Radio-Sternstunde seltener Offenheit: Anonyme ARD-Mitarbeiterin sieht keine Zukunft für ihren Sender

Eine Mitarbeiterin einer ARD-Anstalt hat öffentlich kaum ein gutes Haar an ihrem Arbeitgeber gelassen: Sie sehe keine Zukunft für den „Riesen-Tanker“. Die anonyme Stimme war ausgerechnet im krisengeschüttelten „Rundfunk Berlin-Brandenburg“ zu hören.
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Der „Rundfunk Berlin-Brandenburg“ sorgt seit einem Jahr immer wieder für Schlagzeilen. Das Symbolbild zeigt das Hauptgebäude des Senders.Foto: iStock
Von 4. Juli 2023

Die Hörer des rbb-„Medienmagazins“ durften am frühen Samstagabend eine Sternstunde seltener Offenheit erleben: Radiomoderator Jörg Wagner ließ in einem aufgezeichneten Interview eine anonyme Mitarbeiterin seines Senders zu Wort kommen, bei der sich offenbar eine Menge Enttäuschung über ihren gemeinsamen Arbeitgeber und das gesamte Konstrukt der ARD aufgestaut hatte. Die Springer-Zeitung „Business Insider“ hatte als Erstes darüber berichtet.

„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Riesen-Tanker“, erklärte die Dame auf die Frage, ob das System noch eine Zukunft habe. Und weiter:

Da wird immer noch ein Deck aufgezogen, oben, da kommt noch mal ein Sonnendeck und noch ein Sonnendeck. Und da oben steht man, trinkt Champagner, isst Canapés und fühlt sich sehr wichtig. Und unten, da sitzen die Galeeren-Sklaven und rudern um ihr Leben, bekommen immer mal ein bisschen Brot und Wasser. Wenn es dann gar nicht mehr vorwärtsgeht, dann sagt man: ‚Oh, wir müssen ein bisschen Last abwerfen‘, da schmeißt man ein paar Sklaven über Bord.“

Sie gehe davon aus, dass es „jetzt nicht mehr lange dauern“ werde, bis „das Ding“ untergehe. Was sie selbst „sehr schade“ fände (Audio-Podcast beim rbb ab ca. 33:12 Min., auch direkt als MP3).

Starker Widerstand gegen „wirkliche Reformen“

Das Kernproblem liege ihrer Meinung nach daran, dass „sie“ – die Mitarbeiterin meinte wohl in erster Linie die Sonnendeck-Offiziere des Schiffs rbb beziehungsweise der ARD – „das Ding lieber vor den Baum fahren lassen, als irgendetwas an ihren Privilegien zu ändern“. Jene auf dem Sonnendeck hätten sich so lange „gegen wirkliche Reformen, gegen wirkliche Strukturveränderungen“ gesträubt, dass sie nun nicht mehr anders könnten. Ein großes persönliches Risiko hätten die wenigen Passagiere auf dem Sonnendeck ja nicht zu tragen:

Wenn das Ding dann untergeht, […] dann werden die in ihre Rettungsboote steigen, die stehen bereit und werden irgendwo in den Sonnenaufgang rudern, sich rudern lassen von den restlichen Sklaven, die sie vielleicht noch mitnehmen – und der Rest wird untergehen.“

Keine gute Prognose also für die über 2.000 Mitarbeiter des „Rundfunk Berlin-Brandenburg“ – und wohl auch keine gute Zukunftsschau für die Beschäftigten der übrigen acht Landesrundfunkanstalten (LRAs) und die „Deutsche Welle“ (DW), die gemeinsam die Flotte der „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“ (ARD) bilden. Nach eigenen Angaben beschäftigte der Verbund ohne die DW Ende 2021 gut 22.000 Angestellte mit festen Voll- oder Teilzeitverträgen.

Keine Hoffnung auf Änderung – Sparmantra allgegenwärtig

Dass „der öffentlich-rechtliche Rundfunk […] nicht reformierbar“ sei, sei ihr schon vor dem Skandal um die ehemalige rbb-Intendantin und ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger klar gewesen, erzählte die anonyme rbb-Mitarbeiterin. Deshalb habe sie auch „überhaupt keine Hoffnung“ auf „irgendwelche großartigen Veränderungen“ gehabt, „als es vor einem Jahr explodiert“ sei. Dass der „Business-Insider“ die Äffäre um finanzielle Selbstbedienung, lukrative Bonus-Systeme für Führungskräfte und Korruption Ende Juni 2022 aufgedeckt hatte, war der Aufhänger der „Medienmagazin“-Ausgabe vom 1. Juli 2023 gewesen.

Seit 25 Jahren habe die anonyme Insiderin speziell in ihrer Zeit als freie Mitarbeiterin immer wieder nur das „ständige Mantra“ „Wir müssen sparen, wir müssen sparen“ gehört. Mit dem Geld geknapst worden sei aber stets an Dingen wie ihrem eigenen Honorar oder „an den Möglichkeiten für die Produktion […], um was Vernünftiges auf die Beine zu stellen“. An diesem Gebaren habe sich bis heute „gar nichts geändert.“ Noch immer gelte beim rbb das Motto: „Wir sparen, bis alles kaputt ist“.

