RKI-Chef: „Die Pandemie ist nicht vorbei“ – Todesursachen für COVID-19-Fälle nicht detailliert bekannt
Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, ist nach eigenen Worten „sehr optimistisch“, dass in Deutschland eine zweite Welle der Corona-Infektionen verhindert werden kann. Das sagte er in einer Pressekonferenz am 23. Juni.
Wieler begründete seinen Optimismus am Dienstag in Berlin damit, dass die Menschen in Deutschland die Abstands- und Hygieneregeln kennen und damit wissen, wie solch eine zweite Welle verhindert werden kann. „Das liegt echt in unserer Hand, in unserer Verantwortung.“
Corona-Maßnahmen hätten gegriffen
Den jüngsten deutlichen Anstieg des sogenannten R-Werts begründete Wieler damit, dass vermutlich die jüngsten großen Corona-Ausbrüche in Zusammenhang mit religiösen Veranstaltungen und in Fleischfabriken den R-Wert „massiv beeinflussen“. Endgültig stehe dies aber noch nicht fest, es werde noch geprüft.
Die Reproduktionszahl liegt laut Wieler geschätzt zwischen zwei und drei. Der sensitive R-Wert werde auf 2,76 geschätzt, der sogenannte stabile R-Wert auf 1,83. Die beiden Werte unterscheiden sich darin, dass der eine über vier Tage und der andere über sieben Tage betrachtet wird.
Fest stehe, dass die Maßnahmen gegriffen hätten. Gleichzeitig forderte Wieler die Bevölkerung auf, weiter achtsam zu sein. „Das Virus ist noch in unserem Land“, sagte er. Wenn man dem Virus jedoch die Chance geben würde, sich zu verbreiten, dann würde SARS-CoV-2 diese nutzen. Das sehe man in den lokalen Ausbruchsgeschehen. Insoweit müsse man weiterhin wachsam bleiben.
Der RKI-Chef bezeichnete die Behandlungskapazitäten als „weiterhin gut“. Es gebe derzeit keine Engpässe, aber es könne zwischenzeitlich zu Überlastungen durch lokale Ausbrüche kommen. „Momentan ist das aber nicht der Fall.“
Alles nur Momentaufnahmen
Nach Aussage des RKI-Chefs schaue man immer nur in ein Zeitfenster. In den letzten sieben Tagen wurden in Deutschland in den allermeisten Regionen nur sehr wenige Fallzahlen gemeldet. Aus 137 Kreisen seien sogar überhaupt keine Fälle gemeldet worden.
Andererseits gab es aber auch lokale Ausbrüche, die die Infektionszahlen derzeit wieder ansteigen lassen. „Die Pandemie ist nicht vorbei“, stellte Wieler klar – weder in Deutschland, noch weltweit.
Die Testkapazitäten für SARS-CoV-2 wurden in den vergangenen Wochen immer weiter erhöht. „Wenn jemand negativ getestet wird, ist das auch nur eine Momentaufnahme“, erklärte Wieler. Einen Freibrief bedeutet das nicht.
Weder würde es darauf hindeuten, dass man sich noch nicht angesteckt habe, noch dass man sich in Zukunft nicht mehr anstecken werde. Das Virus sei nur nicht nachweisbar.
„Selbstverständlich hat jeder Test bestimmte Qualitätsmerkmale“, sagte der RKI-Chef zur Fehlerquote der Corona-Tests. Dies sei auch einer der Gründe, warum keine Testungen durch die gesamte Bevölkerung gemacht würden, sondern nur anlassbezogen.
Gleichzeitig wies Wieler darauf hin, dass die Qualitätsparameter der Tests immer weiter verbessert würden. Außerdem würde nachgetestet, um Testergebnisse zu prüfen.
Keine erhöhten Werte nach Demos
Auf die Frage, dass erhöhte Infektionszahlen aufgrund der stark besuchten Demonstrationen nun ausbleiben und damit doch eine mildere Einschätzung der Situation möglich sei, erinnerte Wieler daran, dass bereits seit Beginn der Corona-Pandemie die Krankheitsschwere „ziemlich gut“ eingeschätzt worden wäre.
