Prof. Werner Patzelt: Sollten Union und SPD keine Politikwende schaffen, wird AfD weiter wachsen

Das Ergebnis der Bundestagswahl lag in vielen Fällen nahe an den Umfragen. Für Politikwissenschaftler Prof. Dr. Werner Patzelt gab es dennoch einige Besonderheiten. Insbesondere könnte sich die Regierungsbildung als schwierig erweisen, prophezeit er.
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Prof. Dr. Werner Patzelt am 26.02.2024.Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times
Epoch Times24. Februar 2025

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Über die Ergebnisse der Bundestagswahl 2025 sprach Epoch Times mit dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Werner J. Patzelt. Er ist emeritierter Professor für Politik der Technischen Universität Dresden und Forschungsdirektor am Mathias Corvinus Collegium Brüssel, einer der ungarischen Regierung nahestehenden konservativen Bildungseinrichtung und Denkfabrik.

Die CDU ist deutlicher Sieger der Bundestagswahl 2025. Die Ampelparteien haben durchweg verloren. Die AfD, aber auch die Linke verzeichneten starke Zuwächse. War das Wahlergebnis für Sie eine Überraschung?

Das Wahlergebnis war keine Überraschung, weil es im Wesentlichen die Wahlumfragen bestätigt hat. Dass die CDU schwächer abschnitt als vorhergesagt und die Linke wesentlich stärker, das ist nun einmal so im Bereich der statistischen Schwankungsgrenzen. Außerdem kann es wie bei den Linken in letzter Minute noch zu Bewegungen kommen. Insgesamt war es aber nicht überraschend und folglich sind auch die Probleme nicht überraschend, die auf den kommenden Kanzler zukommen.

Wie sind die Verluste bei SPD und FDP zu erklären, die höher ausfallen als die Verluste bei den Grünen?

Man muss nur auf die Wählerwanderungsanalysen blicken, dann versteht man, was sich hier getan hat. Die Grünen haben relativ wenig verloren und relativ wenig dazu gewonnen. Es ist sozusagen der harte Kern der grünen Wählerschaft, der diesmal leicht gerupft, aber im Wesentlichen wieder für die grüne Partei gestimmt hat.

SPD und FDP haben in sehr starkem Umfang an die Union verloren, was zeigt, dass auch viele SPD-Wähler mit der Migrationspolitik, vermutlich aber auch mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik der SPD nicht einverstanden waren und deswegen zur Union gewechselt sind.

Bei der FDP zeigt sich, dass viele FDP-Wähler die FDP nicht als eine linksliberale Partei haben wollen, die dem Zeitgeist folgt und Cannabis freigibt und das Geschlecht jährlich neu zu bestimmen erlaubt. Sie würden sie lieber als eine bürgerliche Partei marktwirtschaftlicher Prägung an der Seite der Union sehen. Nachdem sich die FDP aber so nicht aufgestellt hat, auch nicht in den Abstimmungen über die Migrationspolitik im Januar im Bundestag, hat sie eben dafür bezahlt.

Wie erklären Sie sich das Erstarken der Linken? Sie haben in fast allen Bundesländern teilweise deutlich zugelegt.

Für westliche Demokratien ist es seit Jahrzehnten typisch, dass sich die Wähler zwischen politisch linken und politisch rechten Parteien entscheiden können. In Deutschland haben sich die Parteien, die unser Land lange Zeit regiert haben, als Parteien der Mitte deklariert und Regierungsämter nur noch im eigenen Kreis vergeben. Andere Parteien, ob rechts oder links, haben sie davon ausgeschlossen.

Die AfD als eine Partei zur Rechten der Union hat daraus ihren Nutzen gezogen. Seitdem sich auch die SPD und die Grünen als Parteien der Mitte ausgeflaggt haben, ist im linken Bereich des politischen Spektrums eine Repräsentationslücke entstanden. In dieser ist nun die Linke sehr stark geworden. Wohl auch, weil die Partei mit Heidi Reichinnek eine Vorzeigepolitikerin als Spitzenkandidatin gewinnen konnte, die bei der Migrationsdebatte eine wirklich gute, mitreißende, pathetische Figur gemacht hat.

Den Wunsch nach einer starken linken Kraft hätte auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) für sich nutzen können, oder? Sie hat in einigen Bundesländern starke Ergebnisse vorzuweisen, aber sie scheiterte am Ende mit 4,97 Prozent ganz knapp  an der 5-Prozent-Hürde.

Dem BSW haben lediglich rund 14.000 Stimmen zum Einzug in den Bundestag gefehlt. Das ist wirklich eine Kleinigkeit. Hätten dem BSW 14.000 Menschen mehr ihre Stimme gegeben, stellte sich diese Frage gar nicht und man würde erörtern, warum es das BSW erwartungsgemäß in den Bundestag geschafft hat. Folglich sollte man das Scheitern zwar in seinen Folgen ernst nehmen, aber nicht bei der Ursachendiagnose als etwas betrachten, auf das im Grunde genommen alles hinausgelaufen ist.

