Pseudosicherheit Flughafenkontrolle? So kommen Infizierte nach Deutschland

Bieten Flughafenkontrollen nur eine Pseudosicherheit? Wer keine Symptome hat, darf einreisen. Wer Fieber mit Paracetamol unterdrückt und verneint, dass er mit einem Coronavirus-Infizierten Kontakt hatte, darf auch einreisen. Wie sicher sind die deutschen Flughafenkontrollen für China-Reisende? Wir sprachen mit Dr. Udo Götsch vom Frankfurter Gesundheitsamt.
Von 19. Februar 2020

Noch immer landen Flüge aus China direkt in Deutschland – an den Flughäfen Frankfurt am Main und München. „Verschärfte Einreisekontrollen“ gelten seit letztem Samstag an deutschen Flughäfen für Reisende aus China, so heißt es vom Bundesgesundheitsministerium. Darauf haben sich die EU-Gesundheitsminister in Brüssel wegen der Ausbreitung des Coronavirus am vergangenen Donnerstag (13.2) geeinigt. Bislang waren Auskünfte zum Flug, persönliche Angaben wie Name, Anschrift, Telefonnummer und Email notwendig. Darüber hinaus wurde nach Mitreisenden und einer Kontaktperson, die in den kommenden 30 Tagen erreicht werden kann, gefragt.

Neu ist, dass die Passagiere vor der Landung in Frankfurt am Main und München nun eine Selbstauskunft erteilen müssen. Zudem werden den Reisenden drei weitere Fragen gestellt. Doch was bedeutet das genau? Darüber informiert Dr. Udo Götsch vom Gesundheitsamt Frankfurt in einem Gespräch mit der Epoch Times.

ET: Herr Dr. Götsch, welche Informationen müssen Passagiere aus China zusätzlich eintragen?

Auf der zweiten Seite des Fragebogens werden nun noch Fragen zu Symptomen gestellt, und zwar nur zu den Hauptsymptomen Husten, Fieber und Atemnot. Die Passagiere müssen angeben, ob sie unter einem oder mehreren Symptomen leiden.

Dann wird das ganze kombiniert mit einer zweiten Frage, nämlich ob sich die Passagiere während der letzten Tage in einem Risikogebiet aufgehalten haben oder einen engen Kontakt zu einer Person aus einem engen Risikogebiet hatten. Das muss man ihnen natürlich erläutern.

ET: Welche Risikogebiete sind das aktuell?

Dr. Götsch: Der aktuelle Stand wird vom Robert-Koch-Institut so beschrieben, dass außer der Region Hubei, wo immer noch 80 Prozent der Erkrankungen festgestellt werden, noch vier zusätzliche Städte im Osten Chinas hinzukommen. Dabei handelt es sich um die Städte Wenzhou, Hangzhou, Ningbo, Taizhou in der Provinz Zhejiang.

Zurück zur Ausreisekarte: Die dritte Frage ist, ob man Kontakt zu Menschen aus dem Risikogebiet oder einem Infizierten hatte. Diese Fragen gelten immer in Kombination mit Symptomen.

ET: Bedeutet das für denjenigen, der keine Symptome hat, das er nichts weiter angeben muss?

Dr. Götsch: Genau, so ist das. Aber aus den Risikogebieten kommt ja jetzt auch niemand mehr. Das ist ja abgeriegelt. Und es ist nach wie vor so, dass die meisten Neuerkrankungen in der Provinz Hubei festgestellt werden.

ET: Wer muss die Aussteigerkarten ausfüllen?

Dr. Götsch: Die Aussteigerkarten werden nur von den Passagieren verlangt, die direkt aus China einreisen. Also Reisende aus London, Frankreich, Bangkok oder Dubai müssen nichts ausfüllen.

Lücken bei Flughafenkontrollen

ET: Wenn also ein Chinese aus Paris kommt, der hustet, rutscht quasi durch?

Dr. Götsch: Es gibt Verpflichtungen der Crew, Schwerkranke zu melden. Gerade jetzt in der Wintersaison bedeutet das, wer diskret hustet, wird nicht gemeldet. Die müssen schon so schwer krank sein, dass der Kapitän einen Anlass sieht, den Fall zu melden. Der Schutz der Bevölkerung hat Vorrang. Allerdings muss auch vermieden werden, dass sich wegen eines leichten Infektes eines Passagiers der Weiterflug von 300 anderen Reisenden verzögert.

