RAF-Symbolort der Linksterroristen: Stammheim wird abgerissen
Die Uhr im Foyer des berühmten Gerichtssaals in Stuttgart-Stammheim zeigt kurz vor zehn Uhr an. Tatsächlich ist es am Montag schon halb elf – die Zeit ist wortwörtlich stehengeblieben in jenem Gerichtsgebäude, in dem einst die Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) verurteilt wurden.
Eigens für die Prozesse der ersten Generation der RAF – die Angeklagten Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe – war der Bau in die Höhe gezogen worden. Nun soll bald mit dem Abriss begonnen werden und ein Symbolort der Geschichte des deutschen Linksterrorismus endgültig der Vergangenheit angehören.
Im Jahr 2019 wurde hier das letzte Urteil gesprochen – in einem anderen Terrorverfahren gegen Islamisten. An die endlosen RAF-Verfahren erinnern unzählige Striche an einer weiß getünchten Wand im Durchgang zum Verhandlungssaal.
Den ersten Strich zog einst Bundesanwalt Klaus Pflieger, der die Ermittlungen gegen den damaligen Terroristen Peter-Jürgen Boock führte und außerdem Vernehmender bei den sogenannten Lebensbeichten war.
„Ich bin auf den Tisch gestiegen und habe einen Strich gemacht wie ein Häftling. Am Ende waren es 85 Striche“, erinnert sich der heute 75-Jährige an das erste Verfahren gegen Boock. Pflieger verbrachte mehr als 200 Verhandlungstage in dem Gerichtssaal mit den orangefarbenen Schalensitzen.
„Erfolgreicher Kampf des Rechtsstaats gegen den Terror“
„Das Mehrzweckgebäude steht für den erfolgreichen Kampf des Rechtsstaats gegen den Terror“, sagt Pflieger rückblickend. Im April 1977 verurteilte der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart die Terroristen Baader, Ensslin und Raspe zu lebenslangen Freiheitsstrafen.
Meinhoff hatte sich 1976 in ihrer Zelle erhängt. Gegen die anderen wurde das Urteil jedoch auch nicht rechtskräftig – sie nahmen sich 1977 im Deutschen Herbst ebenfalls das Leben.
Richter Kurt Breucker war im ersten Terrorverfahren in Stammheim Berichterstatter des Staatsschutzsenats. Dieser habe sich weder von der Agitation der Angeklagten und ihrer Verteidiger sowie zahlreicher linker Unterstützer und Sympathisanten „noch durch den Druck rechter Kreise, angeführt von der Springerpresse“ beeinflussen lassen, sagt der Jurist.
Immer und immer wieder nahmen er und seine Kollegen Platz an der langen Richterbank, die nun in den nächsten Tagen abgebaut und als Ausstellungsstück erhalten bleiben soll.
Einer der Verteidiger im ersten Stammheim-Verfahren war der Rechtsanwalt und frühere Grünen-Politiker Rupert von Plottnitz. „Die Erfahrungen waren nicht so, dass ich bei dem Abriss in Trauer verfalle“, sagt er heute.
Er moniert auch fast fünf Jahrzehnte später, dass das Gebäude extra für das erste Terrorverfahren gebaut wurde. „Verhandlungen in Sondergebäuden statt in normalen Gerichten stigmatisieren zwangsläufig Angeklagte als vermeintliche Gemeingefahr, was der Unschuldsvermutung nicht guttun kann.“
Museen übernehmen Teile des Inventars
Der Zuschauerbereich in dem nüchternen Verhandlungssaal, der den Charme einer Produktionshalle versprüht, ist nur durch ein hüfthohes hölzernes Geländer abgetrennt. Die Prozessbesucher wurden bei allen Verfahren in Stammheim stets strengstens kontrolliert.
Dafür gab es extra mehrere kleine Kabinen. Die eisernen Drehkreuze für die Personenkontrollen funktionieren noch – sie fallen im Eingangsbereich wie vor Jahrzehnten mit einem Quietschen in die Rasterstellung.
Das leere Gebäude wirkt auf den Besucher, als ob es fluchtartig verlassen worden wäre. In den Zimmern der Richter liegen Strafgesetzbücher unterschiedlicher Auflagen herum. In einem Raum scheint es sich sogar jemand gemütlich gemacht zu haben – hier steht noch ein alter Ledersessel.
In der polizeilichen Leitstelle im hinteren Gebäudeteil ragt eine Wand aus 38 uralten Bildschirmen auf. Kleine Ampeln zeigten dort früher an, wenn ein Mensch in die Nähe des Gefängniszauns kam. Die Zellen wirken äußert karg – Tisch, Stuhl, Waschbecken und Toilette auf nur wenigen Quadratmetern.
An manchen Türen und Gegenständen sind Aufkleber angebracht – unter anderem vom Strafvollzugsmuseum Ludwigsburg und dem Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Anfang April übernimmt letzteres mehrere Möbel und andere Objekte.
Richter- und Verteidigertische und sogar mehrere Sitzeinheiten aus dem Zuschauerbereich werden ausgebaut und abtransportiert, berichtet Ausstellungsleiter Rainer Schimpf. „Die Tische stehen für die im sogenannten Stammheim-Prozess von 1975 bis 1977 massiv geführte Konfrontation zwischen dem Vorsitzenden Richter Theodor Prinzing und den Verteidigern der Angeklagten von der RAF.“
Es werden gleichfalls Tür, Tisch und Stühle aus einer der Verwahrzellen für die Angeklagten übernommen und in ein Depot gebracht. Irgendwann sollen alle diese Gegenstände dann einmal ausgestellt werden – und die Geschichte des Mehrzweckgebäudes in Stuttgart-Stammheim erzählen. (dpa/red)
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