rolle“, antwortete Schaade. Die Herdenimmunität die erreicht werden müsse, um eine Virusverbreitung einzugrenzen, hänge von der Reproduktionszahl ab. Das wären 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung. „Wenn die geimpft sind, kann man davon ausgehen, dass eine Herdenimmunität eintritt.“ Das wäre das „Mindestziel“, das erreicht werden sollte.

Schaade ergänzt: „Ob man das durch eine Impfpflicht erreicht oder durch eine Empfehlung, das ist eine Frage, die ich zur Zeit nicht beantworten kann.“ Das sei auch eine „politische Frage“. Der RKI-Vize gehe derzeit davon aus, dass es bei Vorhandensein eines „sicheren und wirksamen“ Impfstoffes keine Akzeptanzprobleme geben werde. Mit einer Empfehlung könne dann der Schwellenwert schnell erreicht werden. „Sollte das nicht der Fall sein, kann man natürlich immer noch über eine Impfpflicht nachdenken.“

In Deutschland sind bis Freitagvormittag 150.383 Corona-Infektionen registriert worden. Das sind 2.337 mehr als am Vortag. 5.321 mit dem Erreger Sars-CoV-2 Infizierte sind nach RKI-Angaben bislang bundesweit gestorben, 227 mehr als am Vortag.

[Anmerkung der Red.: Nicht jeder, der infiziert ist, erkrankt am Virus. 80 Prozent aller Corona-Infektionen verlaufen mild. Nach Auskunft des Robert-Koch-Instituts werden alle Todesfälle von Patienten, bei denen eine Corona-Infektion nachgewiesen wurde, als Corona-Tote gewertet. Vorerkrankungen werden nicht berücksichtigt. Bei der Influenza ist das anders.] (mit dpa/afp-Anteil)

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