Prozessauftakt in München: Mammutprozess um Reichsbürger-Netzwerk komplett
Am 18. Juni 2024 hat in München unter hohen Sicherheitsvorkehrungen der Prozess gegen acht weitere Mitglieder der mutmaßlichen Reichsbürgergruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß begonnen – sechs Männer und zwei Frauen. Damit laufen deutschlandweit ab sofort drei Verhandlungen parallel, die die näheren Umstände um die mutmaßlichen Umsturzpläne von insgesamt 26 Beschuldigten beurteilen sollen.
Die beiden anderen Prozesse hatten schon vor Wochen in Stuttgart und Frankfurt am Main begonnen. Der Tatverdächtige „Nummer 27“ war in der Untersuchungshaft verstorben.
In München wird vor dem 9. Strafschutzsenat des Oberlandesgerichts unter dem Vorsitz von Richterin Dagmar Illini verhandelt. Sie hatte im Vorfeld zunächst 55 Tage für den Fall angesetzt, die bis zum Januar 2025 reichen sollen – mit Option auf Verlängerung (Aktenzeichen 9 St 7/23, PDF). Zum Auftakt wurde im selben Saal verhandelt, in dem schon dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe der Prozess gemacht wurde.
Nachdem das Gerichtspersonal einen Störer aus dem Saal befördert hatte, der mit lauten Zwischenrufen aufgefallen war, begann der Prozess mit der Verlesung der Anklageschrift.
Vorwurf: Vorbereitung eines „hochverräterischen Unternehmens“
Nach Angaben der GBA sollen Thomas T., Harald P. und Ruth L. zu den Gründungsmitgliedern der mutmaßlich terroristischen Vereinigung gehört haben. Paul G., Tomas M., Frank R., Melanie R. und Christian W. sollen lediglich Mitglieder gewesen sein.
Thomas T., Harald P. sowie Tomas M. und Christian W. sollen sich nicht nur wegen ihrer Mitgliedschaft, sondern auch wegen des Verdachts auf „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ verantworten. Christian W. sei zusätzlich wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Waffengesetz angeklagt (Aktenzeichen 9 St 7/23, PDF). Nach Angaben der „Tagesschau“ soll es sich bei W. um einen 46-Jährigen aus dem Erzgebirgskreis handeln, der der Polizei in einem anderen Fall aufgefallen sei und so letztlich auf die Spur der Gruppe geführt habe. Die GBA ist überzeugt, dass die mutmaßlichen Verschwörer für ihre Pläne auch Tote in Kauf genommen hätten.
Einige der Münchener Angeklagten hätten dem Führungsstab des „militärischen Arms“ der Gruppe angehört, andere dem sogenannten „Rat“, glaubt die GBA. Bei dem Rat habe es sich um so etwas wie ein Regierungskabinett gehandelt.
Bei allen Angeklagten steht der Verdacht der Vorbereitung eines „hochverräterischen Unternehmens“ im Raum: Unter dem Namen „Patriotische Union“ sollen sie gemeinschaftlich einen gewaltsamen Umsturz der deutschen Regierung geplant haben. Dabei habe auch der Bundestag erstürmt werden sollen, wie die GBA ermittelt habe. Neues Staatsoberhaupt hätte Prinz Reuß werden sollen. Ruth L. hätte als Astrologin das Ratressort „Transkommunikation“ übernehmen sollen, um neue Ratsmitglieder spirituell zu durchleuchten. Der Jurist Paul G. sollte sich im Rat um Außenbeziehungen kümmern, die Ärztin Melanie R. um Gesundheit.
Ausführliche Erklärung von Strafverteidiger Heer
Nach der ausführlichen Anklageverlesung trat der frühere Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Heer auf. Als Rechtsbeistand des Angeklagten Thomas T. wies er in seiner 80-seitigen Eröffnungserklärung die Vorwürfe der Generalbundesanwaltschaft (GBA) zurück. Sein Mandant habe sich im Juli 2021 mit dem Mitangeklagten Maximilian E. lediglich getroffen, um über die Gefahren von COVID-19-Impfungen zu sprechen. E. steht wie Heinrich XIII. Prinz Reuß in Frankfurt vor Gericht.
