„Querdenken“ weist Vorwürfe des Antisemitismus und der Radikalisierung zurück
Michael Ballweg, der Initiator der „Querdenken“-Proteste, die sich gegen Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern wendet, hat in einer umfangreichen Presseerklärung Vorwürfe des Antisemitismus und einer Radikalisierung gegen seine Bewegung scharf zurückgewiesen.
Bereits am 24. November hatten der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, und SPD-Vizechef Kevin Kühnert diese in der Bundespressekonferenz erhoben. Kahane steht selbst wegen ihrer früheren Tätigkeit als inoffizielle Mitarbeiterin (IM) der DDR-Staatssicherheit in der Kritik.
Ballweg: Jüdischer Glaube bei Demos „weder Thema noch Grund noch Problem“
Die Initiatoren der Pressekonferenz hatten die Präsenz von Verschwörungsideologen in Onlineforen von „Querdenken“ sowie Selbststilisierungen zu bekannten Nazi-Opfern Anne Frank und Sophie Scholl durch Kundgebungsteilnehmer zum Anlass genommen, die Bewegung zu einer Bedrohung zu erklären.
Ballweg wies diese Vorwürfe zurück und warf Kahane „unseriöse und hetzerische Rhetorik“ vor, deren Zweck es offenkundig sei, die Proteste gegen die Corona-Politik zu dämonisieren und deren Gegner in der Öffentlichkeit zu stigmatisieren. Zum Judentum hätten die Demonstrationen der „Querdenken“-Bewegung gar keinen Bezug, heißt es in der Erklärung:
„Unsere Demonstrationen sind parteilos, parteiunabhängig und auch religionsunabhängig. Dabei ist der jüdische Glaube innerhalb der Demonstrationen weder ein Thema noch ein Grund der Demonstration, oder irgendein Problem. Es wäre also ratsam für Frau Kahane, wenn sie nicht hinter jedem Stein und jedem Demonstranten einen Verschwörer in ihrer Fantasie erahnt.“
„Selbstverliebtes und totalitäres Prinzip“
Auch den Begriff „Corona-Leugner“, den man den Teilnehmern an den „Querdenken“-Kundgebungen zugeschrieben hatte, wies Ballweg zurück. Niemand stelle die Existenz des Virus infrage, es gehe der Bewegung „einzig und allein um eine fragwürdige Restriktionspolitik, die sich in ein selbstverliebtes und totalitäres Prinzip zu verwandeln droht“. Ballweg warf Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Erklärung vor, das totalitäre Regime in China verharmlost und sogar als vorbildlich dargestellt zu haben.
Im Rahmen eines Digitalgipfels der Bundesregierung hatte Merkel die Frage aufgeworfen, warum China, aber auch das freiheitliche Südkorea besser aus der Krise kämen und dabei auch als mögliche Erklärungen in den Raum gestellt, dass diese Länder „viel besser die Masken tragen und nicht so viel ,Querdenker‘-Demos haben“. Sie fügte später hinzu, sie respektiere natürlich das Demonstrationsrecht, und Deutschland könne und wolle „auch nicht die Mittel einsetzen wie China mit seinem Kontrollsystem“.
Antisemitismus-Beauftragter warnt vor Verharmlosung der Nazi-Verbrechen
Die „Querdenken“-Bewegung wandte sich außerdem gegen Anschuldigungen, in ihr würde eine Radikalisierung stattfinden. Kahane hatte in der Pressekonferenz erklärt, die Kundgebungen würden „verschiedenste Milieus aus der bürgerlichen Mitte zusammenbringen, die sich in einer geradezu irrationalen Form auflehnen gegen die Errungenschaften der Moderne, gegen die Vernunft und das was nötig ist in Corona-Zeiten“.
Der Antisemitismus-Beauftragte Felix Klein beklagte die zunehmenden Vergleiche von Protestierenden gegen die Corona-Maßnahmen mit Opfern des Nationalsozialismus. Diese „verhöhnen die tatsächlichen Opfer und relativieren die Schoah“, betonte Klein und diagnostizierte, dass sich in den Reihen der Protestbewegung „Esoteriker, Heilpraktiker, Friedensbewegte, Reichsbürger und offen Rechtsextreme“ zusammenfänden, die unter anderen Vorzeichen keine gemeinsame Basis fänden.