ET: Werden die Aussteigerkarten auf Richtigkeit überprüft?

Dr. Götsch: In einem Vorspann zu den Fragen wird an die Ehrlichkeit appelliert. Allerdings ist es nicht möglich die Antworten zu überprüfen. Wenn jemand beispielsweise Fieber hat und eine Tablette Paracetamol einnimmt, wird er selbst bei einer Temperaturmessung nicht auffallen. Noch schwerer ist es, die Angaben zu überprüfen, wenn jemand das Formular in Mandarin ausfüllt. Da bräuchten wir jedes Mal einen Übersetzer. Wir können keinen Wahrheitsdetektor rausholen, den wir im Übrigen auch nicht haben. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Passagiere die Fragen sämtlich mit ja beantworten, um ohne Probleme einzureisen.

Es besteht immer das Risiko falscher Angaben.

ET: Was passiert, wenn jemand aus der Quarantänegebiet kommt oder Kontakt mit einem Infizierten hatte, und gleichzeitig keine Symptome aufweist?

Dr. Götsch: Dann passiert nichts. Er kann einreisen. Allerdings erhält er ein Informationsblatt mit Empfehlungen zur Kontaktaufnahme mit dem örtlichen Gesundheitsamt und Verhaltensregeln im Falle einer Erkrankung.

Isolation und Quarantäne

ET: Was passiert, wenn jemand aus der Quarantänegebiet kommt oder Kontakt mit einem Infizierten hatte, und Symptome aufweist? Kommt er dann in Quarantäne?

Dr. Götsch: Dann wird er isoliert. In Quarantäne kommen nur Leute, die noch keine Symptome haben und nur ansteckungsverdächtig sind. Aber der ist ja krankheitsverdächtig. Das ist eine Frage der Terminologie. Das nennt man dann Isolation. Diejenigen, die nur Kontakt zu einem nachweislich Erkrankten hatten, werden dann unter Quarantäne gestellt – so wie die Wuhan-Rückkehrer in Germersheim. Die Quarantäne betrifft nur Gesunde, die sich infiziert haben könnten und etwas entwickeln könnten. Die anderen werden isoliert.

ET: Was passiert, wenn ein Chinareisender Symptome aufweist und gleichzeitig die Frage verneint, ob er Kontakt zu einem Infizierten hatte oder aus dem Risikogebiet kommt?

Dr. Götsch: Dann darf er auch weiterreisen. Die Symptome sind auch nicht so typisch. Viel wahrscheinlicher ist es, dass der Reisende einen grippalen Infekt hat. Es kommt ja jetzt auch häufiger vor, dass jemand aus China zurückkehrt und nicht in einem Risikogebiet war. Der wird in aller Regel auch nicht auf das Coronavirus getestet.

ET: Also jemand, der aus Shanghai einreist – das gehört nicht zum Risikogebiet – wird nicht getestet?

Dr. Götsch: Genau.

ET: Dann ist man wirklich auf die wahrheitsgemäße Antwort von den Leuten angewiesen?

Dr. Götsch: Ja. Wir wissen ja auch, dass einige Infizierte nur milde Symptome haben oder gar keine. Bei den 126 Rückkehrern aus Wuhan hatten wir ja acht mit Fieber beziehungsweise anderen Symptomen, die negativ getestet wurden. Zwei andere, die wir positiv getestet hatten, waren beschwerdefrei. Es ist schwierig, aufgrund der Symptome allein eine Diagnose zu stellen.

Mit Medikamenten Kontrollen passieren

ET: Welchen Sinn macht ein Thermoscan?

Dr. Götsch: Das halten wir nicht für sinnvoll, da es wie gesagt, milde Verläufe ohne Fieber gibt und Passagiere mit Fieber durch die Einnahme fiebersenkender Medikamenten dafür sorgen können, dass sie nicht auffallen. Die Erfahrungen mit Thermoscannern bei SARS war auch nicht so ergiebig. Dadurch ist kein Erkrankter entdeckt worden. Bei den Auffälligen wurden andere Diagnosen gestellt.

