Das politische Deutschland blickt einmal mehr nach Thüringen: Am Sonntag, 24. September, könnte die Alternative für Deutschland (AfD) in Nordhausen zum ersten Mal überhaupt einen hauptamtlichen Oberbürgermeisterposten erobern.
Der Unternehmer Jörg Prophet (61) hatte sich vor knapp zwei Wochen beim ersten Wahldurchgang mit 42,1 Prozent klar an die Spitze des Kandidatenfeldes gesetzt. Gegen ihn tritt der amtierende, derzeit parteilose OB Kai Buchmann (46) zur Stichwahl an. Der Betriebswirt und Ex-Grüne hatte mit 23,7 Prozent nur etwas mehr als die Hälfte von Prophets Ergebnis erreicht.
Die Wahllokale öffnen zwischen 8:00 und 18:00 Uhr. Wenn es nicht zu Pannen kommt, sollte das Ergebnis gegen 19:00 Uhr vorliegen, schätzt die „Thüringer Allgemeine“ (TA). Wahlberechtigt seien knapp 33.000 der insgesamt rund 40.500 Einwohner der Mittelstadt im Südharz.
Grad der Mobilisierung entscheidend?
Beim ersten Durchgang am 10. September hatten nach Angaben des „Mitteldeutschen Rundfunks“ (MDR) 18.558 und damit 56,4 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben – ein Anstieg von fast 12 Prozentpunkten gegenüber der OB-Wahl 2017.
„Entscheidend wird der Grad der Mobilisierung sein, also wie hoch die Wahlbeteiligung unter den Anhängern der AfD und der anderen Parteien sein wird“, schreibt die TA.
Der Unternehmer Jörg Prophet (61) will Oberbürgermeister von Nordhausen werden. Er wäre der erste AfD-OB in Deutschland. Foto: Silvio Dietzel/dpa
Trotz zerstrittener Lager vor Ort: Alle gegen Prophet
In den vergangenen zwölf Tagen hatte sich ein breites Bündnis von Parteien, Vereinen und Gewerkschaften gebildet, die die Wahl des AfD-Kandidaten Prophet verhindern wollen. Und das, obwohl „die politischen Lager in Nordhausen“ nach Einschätzung der „Tagesschau“ als „zerstritten“ gelten.
Zu den ersten direkten Fürsprechern von Kai Buchmann gehörte nach dem Bericht des MDR Sylvia Spehr, die Vorsitzende der Grünen-Stadtratsfraktion. Kathrin Göring-Eckhardt, die grüne Vizepräsidentin des Bundestages, hatte schon am ersten Wahlabend eine Parallele zur NS-Zeit gezogen, sollte sich am Ende Prophet durchsetzen.
Auch der Landeschef der Thüringer SPD, Georg Maier, hatte sich dem MDR zufolge Mitte des Monats Spehrs Appell angeschlossen, für Buchmann zu stimmen.
Vonseiten der SPD-Lokalpolitik steht auch die Ex-Oberbürgermeisterin Barbara Rinke hinter diesem Aufruf: Sie habe am 20. September auf dem Instagram-Kanal des Bürgerbündnisses Nordhausen Zusammen eine entsprechende Botschaft verbreitet, berichtet das Portal „Thüringen 24“.
Die Initiative Nordhausen Zusammen versammelt eigenen Angaben zufolge soziale Vereine, den Studentenrat der Hochschule, Künstler, das Theater, Stadtratsmitglieder, „proaktive Privatpersonen“ und die Gedenkstättenstiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora hinter sich. Mehr als 3.700 Menschen unterzeichneten bereits ihren offenen Brief „gegen die Spaltung der Gesellschaft“ und „für ein Nordhausen, in dem Vielfalt sichtbar und wichtig ist“. Hinter der Aktion steht nach Angaben von „Thüringen 24“ der Verein schrankenlos.
