Protest der Lkw-Fahrer in Berlin: „Wir stehen vor existenziellen Problemen“
Aufgereiht wie an einer Perlenkette, so stehen sie da Lkw für Lkw, nur unterbrochen durch ein paar Traktoren bis zur Siegessäule, mit dem weithin sichtbaren goldglänzenden „Siegesengel“.
An den Kennzeichen der schweren Fahrzeuge ist erkennbar, dass sie aus allen Teilen Deutschlands in die Hauptstadt gekommen sind.
Die Rede ist von den Transportunternehmen und Spediteuren, die dem Aufruf des Bundesverbandes Logistik und Verkehr (BLV-pro) gefolgt und über fünf Sternfahrten aus dem gesamten Bundesgebiet für die Protestveranstaltungen am 18. und 19. Januar nach Berlin angereist sind.
Für sie bedeutet es Verdienstausfall und zusätzliche Kosten, denn nicht jeder konnte eine Auftragsfahrt so legen, dass er etwas in die Hauptstadt anliefert.
„Zieht der Ampel den Stecker!“
Die Protestbanner, die zumeist an der Kühlerfront hängen, ähneln denen der seit Wochen protestierenden Bauern: „Der rot-grün-gelbe Wahnsinn muss beendet werden! Tretet zurück! Ihr vernichtet Existenzen!“ Oder: „Zieht der Ampel den Stecker!“ – „Genug ist genug! Weg mit der Ampel!“
Andere griffen gezielt die Kritikpunkte ihrer Branche gegenüber der Bundesregierung auf:
„Mauterhöhung um 85 Prozent, Essen und Trinken um 12 Prozent. Was kommt noch alles? Ihr macht Deutschland seit zwei Jahren kaputt.“
„Ihr seid wichtiger als diese Bundesregierung“
Den Höhepunkt der Proteste bildete am Freitag die Kundgebung am Brandenburger Tor mit Rednern von Bauernverbänden und aus der Politik.
Bayerns stellvertretender Ministerpräsident, Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) sparte dort in seiner Rede nicht mit Kritik an der Ampelregierung:
„Danke liebe Brummifahrer, dass ihr gekommen seid, um dieser Ampel zu zeigen, wer das Steuer in der Hand hält!“ Die anderen hätten nur den Bremshebel in der Hand. „Ihr seid wichtiger als diese Bundesregierung.“
Gerichtet an die versammelte Menge, erklärte der Bayer:
Wenn ihr zusammen mit den Bauern, Handwerkern, dem Mittelstand, Freiberuflern, mit der Pflege und den Rentnern auf die Straße geht, ist dies politische Notwehr – gegen eine Politik, die dieses Land aus Dummheit oder mit Absicht gegen die Wand fährt.“
Dann fragt er: „Wo ist denn der Bundeswirtschaftsminister?“ Und an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gerichtet ruft er: „Olaf Scholz, wo bist du denn?“
Es gehe ihnen [den treibenden Kräften in der Verkehrspolitik] nicht darum, eine Verkehrswende zu erreichen, sondern ums Abkassieren für „ideologische Traumtänzereien“. Man wolle offensichtlich ideologisch motiviert Deutschland deindustrialisieren, so der bayerische Wirtschaftsminister.
„Wir kämpfen für ihre Forderungen“
Während Aiwanger von der Menge umjubelt wird, hat es Dr. Christoph Ploß (CDU/CSU), Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestages, schwer, Anklang bei den Lkw-Fahrern zu finden.
„Wir kämpfen für ihre Forderungen, die sie hier vorgetragen haben.“ Man werde als CDU/CSU-Fraktion kein Verbot des Verbrenners in der Lkw-Branche mittragen. Es dürfe keine Mauterhöhung geben, die Mauererhöhung von Dezember müsse umgehend zurückgenommen werden, so Ploß.
Schwer hatte es auch der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Stefan Gelbhaar, Zustimmung bei den hörbar unzufriedenen Versammlungsmenge zu finden.