Knackpunkte: Pensionsansprüche und zu viele Kanäle

Sie selbst sehe durchaus Möglichkeiten, das Geld der Gebührenzahler gezielter einzusetzen. Zum Beispiel, indem man sich an die Pensionsansprüche der Festangestellten heranwage. „Warum gibt es so was überhaupt? Wie konnte so was sich überhaupt entwickeln?“, fragte die Interviewte – und sprach weiter über „diese ganze aufgeblähte Struktur von Leuten, die unglaublich viel Geld bekommen“ und sich „in den Jahrzehnten auch mithilfe der Gewerkschaften […] die Taschen immer voller und voller gemacht haben“.

Nicht viele Freunde dürfte sie sich auch gemacht haben, als sie sich dafür starkmachte, ARD-weit die Zahl der Hörfunkwellen und Fernsehkanäle zu reduzieren: Aufgrund der sendetechnischen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte gebe es „gar keine Begründung mehr dafür, dass wir neun Landesrundfunkanstalten mit neun 24-Stunden-Fernsehprogrammen haben, dass jede Landesrundfunkanstalt vier, fünf, sechs Radiowellen hat“, erklärte die anonyme rbb-Mitarbeiterin. Ihrer Meinung nach genügten im Hörfunk ein einziges Formatradio und ein Informationssender. Auch ein „analoger Fernsehsender“ würde ihr ausreichen, und zwar einer, „der mit ganz vielen regionalen Fenstern arbeitet, am Vorabend zum Beispiel.“

Das analoge Fernsehen sei ohnehin „so gut wie tot“. Sie plädiere deshalb dafür, stattdessen auf mehr Angebote in der Mediathek zu setzen. Ihr schwebe eine Rumpflösung vor, bei der die Hörer und Zuschauer ein Grundangebot „für eine wesentlich geringere Gebühr“ gestellt bekämen. „Dann können die Leute dazukaufen – und sie würden dazukaufen, ich würde das auch sofort machen“, meinte die interne Kritikerin.

Reformideen der ARD-Spitze

Von solchen Ideen war bei der ARD bislang nicht viel zu hören, sieht man einmal von der Option zur Abschaltung einiger analoger Spartensender und der kürzlich erklärten Absicht, „zentraler statt regionaler“ zu werden, ab.

ARD-Chef und SWR-Intendant Prof. Kai Gniffke etwa träumt nach eigenem Bekunden vielmehr davon, privaten Streamingdiensten wie Netflix, Amazon Prime und Co. mit einer „Gesamtplattform von ARD, ZDF und DRadio“ Paroli zu bieten und die „digitale Erneuerung der ARD“ umzusetzen. Eine eigene soziale Plattform, der „Public Space Incubator“, sei als Alternative zu Twitter und Co bereits im Aufbau.

Für diese Pläne benötigt Gniffke allerdings eher mehr statt weniger Geld: Hätte er allein zu entscheiden, würde der monatliche Rundfunkbeitrag pro Haushalt von aktuell 18,36 Euro auf rund 25,00 Euro erhöht. Bislang sieht es aber nicht danach aus: Erst kürzlich wurde bekannt, dass die Regierungen von sechs Bundesländern eine Erhöhung zum 1. Januar 2025 ablehnen.

Unmut hinter den Kulissen

Bei der anonymen Kritikerin scheint es sich nicht um die einzige Mitarbeiterin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu handeln, die sich nicht mehr mit ihrem Arbeitgeber identifizieren kann. Schon während der Corona-Zeit hatten sich einige Dutzend Insider auf der Website „Meinungsvielfalt.jetzt“ positioniert, um ein Zeichen gegen die aus ihrer Sicht unzureichende und einseitige Berichterstattung zu setzen und ihre Häuser zur Kursumkehr zu bewegen – schon um den „Grundsätzen und dem Programm­auftrag“ Genüge zu tun.

Wie das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) berichtete, waren zwei Medienforscher bereits im August 2020 zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt wie die Autoren von „Meinungsvielfalt.jetzt“. Der ARD-Verbund war sich aber offenbar keinerlei Verfehlungen bewusst und wies die Kritik als „nicht nachvollziehbar” zurück.

ARD-Intendant Gniffke hatte der Epoch Times auf Anfrage im März 2023 bestätigt, dass es keinen „runden Tisch“ zur Corona-Aufarbeitung geben werde, bei dem auch Experten mit abweichenden Meinungen zu Wort kommen könnten. Er selbst habe sich „in einem persönlichen Gespräch mehreren Kritikern unserer Corona-Berichterstattung gestellt“. Dabei habe es „einen respektvollen und wertschätzenden Austausch der unterschiedlichen Ansichten“ gegeben.



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