SPD, FDP, Linke, CDU: keine direkte Empfehlung, aber …
Die im ersten Urnengang als Dritte ausgeschiedene SPD-Kandidatin Alexandra Rieger, zugleich amtierende Bürgermeisterin Nordhausens, konnte sich nach Angaben der „Thüringer Allgemeine“ bislang lediglich dazu durchringen, die Wähler zu bitten, nicht für den AfD-Bewerber zu stimmen. Eine direkte Wahlempfehlung pro Buchmann verkniff sie sich. Rieger und Buchmann pflegen im Rathaus wohl nicht das beste Verhältnis: Im Raum steht der Verdacht, dass der OB seine Bürgermeisterin „im Amt gemobbt“ haben könnte.
Der Orts- und der Kreisverband der SPD hatten laut MDR ebenfalls keinen direkten Wahlaufruf pro Buchmann gestartet, sondern nur gemahnt, „dass dem AfD-Kandidaten keine Stimme gegeben werden dürfe“.
Der Kreisverband der Linken in Nordhausen sprach zwar keine ausdrückliche Empfehlung für einen Kandidaten aus, bot Buchmann aber in einer Stellungnahme vom 11. September eine „konstruktive Sacharbeit“ an – „zum Wohle der Geschicke Nordhausens“.
Die FDP Nordhausen vermied ebenfalls eine direkte Wahlempfehlung für Buchmann: Der TA zufolge „distanzierte [sie] sich lediglich von der AfD“.
Auf der Website des CDU-Kreisverbands Nordhausen ist bis dato keine Wahlempfehlung zu finden. Laut TA sei man dort der Meinung, dass so etwas auch als ‚Altparteienkartell‘ gewertet“ werden „und das Gegenteil bewirken“ könnte.
„Internationales Auschwitz-Komitee“ gegen „lupenreinen Rechtsextremisten“
Abseits der Parteipolitik hatte sich Anfang der Woche auch das Wiener Internationale Auschwitz-Komitee in Berlin entsetzt darüber gezeigt, dass es mit Prophet überhaupt ein AfD-Kandidat in die Stichwahl schaffen konnte. Das „verschütte die Wege des Vertrauens, die über viele Jahre entstanden seien“, zitiert „Thüringen 24“ das Komitee. Seine Mitglieder hielten Prophet für einen „lupenreinen Rechtsextremisten“.
Würde der AfD-Kandidat gewinnen, so wäre das „für Überlebende der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager so, als ob ihre Befreiung und ihr Leben danach infrage gestellt würden“. Bei Nordhausen liegt die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora und das ehemalige Lager Buchenwald ist nicht fern.
Eine Frau trauert vor einem Gedenkstein auf dem ehemaligen Appellplatz des NS-Konzentrationslagers Mittelbau-Dora in Nordhausen. Das Foto entstand bei einer Gedenkveranstaltung anlässlich des 73. Jahrestages der Befreiung des Lagers. Foto: Jens-Ulrich Koch/dpa
Lehrergewerkschaft warnt vor „Katastrophe“
Thomas Hoffmann, der stellvertretender Vorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Thüringen, rief „alle demokratischen Kräfte“ dazu auf, sich mit dem Kandidaten Buchmann zu solidarisieren: „Ein AfD-Oberbürgermeister wäre eine Katastrophe für den Hochschulstandort Nordhausen“, erklärte Hoffmann nach Angaben von „Thüringen 24“.
Die Zahl der „Studierenden“ könne bei der Wahl eines AfD-Kandidaten „stark einbrechen“: „25 Jahre Aufbauarbeit sowie nationale und internationale Positionierung der Hochschule wäre hiermit zunichte gemacht“.