ET: Waren die Thermoscanner in Deutschland im Einsatz?

Dr. Götsch: Nein. Wir haben damals auch kein Einreisescrenning durchgeführt, weder durch Temperaturmessungen noch durch Fragen zur Gesundheit und zu Infektionsrisiken. Damals hatten wir allerdings weltweit viel weniger Erkrankte.

EU-weit abgestimmtes Verfahren

ET: Dann sind wir diesmal schon weiter, sodass wir mehr Sicherheit haben?

Dr. Götsch: Ein wenig mehr an Sicherheit. Es handelt sich um ein EU-weit abgestimmtes Verfahren. Natürlich beteiligen wir uns daran. Man muss allerdings auch die Grenzen der Methode kennen. Für das Einreisescreening spricht, dass diese Krankheit keine lange Inkubationszeit hat, sondern eine, die im Durchschnitt bei fünf bis sieben Tagen liegt. Das heißt aber auch, dass ein Teil der infizierten Passagiere einfach keine Symptome hat, weil sie noch in der Inkubationszeit sind. Andere haben milde Symptome und werden nicht entdeckt. Und dann gibt es noch Passagiere, die nicht direkt aus China einreisen, sondern über andere Länder. Die werden ja nicht befragt und reisen ohne Kontrolle ein.

Immerhin informieren wir alle aus China direkt Einreisenden mit Handzetteln über die Krankheitssymptome und Verhaltensmaßnahmen und alle übrigen Passagiere über Poster mit ähnlichem Inhalt an der Gepäckausgabe.

Kontrollen im Ausland

ET: Aber wenn diese Reisenden beispielsweise in Frankreich direkt aus China landen, werden sie mittels Fragestellungen überprüft?

Dr. Götsch: So sollte es sein, wenn sie direkt aus China in Frankreich einreisen. Es könnte natürlich auch sein, dass sie über Bangkok nach Frankreich einreisen. Dann werden sie nicht erfasst.

Man sollte auch nicht vergessen, dass in China die Ausreisenden einem Screening unterzogen werden und offensichtlich Erkrankte gar nicht ausreisen dürfen.

Es gilt auch, die juristische und wenn Sie so wollen die humanitäre Seite zu betrachten: Es werden Visa ausgestellt, die ein Einreiserecht  gewähren und somit die Erwartung von Freizügigkeit wecken. Wenn gesunde Passagiere aus Risikogebieten dann unter Quarantäne gestellt würden, empfänden sie das verständlicherweise als ungerecht.

Fallbeispiel: Betreiberin eines chinesischen Restaurants

ET: Wie verhält sich das mit der Betreiberin eines chinesischen Restaurants in Brandenburg: Die Frau aus dem Risikogebiet Wenzhou will wieder nach Hause. Sie ist symptomfrei, weiß aber nicht, ob sie sich eventuell infiziert hat. Sie würde gern in Quarantäne gehen in Deutschland, weil für ihr Restaurant Hygiene oberste Priorität hat. Die Angst, dass sie infiziert sein könnte, ist immens. Was kann sie tun?

Dr. Götsch: Sie kann sich unter freiwillige Beobachtung stellen. Sie kann zweimal täglich ihre Temperatur messen und an das Gesundheitsamt melden. Das hängt von Absprachen mit dem lokalen Gesundheitsamt ab.

Wenn sie infiziert, aber symptomfrei ist und dann mit der Bahn von Frankfurt nach Brandenburg fährt und dann das Virus ausbricht, ist es sehr schwierig, die ganzen Kontakte auf der Reise herauszufinden. Bevor Sie ein Superspreader ist – was kann sie tun?

Dr. Götsch: Man muss eine Risikoeinschätzung vornehmen. Wenn sie symptomfrei ist und kein hohes Infektionsrisiko besteht, kann sie aus unserer Sicht mit der Bahn reisen. Ansonsten ist auch eine vorangehende Virustestung möglich. Danach muss sie mit dem für ihren Wohnort zuständigen Gesundheitsamt Kontakt aufnehmen und mit diesem eine gemeinsame Regelung finden.

ET: Wenn die Frau in Frankfurt wohnen würden, wären Sie für den Fall zuständig. Was würden Sie tun?

Dr. Götsch: Wenn die Frau sich freiwillig unter häusliche Quarantäne begeben möchte, dann hätten wir nichts dagegen. Unter dieser häuslichen Quarantäne würde sie zweimal täglich ihre Körpertemperatur messen und mitteilen, ebenso wie andere Symptome und dem Gesundheitsamt mitteilen. Dann müsste sie mit Freunden oder Bekannten auch die Versorgung klären, denn dann sollte sie auch nicht in den Supermarkt gehen, sondern die Einkäufe durch andere erledigen lassen.

Wenn Coronaviruserkrankung für Grippe gehalten wird

ET: In Deutschland ist es – im Vergleich zu China – sehr ruhig. Von den bislang 16 Infizierten wurden über die Hälfte bereits entlassen. Auch in Bayern, in denen die letzten Fälle gemeldet wurden, rechnet man mit einer baldigen Entlassung. Gibt es aus Ihrer Sicht die Möglichkeit, dass manche Menschen denken, sie haben die Grippe. Dabei haben sich tatsächlich mit dem Coronavirus infiziert und das wird aber nie erkannt?

Dr. Götsch: Das kann gut sein. So wäre das auch in Bayern abgelaufen, wenn die chinesische Indexpatientin [Anm. d. Red.: die das Virus eingeschleppt hat] nicht so nett gewesen wäre, in Bayern anzurufen und gesagt hätte, dass sie an dem neuartigen Coronavirus erkrankt ist.

ET: Dann wäre das wie eine normale Grippe durchgelaufen?

Dr. Götsch: Zumindest am Anfang. Vielleicht hätte das Ausmaß an Folgeerkrankungen alle erstaunt und man hätte dann doch irgendwann eine Testung auf das neue Coronavirus durchgeführt.

ET: Welche Maßnahmen gibt es, um sich in Deutschland vor dem neuartigen Coronavirus zu schützen?

Dr. Götsch: Zunächst einmal ist das neuartige Coronavirus in Deutschland nicht weit verbreitet. Wir sprechen über insgesamt 16 nachgewiesene Erkrankungen. Wie zum Schutz vor anderen Atemwegsinfektionen sollte man Abstand von offensichtlich Erkrankten halten und sich regelmäßig die Hände mit Wasser und Seife zu waschen, vor allem vor dem Essen, um eine Kontaktinfektion zu verhindern.

Man sollte wie vom Auswärtigen Amt empfohlen aktuell nicht nach China reisen, es sei denn die aus unaufschiebbaren Gründen.

Wer aus Risikogebieten zurückkehrt und Symptome aufweist, sollte rigoros getestet werden. Das gleiche gilt für Kontaktpersonen zu nachweislich Erkrankten, auch wenn sie nur diskrete Symptome aufweisen. Allerdings muss nicht jeder, der aus kaum betroffenen Regionen Chinas zurückkehrt, getestet werden. Das gilt insbesondere für Kinder in Schulen und Kindergärten. Man muss die Kirche im Dorf lassen. Unsere  Maßnahmen dürfen auch nicht überzogen sein und wir dürfen nicht der Illusion verfallen, dass wir uns komplett abschotten können.

Die Amerikaner haben ihre Direktflüge nach China gestoppt. Das haben andere Länder auch gemacht, zum Beispiel Italien. Aber wer in bestimmte Länder reisen möchte, schafft das immer über Umwege.

Und manchmal gelangt das Virus auch auf völlig unerwartetem Weg nach Europa. Ein britischer Staatsbürger, der sich nur in Singapur aufgehalten hat – damals hatte Singapur 45 nachweislich an COVID-19 Erkrankte –  und der nach Frankreich gereist ist, hat dort in dem Skiort Contamines-Montjoie zehn Personen angesteckt. Das ist jemand, der nicht aus einem Risikogebiet eingereist ist, bei Ankunft in Genf gesund war und bei Grenzkontrollen überhaupt nicht aufgefallen wäre. Dieses Beispiel zeigt, wie schwer es ist, durch Einreisescreenings die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus komplett zu verhindern. Und das gilt auch für die neuen Maßnahmen am Flughafen, die hilfreich sind, aber eine Einschleppung des neuartigen Coronavirus auch nicht komplett verhindern können.

ET: Ich danke Ihnen für das Gespräch.

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