Er hatte im Bundestag für die Mauterhöhung gestimmt und begründete dies damit, dass man mehr Geld für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur bräuchte. Dazu gehöre auch der Ausbau eines E-Ladenetzes für Lkw an den Autobahnen. Er zeigte sich offen für einen engeren Austausch mit dem BLV und eine Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen für die deutschen Lkw-Fahrer.
„Wir brauchen euch Fuhrunternehmer“
Der LSV-Bauernverbandssprecher Carsten Hochrein betont als Redner den Schulterschluss der Bauern mit den Transport- und Logistikunternehmen bei den jetzigen Protesten.
„Wir brauchen euch Fuhrunternehmer, euch Spediteure, euch Fahrer, damit wir den Dünger, die Pflanzenschutzmittel, unser Saatgut auf unseren Hof bekommen und unsere Erzeugnisse, die Deutschlands Bevölkerung satt macht und die Regale voll!“
Euch geht die Bürokratie genauso auf den Zeiger wie uns!“
Auf der Website des Bundesverbandes Logistik und Verkehr heißt es: „Es reicht uns allen mit dieser lebensfremden Politik: Viele von uns werden die nächsten Monate nicht überstehen.“
Daher fordert man:
- Rücknahme der Mauterhöhung und CO₂-Bepreisung
- Forderung nach Gewerbediesel
- Straße finanziert Straße und keine Bahn
- Sanitär und Infrastruktur für die Berufskraftfahrer
- Stringente Kabotageüberwachung
- Fairer Wettbewerb in Deutschland + EU
- Freigabe der Mautdaten zu Überprüfungszwecken
- Keine Ausweitung von Zahlungszielregelung maximal 14 Tage
„Wir stehen vor existenziellen Problemen“
Thomas Hansche, stellvertretender Vorsitzender vom Bundesverband Logistik und Verkehr, sieht eine „fantastische Resonanz“ auf die Proteste, sowohl was die Teilnahme von Fahrern an den Protesten als auch die Unterstützung der Proteste betrifft.
„Wir schätzen aktuell, dass sich zwischen 1.000 und 2.000 Lkw an der Demonstration in der Hauptstadt beteiligt haben.“ Man komme jetzt mit der Politik ins Gespräch.
Hauptkritikpunkt seien die steigenden Kosten für die deutschen Spediteure und Transportunternehmer und der unfaire Wettbewerb durch die osteuropäischen Flottenverbände. „Sie können ganz andere Preise machen und machen uns das Leben hier schwer.“ So wie die Bauern auch keinen fairen Wettbewerb mehr vorfänden, stünden sie vor existenziellen Problemen, so Hansche.
Verband fordert Freigabe der Mautdaten
Die Kernforderung des Verbandes ist seit 2020 jedoch die Freigabe der Mautdaten. „Damit man überhaupt erst mal feststellt, wer in Deutschland überhaupt am Markt ist und wer eventuell unfairen Wettbewerb betreibt.“
Anhand der Mautdaten wüsste man ganz genau, wer dagegen verstoße, ist sich Hansche sicher. „Man muss sie nur nutzen wollen.“ Durch händische Kontrollen auf den Straßen lasse sich in seinen Augen das Problem nicht lösen.
Deutschlandweit gebe es circa eine Million Ladung am Tag, rechnet er vor. Mehr als 50 Prozent sei in ausländischer Hand.
„Wenn die 200 Beamten des Bundesamtes für Logistik und Mobilität (BALM), früher Bundesamt für Güterverkehr (BAG), das per Hand kontrollieren wollen, dann schaffen sie im Monat vielleicht 8.000 Kontrollen, vielleicht auch mal 10.000.“ Das sei vollkommen aussichtslos. „Ein Kabotageverstoß ist auch nicht konsequent ahnbar, weil er oftmals gar nicht nachweisbar ist“, so Hansche.
Er vermutet, dass, weil die großen Verlader und die Großen in der Branche davon profitieren, sich nichts an der Situation ändert.
„Wir sind die Versorger der Nation“
Katrin Oschman (37) hält eine umjubelte Rede auf der Kundgebung. Sie ist seit neun Jahren Lkw-Fahrerin. Sie beklagt, dass die Fahrer nicht die Wertschätzung erhalten, die sie verdienen würden.
