Prof. Esfeld zur aktuellen Lage: „Es fehlt die Urteilskraft“
Professor Dr. Michael Esfeld ist bekannt als Wissenschaftsphilosoph der Universität Lausanne und Mitglied der Leopoldina, Deutsche Nationale Akademie der Wissenschaften. In seinen Forschungen beschäftigt er sich als Philosoph mit der Freiheit des Menschen und der Philosophie des Geistes, Naturphilosophie und Metaphysik. Ihn interessieren die Grenzen des menschlichen Wissens ebenso wie Quantenphysik und Raum-Zeit-Kontinuen.
Jüngst fragten wir ihn, wie er die aktuelle Lage in Deutschland einschätzt. Ihm fiel vor allem auf, dass das Urteilsvermögen der Menschen abgenommen hat. Das Gespräch führte Kathrin Sumpf.
Herr Esfeld, sie sind in Universitäten zu Hause und unterrichten in Lausanne. Welche Probleme sehen Sie im heutigen Bildungssystem?
In den Schulen erfolgt eine Erziehung zu Fachwissen, keine Erziehung zu kritischem Denken. Mathematik, Physik, Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften sind weitgehend politikfreie Fachwissenschaften. Doch überall, wo politische Interessen eingreifen, gibt es eine Indoktrinierung in vielen Bereichen – und eben kein kritisches Denken mehr.
Es gibt durchaus genügend junge Leute, die sich dagegen wehren, also in Schulen, Universitäten und so weiter. Sie stellen kritische Fragen. Doch viele Lehrer und auch Professoren sind einfach Mitläufer. Wenn da wirklich eine kritische Frage gestellt wird, können sie nicht antworten.
Die Akademisierung der Ausbildung ist ein Problem, es ist eine verfehlte Intellektualisierung. Nicht jeder kann Abitur machen, nicht jeder auf eine Universität gehen. Das tägliche Leben funktioniert nur, wenn man mit Zügen fahren kann – die jemand bauen muss. Es sind Häuser zu bauen und Handwerker werden gebraucht.
Doch ich glaube, das wird sich von alleine ändern. Wenn Handwerker fehlen merkt man die Konsequenzen sofort. Deutschland hat einfach eine viel zu hohe Bildungsquote im Sinne von Abitur und Universitätsabschlüssen. So viele braucht man für die Gesellschaft gar nicht. Ein Teil von jenen Leuten, vor allen Dingen in den Geistes- und Sozialwissenschaften, lebt später einfach davon, dass es durch steuerliche Zwangsabgaben finanzierte gute Jobs für sie gibt – in der öffentlichen Verwaltung, Kulturverwaltung, NGOs. Doch diejenigen produzieren im klassischen Sinn ja nichts.
Was wäre wichtig, den jungen Menschen zu vermitteln?
Man müsste ihnen vermitteln, dass die Horrorszenarien – also dass bis zum Ende dieses Jahrhunderts die Welt untergeht wegen Klimawandel oder ähnlichem – einfach Quatsch sind. Das ist religiöser Fanatismus und hat mit Wissenschaft nichts zu tun.
Den heutigen jungen Menschen müsste klargemacht werden, dass die derzeitigen Maßnahmen ihnen zukünftig finanzielle Schwierigkeiten bereiten werden. Sowohl die Corona-Maßnahmen als auch die politisch herbeigeführte Energiekrise führen zu Schuldenbergen. Die muss irgendwann irgendjemand abzahlen und es wird immer weiter nach hinten verschoben. Vielleicht gibt es irgendwann einen Zusammenbruch, vielleicht ist es eher schleichend. Doch das müssen die Jüngeren abzahlen. Junge Menschen werden daher ihrer finanziellen Zukunft beraubt – das Schulden-System kann nicht nachhaltig sein.
Wie sehen Sie diejenigen, die sich auf der Straße festkleben, um für das Klima etwas zu erreichen?