Bereits damals hätte das RKI gesagt, dass vier von fünf Infizierten nur milde Symptome haben würden. „Das hat sich sehr gut bestätigt durch die ganzen Zahlen“, sagte RKI-Chef. Aufgrund der vielen betagten Menschen und denjenigen mit Vorerkrankungen gebe es keinen Grund, „die Krankheitsschwere kleiner zu machen als sie ist“.
Dass die Lockerungen völlig folgenlos bleiben, davon gehe Wieler nicht aus. Es sei nicht ausgeschlossen, dass einzelne Infizierte auch auf Demos andere anstecken. „Wir werden das in Zukunft sehen.“
Gründe vor Schlachthof-Ausbrüche unklar
Die Frage zu den Gründen für lokale Ausbrüche in Schlachthöfen konnte Wieler nicht final beantworten. Sicher sei, dass bei beengten Wohnverhältnissen ein Virus schneller übertragbar sei. „Das ist eine Grundregel, die gilt für alle Wohnverhältnisse.“ Bei Schlachthöfen könnten insbesondere die Temperatur und eine Bildung von Aerosolen eine wesentliche Rolle bei der Virenübertragung spielen.
Bei Ausbruchsgeschehen müsse jeweils vor Ort die Situation eingeschätzt werden. Es reiche nicht aus, nur den Wert von 50 Infizierten auf 100.000 Einwohner allein zu betrachten. Man müsse im Blick haben, ob sich das Virus auf die Bevölkerung ausbreiten könne, wenn es sich lediglich um lokale Infektionsherde handele. „Das ist eine Pandemie in dem Ausmaß, wie wir sie in den letzten hundert Jahren nicht gehabt haben“, erklärte Wieler. Insoweit müsse sich jeder bewusst sein, dass sich das Virus leicht ausbreiten könne.
Dr. Ute Rexroth, Leiterin des Krisenzentrums an RKI, führte aus, dass die Landkreise Gütersloh und Warendorf in NRW sowie Göttingen, Magdeburg und Berlin-Neuköln besonders aktuell betroffen sind.
Armut und sozial prekäre Verhältnisse würden sehr zur Ausbreitung der Infektionen beitragen. Viele Übertragungen finden im Haushalt und auch Unterkünften und Heimen statt. Den Infektionsort zu ermitteln, sei schwierig, in vielen Fällen sogar ausgeschlossen, berichtete Rexroth. „Wir versuchen, unsere Instrumente nachzuschärfen.“
Insofern würde es jetzt mehr rechtliche Möglichkeiten geben, sodass das Infektionsgeschehen und die Infektionsorte zukünftig besser auf Bundesebene erfasst und ausgewertet werden können.
Innerhalb weniger Tagen haben sich zudem 12 Millionen Menschen die Corona-Warn-App heruntergeladen. Sie sollen dabei helfen, Infektionsketten früher zu erkennen und zu unterbrechen.
Risiko-Einschätzung für Kinder
Kinder können infiziert werden, werden aber seltener krank oder schwer krank im Vergleich zu Erwachsenen, betonte RKI-Chef Wieler.
Es sei klar, dass Kinder das Virus ausscheiden und an Erwachsene übertragen können. Die Effizient der Virusübertragung sei allerdings nicht klar. Im Vergleich zu anderen Infektionskrankheiten bräuchte man sich über eine COVID-Erkrankung von Kindern „ein bisschen weniger Sorgen machen“, ergänzte Rexroth.
Aber natürlich müsse man beispielsweise die Situation von Lehrern und Betreuerin im Blick haben, die zu Risikogruppen gehören. „Wir werden dieses Virus nicht eliminieren ohne einen Impfstoff“, stellte die Leiterin des RKI-Krisenzentrums klar.
Die neue Normalität
Dass es in den nächsten Monaten gar keine Fälle geben werde, kann sich Wieler nicht vorstellen, auch mit Blick auf den Herbst. „Wir werden kontinuierlich dieses Virus im Land haben.“ Davon ist der RKI-Chef überzeugt. Die Fallzahlen müssten eingedämmt werden, Kranke sollten sich in Quarantäne begeben, Zuhause bleiben und sich einem Test unterziehen.