„Wir erwarten keinen Applaus, nur einfach ein bisschen mehr Rücksicht und ein bisschen mehr Verständnis.“
Die Menschen, vor allem die Politiker, hätten noch nicht begriffen, wie existenziell sie für Deutschland seien. „Wir sind die Versorger der Nation, das haben viele aus dem Blick verloren.“
„Normalerweise bräuchten wir gläserne Lkw, wo die Menschen sehen, was wir auf der Ladefläche haben, dass ihr Lieblingsjoghurt oder die Schuhe, die man so mag, mit dabei sind.“
Die jetzige Mauterhöhung um 84 Prozent für die Speditionen sei unglaublich. „Wenn man beispielsweise die Lebensmittelpreise um 84 Prozent erhöhen würde, gäbe es einen Volksaufstand.
Da die Maut aber viele nicht direkt betreffe, würden sie sich nicht dafür interessieren. „Über die steigenden Preise wird es sich aber letztendlich bei jedem bemerkbar machen“, so Oschmann.
Spediteur sieht „modernes Sklaventum“
Lkw-Fahrer Andreas Klemme beklagt die schlechte Zahlungsmoral von großen Firmen. „Du musst zu viel Zeit überbrücken und wenn mein Chef kein Geld verdient, kann ich auch keinen Lohn bekommen.“
Der Gesetzgeber sei hier gefordert, kürzere Zahlungsziele festzulegen. „Du kannst ja auch nicht zum Bäcker gehen und sagen: ‚Du, in vier Wochen bezahle ich deine Brötchen.‘“
Sein Bruder Knut Klemme (51), Gesellschafter der Spedition, sagt, es herrsche ein „modernes Sklaventum“ auf den Straßen in Europa, weil die europäischen – gerade die osteuropäischen – Nachbarländer ihre Fahrer teils monatelang in der EU fahren lassen und sie dabei „definitiv“ günstiger arbeiten würden.
„Von den Gesetzen her ist das gar nicht erlaubt, aber es wird geduldet, weil dadurch die Transportkosten für die deutsche Industrie günstiger sind“, erklärt der Fuhrunternehmer.
Laut deutscher Kabotageverordnung darf ein Güterkraftverkehrsunternehmer, der weder seinen Sitz noch seine Niederlassung in Deutschland hat, im Anschluss an eine grenzüberschreitende Beförderung nach Deutschland nach der ersten teilweisen oder vollständigen Entladung der Güter bis zu drei Kabotagebeförderungen mit demselben Fahrzeug in der BRD durchführen.
Die letzte Entladung, bevor sie Deutschland verlassen wird, muss jedoch innerhalb von sieben Tagen nach der ersten teilweisen oder vollständigen Entladung erfolgen. Daran wird sich laut Klemme nicht gehalten.
„Können Kostensteigerungen nicht auf Kunden umsetzen“
„Wir haben halt hohe Löhne zu bezahlen, und wenn wir unsere Löhne nicht auch weiter anheben, dann finden wir keinen Fahrer mehr“, so Klemme weiter.
Also müssten wir die Preise erhöhen, um den Fahrern ordentliche Löhne zahlen zu können, aber umso weniger sind wir dann mit unseren Preisen wettbewerbsfähig. „Wir kriegen die Kostensteigerungen nicht auf unsere Kunden umgesetzt.“
Mittlerweile seien nicht mehr die polnischen Fahrer das Problem, weil ihr Lohnniveau gestiegen sei. Nun würden Speditionen ukrainische, georgische oder auch philippinische Fahrer nutzen.
Die Berliner Polizei sah in der Spitze 450 Teilnehmer bei der Kundgebung am Brandenburger Tor. Nach ihren Angaben hätten sich 850 Fahrzeuge auf der angrenzenden Straße des 17. Juni versammelt, unter denen sich 140 Traktoren befunden haben sollen. Die Versammlung wurde massiv durch Polizeikräfte begleitet und verlief friedlich.
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