Es geht ja nicht um Klimaschutz. Wenn man meint, dass CO₂-Ausstoß klimaschädlich ist, dann haben wir mit der Kernenergie eine sichere, effiziente, umweltschonende und insgesamt gesehen preisgünstige Methode, um Strom zu erzeugen. Genauso wenig ging es bei den Corona-Zwangsmaßnahmen um Gesundheitsschutz. Dazu hätte man die Krankenhaus-Kapazitäten ausbauen statt abbauen müssen und den gefährdeten Personen einen gezielten Schutz anbieten müssen.
Wir sehen hier ein gewaltiges Versagen von Urteilskraft, nämlich der Fähigkeit, neue Herausforderungen wie Virenwellen oder steigenden Energiebedarf angemessen einzuschätzen und auf sie verhältnismäßig zu reagieren. Angetrieben wird der Klima-Aktivismus nur von einer kleinen, fanatischen Minderheit. Das Beunruhigende aber ist, dass diese Minderheit es schafft, die Gesellschaft in Geiselhaft zu nehmen.
Was bewegt diese Minderheit dazu?
Es ist eine fanatische Idee. Es geht wiederum darum, einen neuen Menschen zu schaffen. Die wahnwitzige Idee ist, dass wenn man die bisherigen Lebensweisen der Menschen zerstört, ein neuer Mensch entstehen wird, der keine Viren mehr verbreitet und Energie nicht mehr in solchem Ausmaß verbraucht, dass es die Umwelt beeinträchtigt und so weiter.
Diejenigen, die das antreiben, glauben, dass, wenn sie die Lebensweisen der Menschen zerstören, irgendwie ein neuer Mensch entsteht. Das ist ja die alte marxistische Idee. Nun sagen sie‚ wir können nicht das System von innen her reformieren, sondern wollen das ganze System stürzen. Mit Gewalt stürzen und dann kommt irgendwie ein neuer Mensch, ein besserer, und die klassenlose Gesellschaft. Dann bringt jeder seine Fähigkeiten ein und die Bedürfnisse von jedem werden befriedigt. Was natürlich nicht gehen kann, weil die Fähigkeiten begrenzt sind und die Bedürfnisse unbegrenzt.
Das Bestehende wird zerstört, und dann kommt was Neues. Der Kulturmarxismus sucht ja alle möglichen Opfergruppen, es werden Minderheiten gesucht. In den 1980ern war Atomkraft der Aufhänger, jetzt ist der Klimawandel angeblich lebensbedrohlich. Viele laufen einfach nur mit, weil sie irgendwie von diesem Narrativ inspiriert werden, weil es ihnen eine Aufgabe gibt. Dann entsteht erst mal so ein Trend und dann springen ganz viele auf den Zug auf.
Egal wohin der Zug fährt?
Egal wohin. Egal wohin der Zug fährt. Man kann leicht sehen, dass es nur in Zerstörung endet, aber man will es offenbar nicht sehen. Es ist inzwischen wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Corona-Zwangsmaßnahmen keinen Nutzen in puncto Gesundheitsschutz gebracht haben, sondern nur Schäden angerichtet haben. Genauso wenig schützen die Klima-Maßnahmen das Klima; sie schneiden uns nur von sicherer und effizienter Energieversorgung ab.
Gibt es eine ähnliche Lenkung in der Wirtschaft?
Es geht darum, eine Planwirtschaft einzuführen. Dazu muss man zunächst die unabhängigen, selbstständigen kleinen Betriebe kaputtmachen, weil man die nicht zentral steuern kann.
Wenn man nur noch große Unternehmen hat, kann man so etwas machen, wie die Great-Reset-Geschichte es vorsieht. Das ist eine Planwirtschaft, in der große Unternehmen im Verbund mit dem staatlichen Zwangsapparat versuchen, die Wirtschaft zu steuern. Das ist auch ein massiver Verlust an sozialem Fortschritt. Planwirtschaft kann nicht funktionieren, weil niemand das Wissen hat, das die zentrale Planung von Wirtschaft und Gesellschaft ermöglicht.
Könnte eine Planwirtschaft digital gesteuert werden?