Das wird die neue Normalität für die nächsten Wochen und Monate sein.“
Wieler erläuterte, dass im Winter wie jedes Jahr eine Grippewelle anstehen werde. Er hofft, dass durch die Abstandsregeln und das Tragen von Masken auch die Grippelast reduziert werde. Die Herausforderung im Herbst und Winter bestehe darin, den verursachenden Erreger herauszufinden. Insoweit würden die diagnostischen Tools geschärft. Außerdem gebe es noch die Grippeimpfung, mit der eine Krankheitslast reduziert werden könne.
Wissenschaftlich gebe es bislang keine Hinweise, dass die Abstandsregeln aufgehoben werden könnten.
„Das Robert Koch-Institut wird entsprechende Empfehlungen nach dem heutigen Wissensstand nicht ändern können“, sagte der RKI-Chef. Das sei ganz klar. Das betreffe auch Regionen, in denen aktuell keine Infektionen auftreten.
Allerdings könnten die lokalen Behörden auch von den RKI-Empfehlungen abweichen. „Wenn das begründet und gut begründet ist, werden sie das auch tun“, zeigte sich Wieler überzeugt. Das stehe aber in der Verantwortung der lokalen Gesundheitsbehörden.
COVID-19 als Todesursache
Auf die Anfrage der Epoch Times, wie viele Menschen nachweislich an Lungenentzündungen gestorben sind, antwortete RKI-Pressesprecherin Susanne Glasmacher per eMail:
Die Todesursache wird dem RKI nicht detailliert übermittelt. Allgemein ist es schwer, insbesondere bei Personen mit verschiedenen Erkrankungen, genau und abschließend zu wissen, woran eine Person verstorben ist. Obduktionen können hier hilfreich sein, können aber auch nicht in allen Fällen abschließende Gewissheit geben. Aktuell wird zu jeder verstorbenen Person in der Todesursachenstatistik eine ursächliche Todesursache (Grundleiden) erfasst, sodass der Arzt, der den Totenschein ausfüllt, entscheiden muss.
Wenn eine Person an oder mit COVID-19 verstirbt, entscheidet die den Leichenschein ausfüllenden Mediziner/innen, ob sie die Infektionserkrankung oder das Grundleiden (z.B. koronare Herzerkrankung) eintragen. Eine vollständige Erfassung der an/mit COVID-19 Verstorbenen in der Todesursachenstatistik ist daher sehr unwahrscheinlich.
In den Meldedaten nach Infektionsschutzgesetz – die ein anderes statistisches System darstellen – werden alle Todesfälle, die mit einer COVID-19-Erkrankung in Verbindung stehen, erfasst: Sowohl Menschen, die direkt an der Erkrankung gestorben sind („gestorben an“), als auch Patienten mit Grundkrankheiten, die mit COVID-19 infiziert waren und bei denen sich nicht klar nachweisen lässt, was letzten Endes die Todesursache war („gestorben mit“).
Verstorbene, die zu Lebzeiten nicht auf COVID-19 getestet worden waren, aber in Verdacht stehen, an COVID-19 gestorben zu sein, können post mortem auf das Virus untersucht werden. Eine Gewichtung der einzelnen Ursachen dürfte in der Praxis für behandelnde Mediziner/innen in den meisten Fällen nicht möglich sein. Fraglich ist zudem, wo die Grenze gezogen werden sollte. Zählt man jemanden zu den an COVID-19-Verstorbenen, der eine Woche, einen Monat, ein Jahr später an der Grundkrankheit gestorben wäre?
Insgesamt wurden 190.862 Infektionen bislang an das RKI gemeldet, darunter 8.895 Todesfälle. Von diesen Todesfällen haben laut Situationsbericht vom 22. Juni 4.935 eine Pneumonie, also eine Lungenentzündung, entwickelt. Nach Schätzung der Behörde sind 175.700 Infizierte bereits genesen. Rund 350 Menschen werden noch auf der Intensivstation behandelt. In Deutschland leben insgesamt rund 83,5 Millionen Menschen. (dts/afp/sua)
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