Ballweg sieht in dieser Darstellung eine unzulässige Pauschalisierung, zudem könne von einer Radikalisierung keine Rede sein:
„Wir sind eine sehr große bundesweite und grenzüberschreitende Bürgerbewegung mit großer Teilnehmerzahl und repräsentieren einen Teil des Willens des Volkes, bzw. der Bevölkerung, der bisher ignoriert wurde.“
Sogar Antifa-Vertreter beteiligten sich an „Querdenken“-Demonstrationen
Auf die Demonstrationen von „Querdenken“, so heißt es in der Erklärung weiter, könne jedermann kommen. Die Möglichkeiten, Personen davon auszuschließen, würden schon durch das Ordnungsamt massiv eingeschränkt, das die Verantwortlichen unter Verweis auf Art. 8 GG sogar explizit dazu anhielten, dies nicht zu tun.
Es hätten bisweilen sogar Vertreter der „Antifa“ an Kundgebungen von „Querdenken“ teilgenommen und sogar auf Podien gesprochen:
„Was uns Menschen als Motiv der Demonstrationen alle verbindet, ist die Forderung der Aufhebung der Corona-Restriktionen und einem Untersuchungsausschuss im Bundestag.“
Ballweg kritisierte auch „einen unhaltbaren, gegen den Pressekodex oftmals verstoßenden Meinungsmache-Journalismus“. Dieser äußere sich unter anderem darin, dass im Zusammenhang mit gewalttätigen Ausschreitungen am Rande einer Kundgebung in Leipzig verschwiegen werde, dass diese von linksextremen Gegendemonstranten ausgegangen sei.
Auch mit Blick auf den sogenannten „Reichstagssturm“ vom 29. August bliebe regelmäßig unerwähnt, dass dieser aus einer Kundgebung heraus stattgefunden habe, die unabhängig von jener der „Querdenken“-Initiative stattgefunden habe.
„Stereotype auch bei uns, aber weniger als in der Gesamtgesellschaft“
Ballweg erklärte, Einschüchterung, Gruppenzwang und Denunziantentum, die in Deutschland wieder Platz griffen, stellten eine Gefahr für Freiheit und Meinungsvielfalt dar. Medien und auch Politiker stachelten diese noch zusätzlich an. Man fordere „einen öffentlichen sowie intakten Debattenraum, in dem die Meinungsvielfalt ohne Sanktionen und Hetze möglich ist“, denn im Moment sei man „in der Republik nicht mehr weit von der politischen Regime-Verfolgung entfernt, die durch genau dieselbe Regierung anderorts mit Empörung und Kritik beantwortet wird“.
Was antisemitische Denkmuster in Form von verdeckten Stereotypen betreffe, räumte Ballweg ein, dass solche weit verbreitet seien und auch innerhalb der Demonstrationen von „Querdenken“ auftauchten.
Er gehe jedoch davon aus, dass „solche Stereotype bei uns insgesamt weniger und vor allem weniger aggressiv anzutreffen sind als im gesamtgesellschaftlichen Kontext“.
Da man sich bei jeder Demonstration deutlich für Frieden unter den Menschen und gegen jedwede Form des Extremismus und der Gewalt ausspreche und positioniere, könne man „nicht einmal im Ansatz von einer Duldung sprechen“.
Nachtwey-Studie: Rechtsextreme Agitationsthemen bei „Querdenken“ bedeutungslos
Eine jüngst veröffentlichte Studie eines Forscherteams um den Soziologen Oliver Nachtwey von der Universität Basel zufolge sympathisiere ein erheblicher Teil der Kundgebungsteilnehmer von „Querdenken“ mit Parteien wie den Grünen und der Linkspartei. Zudem, so heißt es dort, fehle der Zuspruch zu klassischen rechtsextremistischen Agitationsthemen wie Fremden- oder Islamfeindlichkeit.
Das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg hatte jedoch in der Vorwoche angekündigt, die Bewegung künftig mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten zu lassen. Innenminister Strobl befürwortete kürzlich, Quarantäne-Verweigerer in eine Psychiatrie einweisen zu lassen. (Mit Material von afp)
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