Die Frage kann deshalb nur sein: Warum hat sie nicht noch besser abgeschnitten, obwohl doch das BSW die besten Positionen der Linken, Pazifismus und soziale Gerechtigkeit, mit den besten Positionen der Rechten, nämlich Akzeptanz der Existenz Russlands und der Migrationspolitik zusammengebracht hat?

Erstens: Irgendwo ähnelte das BSW immer schon der Piratenpartei. Die Piratenpartei war lange Zeit ein Günstling der Medienberichterstattung. Sie wurden als Alternative zu den Grünen hochgeschrieben und als dann das journalistische Interesse erlahmt war, da verschwand diese Partei im Orkus.

Das andere ist die interne Struktur einer Partei. Das BSW ist eine sehr stark um eine konkrete Person gelagerte Bewegung, mit relativ wenigen Mitgliedern und auch noch sehr straff innerparteilich kontrolliert – in gewisser Weise wie eine Kaderpartei.

Im Wahlkampf war es ihr daher nicht möglich, Parteiressourcen ins Spiel zu bringen, wie das lange Zeit bei einer wohlorganisierten Mitmachpartei wie der SPD gewesen ist. Das sind also interne Schwächen, die in dem Moment besonders deutlich wurden, als sich die massenmediale Begeisterung für das BSW und ihre Anführerin verflüchtigt haben.

Die AfD-Parteivorsitzende Alice Weidel erklärte gestern auf der AfD-Wahlparty: „Man wollte uns halbieren, jetzt sind wir doppelt so stark.“ Vor einigen Jahren hat die AfD angekündigt, die SPD als Volkspartei ablösen zu wollen. Die Ergebnisse in den einzelnen Bundesländern zeigen, dass die Stimmanteile, die die SPD verloren hat, fast identisch bei der AfD hinzugekommen sind. Worin liegt das begründet?

Die Gründe dafür sind mannigfach und im Grunde alle wohlbekannt. Sie hätten immer schon von den politischen Parteien in Rechnung gestellt werden können.

Grund Nummer eins: Die AfD ist eine Partei, die die Migration nach Deutschland – auch die aus muslimischen Staaten – immer schon als für das Land abträglich kritisiert hat. Die anderen Parteien hingegen meinten bis zu diesem Wahlkampf nicht nur das Migrationsthema aus dem Wahlkampf heraushalten zu müssen, sondern es auch noch als im Grunde inexistent und lediglich rassistisch aufgeblasen zu etikettieren. Da haben die Tatsachen, zu denen auch einige Mordanschläge gehören, einen Großteil der Bürgerschaft davon überzeugt, dass die AfD hier richtig lag und nicht die anderen Parteien.

Ein anderer Grund ist, dass die AfD in Ostdeutschland die Rolle der PDS als ostdeutsche kollektive Protestpartei übernommen hat. Viele in Ostdeutschland fühlen sich seit der Wiedervereinigung von westdeutschen kulturellen und politischen Eliten – von den wirtschaftlichen ganz zu schweigen – dominiert und ständigen Neu- und Umerziehungsversuchen ausgesetzt. Als dann nicht mehr die PDS-Linkspartei den Protest gegen die Migrationspolitik zum Ausdruck brachte, ist die AfD zur zentralen Protestpartei Ostdeutscher gegen die westdeutsche Arroganz, Besserwisserei und ihre Pädagogisierungsversuche geworden.

In dieser Rolle ist sie auch noch dadurch bestärkt worden, dass die westdeutschen, also die bundesweit stärksten Parteien, alles daran gesetzt haben, die AfD als ein ostdeutsches Phänomen darzustellen, als eine Bewegung aus Dunkeldeutschland, die sich geistig noch nicht zur Demokratie durchgerungen habe.

An dieser Stelle ist für die AfD der Weg bereitet worden, eine ostdeutsche Volkspartei zu werden. Zudem war es von Alice Weidel nicht an den Haaren herbeigezogen zu betonen, dass die Programme von Union und AfD ziemlich ähnlich sind. Falsch ist die Aussage, die Union hätte bei der AfD abgeschrieben. Ganz im Gegenteil. Der CDU-Kern in der AfD hat sich einfach in vielen programmatischen Punkten durchgesetzt. Infolgedessen entspricht das, was die AfD vertritt, in Ostdeutschland auf ostdeutsche Weise und Drastik und in Abkehr von westdeutschen Bevormundungen sehr stark dem, wie ein Großteil der Bevölkerung denkt.

Dementsprechend ist die AfD im Osten im Grunde nur das Gegenstück zu dem Starkwerden der CDU im Westen. Die Wahlkreisergebnisse zeigen, dass sich fast ganz Westdeutschland schwarz eingefärbt hat, während fast der ganze Osten blau geworden ist.

Die AfD hat sich jetzt aber auch in die westlichen Bundesländer ausgebreitet. Dort sind die Zuwächse teilweise zweistellig und sie liegt dort im Mittelfeld.

Das ist eine Entwicklung, die sich seit längerer Zeit abzeichnet, weil die zentralen Mobilisierungsthemen der AfD wie Migration und Energiepolitik auch die westdeutschen Städte und Regionen betreffen.

Sie sind sogar deutlich stärker betroffen als der Osten, wo der Anteil von Migranten immer noch geringer ist als im Westen. Versuche, die AfD als eine reine Ostpartei darzustellen, verfangen umso weniger, als offenkundig wird, dass Union und AfD in wichtigen innenpolitischen Fragen wie Migration und Energiepolitik eben doch weitgehend dasselbe wollen, was vor der Bundestagswahl im Bundestag [bei der Abstimmung zum Fünf-Punkte-Migrationsplan von CDU/CSU] klar zum Ausdruck kam.

Die CDU hat nicht in allen Bundesländern zugelegt. In Sachsen-Anhalt und in Thüringen ist sie sogar geschrumpft. In Sachsen und Berlin, wo sie in Regierungsverantwortung steht, gab es nur geringe Zuwächse. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner (CDU), ermahnte seine Parteikollegen daher zu Selbstkritik. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Die Frage ist, was da kritisiert wird. Wenn kritisiert wird, dass sich die CDU durch ihre unverbrüchliche Treue zur Merkelschen Politik, die so lange Bestand hatte, für viele Konservative oder Rechte nicht mehr wählbar gemacht hat, dann ist das eine Kritik, die in die richtige Richtung geht. Denn genau das sieht man in Thüringen, in Sachsen-Anhalt, in Brandenburg und in Mecklenburg-Vorpommern.

Menschen, die die CDU vor Merkel jahrelang gewählt haben, weil sie berechenbar war, sind der Meinung, dass die Merkel-Union das nicht mehr war.

Friedrich Merz hat sich jedoch lange Zeit bemüht, nicht als einer zu erscheinen, der eine drastische Abkehr vom Merkel-Kurs durchführt und hat dadurch unglaublich viele Wähler an die AfD verloren. Erst mit dem Wahlprogramm und neulich im Bundestag hat er ein Umschwenken sichtbar gemacht.

Man muss einmal mehr vor der bequemen Vorstellung warnen, die insbesondere in Westdeutschland verbreitet ist, dass die AfD eine Protestpartei ist. Das ist sie vielleicht in manchen Teilen Westdeutschlands. In Ostdeutschland ist die AfD eine Volkspartei. Sie hat damit die Nachfolge der CDU angetreten.

Welche Schwierigkeiten sehen Sie für die Regierungsbildung?

Die SPD weiß, dass sie die einzige Braut der Union ist. Und wenn sich die Braut hinlänglich stark ziert, kann sie vom werbenden Bräutigam jede Menge an Morgengaben verlangen. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) aus Mecklenburg-Vorpommern hat schon klar erklärt, dass sie noch gar nicht davon ausgeht, dass die SPD wirklich bereit ist, mit der Union zu koalieren. Außerdem müsse die SPD eine Mitgliederbefragung machen, wenn der Koalitionsvertrag da sei.

Folglich kann sie jederzeit sagen, diese oder jene Bestimmungen im Koalitionsvertrag ließen sich den eigenen Mitgliedern gegenüber nicht durchsetzen. Für die Union ist es alternativlos, sich auf die Wünsche der SPD einzulassen. Das ist das zentrale Problem. Am Ende könnte tatsächlich stehen, dass Merz der Öffentlichkeit gestehen muss, dass es nicht möglich ist, mit der SPD eine Koalition zu bilden. Dann muss er sich auf den Weg zum Bundespräsidenten machen und versuchen, den Weg zu einer Minderheitsregierung zu eröffnen.

Sehen Sie in den Ergebnissen der Bundestagswahl einen Fingerzeig für anstehende Landtagswahlen?

Die Wahlen in Hamburg werden zugunsten der SPD ausgehen, wie das traditionell ist. Folglich wird es da keine großen Überraschungen geben. Die AfD wird dort nicht sonderlich stark werden, vielleicht ein ganz klein wenig.

Bei der Fülle der anstehenden Landtagswahlen ist es so: Sollte es die Union nicht schaffen, gemeinsam mit den Sozialdemokraten eine grundlegende Politikwende bei der Migrations- und Integrationspolitik hinzubekommen, wird die AfD weiter wachsen und immer stärker werden.

Sollte die AfD es schaffen, tüchtige Menschen an die Spitze zu stellen und nicht Menschen, denen man weder intellektuell noch moralisch zutraut, unser Land zu führen, könnte sie tatsächlich profitieren. Bezieht sie weiter Positionen, die der kritischen Diskussion nicht richtig standhalten und äußert sie sich immer wieder demagogisch, polemisch, in skandalisierbarer Weise, dann vergibt die AfD ihre Chancen, die sich aus der Bringschuld der Union ergeben.

Vielen Dank!

Das Interview führte Erik Rusch.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.



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