„Die terroristische Vereinigung gab es nicht“, erklärte T.s Strafverteidiger Heer, „jedenfalls hat sich unser Mandant nicht daran beteiligt.“ Um Umsturzpläne sei es ohnehin nicht gegangen. Die Bundesanwaltschaft habe nach seiner Einschätzung wohl einseitige Ermittlungen betrieben.
Noch einmal zurück zu Christian W., der die Polizei unwissentlich ja erst auf die Spur der Verschwörer gebracht haben soll. Nach Angaben der „Tagesschau“ soll W. Kontakte zu einer anderen Reichsbürgergruppe unterhalten haben, gegen die aktuell vor dem OLG Koblenz verhandelt wird. Es soll sich nach Recherchen des freien Journalisten Boris Reitschuster dabei um jene Vereinten Patrioten handeln, die geplant haben sollen, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen und einen Bürgerkrieg zu entfachen. Ralf Dalla Fini, einer der Strafverteidiger, berichtete im Interview mit Reitschuster, dass verdeckte Ermittler die „Vereinten Patrioten“ nicht nur unterwandert, sondern sie auch zu Verstößen gegen das Waffengesetz angestiftet hätten (Video auf Rumble).
Verhaftungen im Dezember 2022
Die insgesamt 26 Angeklagten des Prinz-Reuß-Netzwerks waren bei einer bundesweiten Großrazzia am frühen Morgen des 7. Dezember 2022 verhaftet worden. Rund 3.000 Sicherheitskräfte waren ausgerückt, um die mutmaßlichen Revolutionäre medienwirksam festzunehmen. Im Volksmund hatte angesichts des meist vorgerückten Alters der Verhafteten schnell das Wort vom „Rollator-Putsch“ die Runde gemacht.
Am Stuttgarter Oberlandesgericht hatte der Prozessauftakt gegen den Großteil des sogenannten „militärischen Arms“ des Netzwerks bereits am 29. April begonnen: Dort stehen neun mutmaßliche Bandenmitglieder vor Gericht. In Frankfurt am Main ging es am 21. Mai los. Dort müssen sich neben Heinrich Prinz XIII. Reuß, dem mutmaßlichen Kopf des Netzwerks, weitere acht Mitglieder der angeblichen Putschistengruppe vor dem Oberlandesgericht verantworten.
Urteile erst im Laufe des Jahres 2025 zu erwarten
Mit Urteilen noch im Jahr 2024 ist nicht zu rechnen. Alle drei Gerichtsstandorte gehen davon aus, dass sich die Verhandlung gegen die mutmaßlich kriminellen „Reichsbürger“ mindestens in den Januar, womöglich sogar bis weit ins Jahr 2025 hineinziehen wird. In Stuttgart und Frankfurt wurden bislang je knapp 50 Termine zur Hauptverhandlung anberaumt.
Sämtliche Angeklagten sollen sich laut GBA Ende Juli 2021 infolge der Corona-Politik zusammengeschlossen haben, um „die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam zu beseitigen und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen“. Konkrete Planungen zu einem Umsturz habe es seit August 2021 gegeben. Das Gedankengebäude der „Reichsbürger“ um Heinrich XIII. Prinz Reuß beschreibt die GBA wie folgt:
„Die Angehörigen der Vereinigung verband eine tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen und der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Sie folgten einem Konglomerat aus Verschwörungsmythen, bestehend aus Narrativen der sog. Reichsbürger- und Selbstverwalterszene sowie der QAnon-Ideologie. So waren sie fest davon überzeugt, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sog. ‚Deep State‘ regiert werde. Befreiung verspreche die sog. ‚Allianz‘, ein – tatsächlich nicht existierender – technisch überlegener Geheimbund von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika.“
2022: BfV zählt 23.000 „Reichsbürger“
In Deutschland rechnete das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Jahr 2022 rund 23.000 Personen der Szene der sogenannten „Reichsbürger“ zu. Als Reichsbürger werden im allgemeinen Sprachgebrauch Menschen bezeichnet, die die Bundesrepublik Deutschland nicht als regulären Staat im Sinn des Völkerrechts anerkennen und auch die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ (FDGO) infrage stellen.
Anmerkung der Redaktion: In den vorstehenden Fällen handelt es sich um Verdachtsfälle. Unsere Redaktion folgt dem Grundsatz der Unschuldsvermutung. Ob und in welchem Rahmen eine tatsächliche Schuld der oben genannten Akteure besteht, ist gerichtlich festzustellen.
Mit Informationen aus Agenturen.
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