Sie sind wahrscheinlich auch schon mit einem Navi irgendwohin gefahren. Das geht meistens gut, aber manchmal auch schief, wenn man selbst nicht mitdenkt. Wenn man nicht grob weiß, in welche Richtung man will, merkt man es erst sehr spät, wenn irgendetwas nicht stimmt.
Auf die Technik kann man sich nicht komplett verlassen, weil wir Urteilskraft – die angemessene Beurteilung und Reaktion auf eine neue Situation – eben nicht digital nachbilden können. Verlässt man sich allein auf digitale Geräte, dann versagt die Urteilskraft. Man kann die menschliche Kreativität und Innovationskraft nicht digital nachbilden. Diese Kreativität sollte unser Bildungssystem zu fördern versuchen. Das geht aber nicht mit zentraler Planung.
Urteilskraft lernt man an Beispielen, also konkret in Situationen. Das lernt man eben nicht intellektuell, das lernt man praktisch. Deshalb ist zu sehen, dass jetzt häufig Handwerker oder Leute ohne akademische Bildung viel mehr Urteilskraft haben und viel eher merken, dass an diesen ganzen Narrativen etwas nicht stimmt. Sie merken es eher als Leute mit Universitätsabschluss.
Ist der Staat ein Problem – er hat das Gewaltmonopol, er hat die Macht?
Ja, die Machtkonzentration in den Händen der Staatsgewalt ist ein Problem. Ein Staat ist immer etwas, das mit der Androhung und Ausübung von Zwang operiert: Der Staat hat das Gewaltmonopol. Ein privater Anbieter kann de facto auch mal ein Monopol haben; aber er kann nie Leute zwingen, und es wird sich mit der Zeit immer jemand finden, der das Monopol bricht.
Ein klassisches Beispiel aus der Schweiz ist die Migros. In den abgelegenen Dörfern hatte früher der jeweilige Dorfhändler das Monopol. Er konnte die Preise bestimmen, weil die Leute Lebensmittel und anderes brauchen. Der Gründer der Migros hatte die Idee, dass er Lastwagen als mobile Verkaufsläden umbaut. Damit ist er in die Dörfer gefahren, und das Monopol war gebrochen.
Genauso ist es heute mit den großen Konzernen und auch der Pharmaindustrie. Sie alleine können uns nichts aufzwingen. Sie können das nur tun, indem sie versuchen, die Staatsgewalt für sich einzuspannen. Nehmen Sie das Beispiel dessen, was als Impfung gegen das Coronavirus verkauft wird. Wenn es die staatliche Impfkampagne bis hin zu Impfanweisungen nicht gäbe und wenn die Impfungen nicht durch Steuergelder, also durch Zwangsabgaben, finanziert würden, dann gäbe es weiterhin die Pharmaindustrie, die ihre Produkte anbietet; aber es könnte dann jeder selbst entscheiden, ob sie oder er diese Produkte kaufen will oder nicht.
Wenn der Staat mit der Androhung von Zwang eingreift, geht das nicht mehr. Dann funktioniert auch keine Marktwirtschaft mehr, weil für die Wirtschaftsakteure dann Interesse besteht, die Politik zu ihren Vorteilen einzusetzen. Das ist das, was wir bei den großen Unternehmen sehen. Die Gewinne sind privat; aber sobald ein Problem auftaucht, wird nach einem Rettungsschirm gerufen. Dann heißt es ‚Too Big to Fail‘. Dann soll doch der Staat mit Steuergeldern einspringen.
Das hat mit Marktwirtschaft oder Kapitalismus nichts mehr zu tun. Der Einsatz des Gewaltmonopols des Staates zugunsten bestimmter wirtschaftlicher Akteure ist ein Problem. Die Menschen sind so wie sie sind. Es gibt immer verschiedene Interessen und manche sind gut, manche sind nicht gut. Das kann man nicht ändern. Aber man kann etwas daran ändern, dass jemand anderen etwas aufzwingen kann.
Damit sind wir wieder am Anfang. Vielen fehlt das Urteilsvermögen. Es fehlt das kritische Hinterfragen, wieso es nicht auch anders gehen kann.
Vielen Dank für das Gespräch!
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