Schwierige Vergangenheiten
Beide Kandidaten gehen nicht unbelastet ins finale Duell. Wie erst vor wenigen Tagen bekannt wurde, geriet Jörg Prophet nach Angaben der „Bild“ bereits vor zwei Jahren ins Visier des Thüringer Verfassungsschutzes (VS): Im Februar 2021 habe er unter dem Titel „Trauer um Opfer von Dresden 1945“ einen Text veröffentlicht, der im Verfassungsschutzbericht (PDF) desselben Jahres unter dem Kapitel „Geschichtsrevisionismus“ vermerkt worden sei. Der VS habe Prophet daraufhin ein „geschlossenes geschichtsrevisionistisches Weltbild“ attestiert. Herausgefunden habe all das der Historiker Jens-Christian Wagner, der Stiftungschef der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Wagner kündigte bereits an, Prophet im Fall eines Wahlsieges die Teilnahme an Gedenkveranstaltungen zu untersagen.
Auch Prophets Gegenkandidat Kai Buchmann steht in der Kritik. Bei dem bereits erwähnten Mobbingverdacht gegen Bürgermeisterin Rieger soll es sich um nur eines von 14 Dienstvergehen handeln, für die sich der amtierende OB Buchmann zu verantworten hat. So habe er beispielsweise einige „Stadtratsbeschlüsse nicht umgesetzt“, berichtete die „Tagesschau“. Er war deshalb von Ende März bis Ende Juli 2023 auf Betreiben seines Landrats Matthias Jendricke (SPD) vorläufig suspendiert worden.
AfD: Bislang zwei Ämter auf Kommunalebene
Seit Ende Juni 2023 gewann die AfD bereits zwei Wahlen auf Kommunalebene: Robert Sesselmann wurde im thüringischen Sonneberg nicht nur der erste Landrat Deutschlands mit AfD-Parteibuch, sondern auch der erste mit amtlich bescheinigter „Verfassungstreue“. Sesselmann hatte sich nach seiner Wahl einem Check beim Landesverwaltungsamt unterziehen müssen, weil die Thüringer AfD vom Landesverfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft und beobachtet wird.
Hannes Loth gewann eine Woche später das Rennen um den Bürgermeisterposten in der sachsen-anhaltinischen Kleinstadt Raguhn-Jeßnitz. Es handelte sich um die erste hauptamtliche Bürgermeisterstelle für einen AfD-Kommunalpolitiker.
AfD in Thüringen stärkste Kraft
In Thüringen finden im Frühjahr 2024 Kommunalwahlen statt, im Herbst desselben Jahres die Landtagswahlen. Aktuellen Umfragen zufolge ist die AfD mit Werten um die 32 Prozent bei der Sonntagsfrage stärkste Kraft – zehn Prozentpunkte vor den zweitplatzierten Linken, die seit 2014 den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow stellen. An der Landesspitze der Thüringer AfD steht der umstrittene Björn Höcke.
Auch in Sachsen und in Brandenburg wird im September 2024 ein neuer Landtag gewählt. In Sachsen rangiert die Alternative für Deutschland mit Umfragewerten bis zu 35 Prozent derzeit auf Platz eins. 32 Prozent würden ihre Stimme in Brandenburg der AfD geben, falls am nächsten Sonntag Landtagswahl wäre.
Wahljahr 2024 könnte spannend werden
Nach wie vor gilt bei der CDU der Unvereinbarkeitsbeschluss: Auf keiner Ebene – weder im Bund noch in einem Bundesland noch auf kommunaler Ebene – will die CDU mit der AfD zusammenarbeiten oder gar koalieren. Das Thüringer Landespräsidiumsmitglied Michael Brychcy (CDU) aber plädierte bereits im Juni für mehr Differenzierung bei der Zusammenarbeit mit der AfD. Er selbst binde schon AfD-Abgeordnete bei Sachfragen im Stadtrat mit ein. Am 14. September stimmten CDU und FDP Seit an Seit mit der AfD für eine Senkung der Grunderwerbssteuer.
Im Hinblick auf den Höhenflug der Partei und die anstehenden Wahlen könnte es also spannend werden: Womöglich bilden sich in Mitteldeutschland bald Minderheitsregierungen oder Allparteienkoalitionen ohne die „Alternative“.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion