Richter: Es findet ein massiver Vertrauensverlust in den Staat und seine Gerichte statt
Allein dem Recht verpflichtet, unbestechlich, souverän und couragiert: So sieht das Idealbild aus, das sich die Bevölkerung von der Justiz macht, und in den 2000er Jahren haben in Deutschland beliebte Fernsehrichter wie Alexander Hold oder Barbara Salesch Tag für Tag zum Nachmittagskaffee vorgezeigt, wie es eigentlich funktionieren sollte.
Die tägliche Zeitungslektüre und vielfach auch eigene Erfahrungen belehrten viele jedoch eines Besseren: Zu oft stießen Bürger in der Justiz auf selbstgerechte Egomanen, oberflächliche Fließband-Abfertiger, Dauer-Tennisplatzkunden oder politische Aktivisten in Richterrobe, die am Ende Urteile produzieren, die zwar der Überprüfung durch die Oberinstanz standhalten könnten, aber weit am Gerechtigkeitsempfinden der Menschen vorbeigehen. Sie alle tragen eher dazu bei, das Vertrauen der Bürger in die Justiz zu untergraben. Auch das trägt dann wiederum dazu bei, dass Menschen dazu neigen, sich selbst ihr Recht zu verschaffen oder dass Formen von Paralleljustiz entstehen.
Kaputtsparen und Fehler in der Personalauswahl
Thorsten Schleif, ein Richter am Amtsgericht Dinslaken (NRW), hat jüngst das Buch „Urteil: ungerecht: Ein Richter deckt auf, warum unsere Justiz versagt“ veröffentlicht, in dem er den Gründen dafür nachgeht, warum sich Erwartungshaltung und Realität bezüglich der Justiz in Deutschland und anderen europäischen Ländern häufig nicht decken. Auf „Tichys Einblick“ äußert er sich auch im Interview zu seinen Erkenntnissen.
Schleif beklagt, dass die Justiz bundesweit kaputtgespart worden sei und dass es sowohl bei der Einstellung als auch Ausbildung und Besoldung Unwägbarkeiten gäbe, die den Richterberuf für wirklich Qualifizierte unattraktiv erscheinen ließen – und stattdessen Leute mit hohem Sendungsbewusstsein anzögen, denen es allerdings an Gespür mangele:
„Richter werden einerseits nicht richtig ausgewählt, andererseits nicht weiter ausgebildet. Und Richter haben gewisse Charaktereigenschaften, die dazu führen, dass sehr viele Skandalurteile ergehen. Unter Skandalurteilen verstehe ich Strafurteile, die dem Gerechtigkeitsempfinden sowohl des Laien als auch des Fachmanns widerstreben. Urteile, bei denen man denkt: Das kann doch so nicht gewesen sein! Ich merke, dass ein massiver Vertrauensverlust in den Staat und insbesondere in seine Gerichte stattfindet. Das ist gefährlich.“
Aber auch eine Überforderung infolge politischer Entscheidungen trage zu Qualitätseinbußen in der Justiz bei. So sei in der Zeit zwischen 2007 und 2017 die Zahl der Asylverfahren um 1650 Prozent angestiegen – die Zahl der Richter, die sie zu bearbeiten haben, selbstredend nicht, was eine entsprechende Mehrbelastung allein schon in diesem Bereich nach sich ziehe.
Spitzenkräfte in Großkanzleien besser bedient
Dazu kämen personelle Engpässe, die dadurch verstärkt würden, dass die Qualität der potenziellen Bewerber nicht besser werde:
„Man muss auch berücksichtigen, dass die Justiz sowohl im richterlichen als auch im nichtrichterlichen Bereich große Probleme hat, geeignetes Personal zu finden. In den nächsten zehn Jahren werden 40 Prozent der Richter und Staatsanwälte pensioniert, aber bereits jetzt haben wir Schwierigkeiten, die offenen Richterstellen zu besetzen. Ich komme aus dem OLG-Bezirk Düsseldorf, wo derzeit 30 Richterstellen nicht besetzt sind, weil es keine geeigneten Kandidaten gibt. Im OLG-Bezirk Hamm sind es sogar 80 offene Stellen.“
Die zusätzliche Arbeitsbelastung und die personellen Engpässe lassen, so Schleif, auch Vorteile wegfallen, die in früheren Zeiten für die Richterlaufbahn gesprochen hätten – und Phänomene wie den sprichwörtlichen Tennis- oder Golf-Richter ermöglichten, der in der Zwischenzeit seine Urteile vom Referendar vorbereiten ließ.
„Früher konnten wir mit der Work-Life-Balance ein wenig punkten, die Arbeitszeit war im Gegensatz zu Großkanzleien, wo man 50 bis 60 Wochenstunden hat, doch angenehmer. Da hat die Justiz allerdings nachgezogen. Ich selbst habe als Berufsanfänger auch zwischen 80 und 90 Wochenstunden gearbeitet. Das geht rein körperlich auf Dauer nicht gut.“
Unabhängige Justiz ist ein Mythos
Mittlerweile böten Großkanzleien Einstiegsgehälter von bis zu 140 000 Euro jährlich – bei einer Arbeitszeit von nicht mehr als 42 Stunden. Das Richteramt könne auf diese Weise vor allem bei jenen, die zu den Spitzenkräften ihrer Zunft gehören, nicht mehr konkurrieren.
Thorsten Schleif räumt auch mit dem Mythos einer unabhängigen Justiz in Deutschland auf. So gäbe es in Deutschland keine strikte Gewaltentrennung und auch von einer Selbstverwaltung der Gerichte könne keine Rede sein. Präsidentenposten würden vom parteipolitisch besetzten Justizministerium bestimmt, die Politik nehme auch Einfluss auf die Beförderung von Richtern. Der frühere BGH-Richter Thomas Fischer habe Recht mit seiner Einschätzung, dass „jenseits einer bestimmten Besoldungsstufe nichts mehr ohne parteipolitische Hintergrundmusik passiert“.
Als mögliche Lösungsoptionen spricht Schleif eine Reform der Selbstverwaltung an, dazu müssten Investitionen in bessere Besoldung, Ausbildung und technische Ausstattung treten, insbesondere mit Blick auf die flächendeckende Verankerung der „elektronischen Akte“.
Härtere Gesetze im Umgang mit Straftätern hält Schleif nicht für zwingend erforderlich, allerdings mahnt er zur besseren Ausschöpfung der bestehenden mit ihren Strafrahmen. An der Bereitschaft dazu fehle es einigen Kollegen jedoch:
„Als Richter muss ich das Selbstbewusstsein haben, eine harte Strafe auszusprechen, wenn sie erforderlich ist. Das fehlt vielen Kollegen, die aus falsch verstandenem Mitleid zu geringen Strafen neigen.“
„Toleranz kann sich nur der Stärkere erlauben“
Auch politische Korrektheit sei fehl am Platze. Es dürfe keine Rücksichtnahme auf „kulturelle Befindlichkeiten“ geben, wenn beispielsweise ein „Ehrenmord“ verhandelt werde. Auch seien erhöhte Ausländerkriminalität und höhere Gewaltbereitschaft in bestimmten Einwanderergruppen Fakten, die sich aus den Zahlen der Statistik heraus ableiten ließen. Wer diese verleugne, verleugne die Realität. Hysterie sei fehl am Platze, aber es müsse eine Reaktion erfolgen.
Um diese gewährleisten zu können, bedürfe es jedoch des Willens zur Selbstbehauptung vonseiten des Staates – der, so Schleif, zuletzt nicht immer erkennbar gewesen sei:
„Ich kann nur wiederholen: Eine schwache Staatsgewalt, die sich zurückzieht, bildet eine Art rechtsfreien Raum. Egal ob für Links- oder Rechtsextreme oder für gewaltbereite Ausländer. Toleranz kann sich nur der Stärkere erlauben. Diese Stärke haben wir momentan nicht. Wir haben den Rechtsstaat zurückweichen lassen.“
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