Richter haben große Zweifel an der Sicherheit der neuen Personalausweise

Verwaltungsgericht Hamburg: Bürger hat Anspruch auf Legitimationspapiere ohne Fingerabdrücke. Verein klagt vor dem Europäischen Gerichtshof.
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Fingerabdrücke für einen elektronischen Pass.Foto: Jan-Peter Kasper/Archiv/dpa
Von 5. April 2023

Die in Deutschland seit 2021 geltende Pflicht, wonach sich Bürger beim Beantragen eines Personalausweises mit einem Scanner Abdrücke des linken und rechten Zeigefingers abnehmen lassen müssen, beschäftigt weiter die Justiz. Das Verwaltungsgericht Hamburg hat nun mit einer einstweiligen Anordnung (Aktenzeichen: 20 E 377/23) entschieden, dass die zuständige Behörde einem Antragsteller ein solches hoheitliches Dokument auch ohne die auf dem Funkchip zusammen mit dem biometrischen Gesichtsbild gespeicherten Fingerabdrücke ausstellen muss. Das berichtet die Nachrichtenplattform „heise.de“.

Justiz äußert Kritik an der EU-Verordnung

Die Richter zweifelten in dem Eilverfahren „erheblich“ an der Rechtmäßigkeit der EU-Verordnung, die die Speicherpflicht für alle Mitgliedsstaaten vorschreibt. Sie halten eine Entscheidung für dringend, um zu vermeiden, dass der Antragsteller „einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleidet“.

Ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wäre der Antragsteller gezwungen, seine Fingerabdrücke bei der Beantragung eines neuen Personalausweises abzugeben.

Dies würde für ihn laut Urteil „einen erheblichen Nachteil bedeuten, da es sich hierbei um besonders geschützte Daten handelt“. Der Ausweis solle zunächst befristet für ein Jahr gelten, bis die Rechtslage höchstrichterlich geklärt ist. Die zuständige Behörde kann gegen den Beschluss Beschwerde einlegen.

Unvereinbar mit EU-Grundrechtecharta

In Deutschland ist der Besitz eines Personalausweises oder Reisepasses ab dem 16. Lebensjahr verpflichtend. Sonst drohen Bußgelder bis zu 5.000 Euro.

Hintergrund des Streits vor dem Hamburger Verwaltungsgericht ist eine Klage der Bürgerrechtsorganisation „Digitalcourage“. Der Verein hatte sich im Dezember 2021 gegen die Fingerabdruckabnahme und das ihr zugrundeliegende EU-Gesetz vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden gewehrt.

Die Richter in der hessischen Landeshauptstadt äußerten ebenfalls erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bestimmung. Sie hielten sie unvereinbar mit den Artikeln 7 und 8 der EU-Grundrechtecharta zum Schutz der Privatsphäre. Daher legten die Richter den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor. Der verhandelte Mitte März in großer Besetzung mit 15 Richtern.

Hintertür zur Zweckentfremdung

Wie „Digitalcourage“ auf seiner Internetseite berichtet, verteidigten die Vertreterinnen und Vertreter von EU-Rat, EU-Kommission, EU-Parlament und der Regierungen von Spanien und Belgien drei Stunden lang die Fingerabdruckpflicht.

Doch hatten die EuGH-Richter viele Fragen – unter anderem zu einem heiklen Schlupfloch: Die EU-Verordnung lässt nämlich auch zu, dass die Fingerabdrücke auch für andere Zwecke als die Erstellung eines Ausweises genutzt werden dürfen – wenn ein Gesetz der EU oder des Mitgliedsstaates dies vorsieht.

Dies sei „eine Hintertür zur Zweckentfremdung“, die auch einen der Richter irritiert habe. Daher habe er mehrfach nachgefragt, wie das sein könne. Eine befriedigende Antwort habe er jedoch nicht bekommen.

Nächster Diskussionspunkt war die maximal 90 Tage währende Speicherfrist für die Fingerabdrücke bei den örtlichen Ausstellungsbehörden. Weil die sensiblen Daten in dieser Zeit gehackt und gestohlen werden könnten, wollte der Richter wissen, ob der Gesetzgeber dieses Risiko abgewogen habe. Auch hierzu habe es keine Antwort gegeben.

EU-Vertreter ohne schlüssige Erklärungen

Die EU-Organe hätten letztlich nicht zufriedenstellend erklären können, wie eine Gefahr für die biometrischen Daten der betroffenen Bürger ausgeschlossen werden soll. Auch nach Ansicht des Vereins lasse sich das gar nicht ausschließen: „Wenn biometrische Daten einmal erhoben werden, besteht zwangsläufig ein Risiko für Datenlecks und Missbrauch der Informationen“, heißt es auf der Internetseite.

Die Veröffentlichung der Schlussanträge der Generalanwältin seien für den 29. Juni 2023 vorgesehen. Ein Termin für die Urteilsverkündung stehe noch nicht fest.



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