Preisschwankungen wie an Tankstellen in kassenlosen Supermärkten

Ein deutsches Start-Up entwickelte ein dynamisches System, das die Kosten beim Einkauf bestimmt. Der Fachkräftemangel ist offenbar ein Grund für die technische Umstellung bei Edeka & Co.
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Einkaufen ohne Kassierer und mit dynamischen Preisen wie an der Tankstelle.Foto: Koonsiri Boonnak / iStock
Von 4. Mai 2023

Eine Packung Nudeln, die morgens um 8 Uhr ein Drittel billiger ist als nachmittags um 17 Uhr? Die Kiste Bier, die dienstags 4,25 Euro weniger kostet als Samstag, eine Stunde vor Beginn der Sportschau? In den autonomen Supermärkten, die in Deutschland derzeit überall aus dem Boden sprießen, kann das bald Einkaufsalltag sein.

Möglich macht das ein System des Start-Ups „Autonomo“ aus Hamburg, über das das „Handelsblatt“ berichtet. In der Hansestadt können Kunden in einem kleinen Laden am Eppendorfer Baum die neue Technik ausprobieren. In dem Geschäft namens „Hoody“ gibt es ein kleines Sortiment mit losem Obst und Gemüse, Getränken, Sandwiches und verschiedenen Bio-Artikeln.

Wer sich über die App registriert und einen QR-Code am Eingang scannt, kann dort rund um die Uhr einkaufen. Bei der Preisgestaltung geht es zu, wie wir es seit Jahren von Tankstellen kennen: Die Preise sind dynamisch, sie variieren über den Tag, je nach Nachfrage oder Haltbarkeit. Schließt die Konkurrenz in der Nachbarschaft, könnten die Preise im „Hoody“ mangels weiterer Einkaufsmöglichkeiten steigen.

Mit App oder Kreditkarte anmelden

Ortswechsel: Im Ferienort Wenningstedt auf Sylt plant der Edeka-Kaufmann Jörg Meyer einen kassenlosen Supermarkt. Auch er bedient sich bei der Ausstattung der Technik von „Autonomo“. Das Unternehmen liefert ihm Kamera, Software und die Künstliche Intelligenz, die dazu notwendig ist.

Kunden können sich über eine App oder ihre Kreditkarte am Eingang des Ladens anmelden. Jeder Artikel, den sie aus den Regalen nehmen, wird dann automatisch abgerechnet. „Die Technik ist herausragend“, schwärmt Meyer. Bei der Gestaltung des Systems darf er noch mitreden. Das gefällt ihm, denn so kann er es perfekt auf die Bedürfnisse eines Supermarktbetreibers abstimmen lassen.

Sylt soll für Meyer nur der Anfang sein. Seine Familie betreibt neun Supermärkte in Norddeutschland mit einem Gesamtumsatz von etwa 180 Millionen Euro. Künftig sollen alle diese Standorte autonom sein. Grundsätzlich sollen es separate Flächen sein, aber möglichst nah an den bestehenden Supermärkten, damit die Logistik einfacher ist.

Läden können rund um die Uhr geöffnet sein

Der Kaufmann sieht für diese Art von Ladenkonzepten einen großen Bedarf, hauptsächlich in Stadtzentren. Er nutzt in seinen anderen Läden bereits Systeme, bei denen Kunden Artikel selbst einscannen können. Außerdem arbeitet er mit dem Lieferdienst „Bringoo“ zusammen. Für seinen Sylter Feinkostladen unterhält er auch einen Onlineshop.

„Auch unsere Kunden sind sehr offen für diese Neuerungen“, will er beobachtet haben. Ein wichtiger Grund für die Einführung autonomer Läden sei der Mangel an Fachkräften: „Es wird immer schwieriger, Personal zu finden“, sagt er. Das zeige sich besonders auf Sylt, wo der Laden in der Saison auch sonntags geöffnet ist.

Die kassenlosen Geschäfte kommen allerdings nicht ganz ohne Mitarbeiter aus. Die Regale müssen schließlich gefüllt werden, insgesamt sei der Betrieb aber weniger personalintensiv. Obendrein können sie rund um die Uhr geöffnet sein.

400 Milliarden Dollar Umsatz bis 2025

Rewe und Aldi experimentieren ebenfalls mit kassenlosen Läden. Mehrere deutsche Lebensmittelhändler testen das kassenlose Einkaufen. Rewe etwa erprobt sein System „Rewe Pick & Go“ an Standorten in Berlin, München und Köln. Aldi Nord testet einen solchen Laden in Utrecht, Aldi Süd in London.

Amazon unterhält Dutzende Go-Läden in den USA und in Großbritannien. Tegut hat schon eine ganze Kette mit automatisierten Läden unter dem Namen „Teo“. Das Potenzial ist groß: Das Marktforschungsinstitut „Juniper Research“ schätzt, dass das Verkaufsvolumen in autonomen Geschäften bis 2025 etwa 400 Milliarden Dollar betragen wird.

Aldi Nord und Rewe arbeiten dabei mit dem israelischen Start-up „Trigo“ zusammen, Aldi Süd nutzt die Dienste des US-Wettbewerbers „Aifi“. Das Hamburger Unternehmen „Autonomo“ ist somit der erste deutsche Anbieter von Technologie für autonome Shops, der einen deutschen Händler als Kunden gewinnen konnte.

Der deutsche Standort könnte im Wettbewerb ein Vorteil sein. So bietet beispielsweise auch Amazon seine Go-Technologie anderen Unternehmen an. Doch vor allem deutsche Händler sind zurückhaltend. Sie möchten viele ihrer Daten nicht in die Hände eines US-Unternehmens – und letztlich auch Konkurrenten – geben.

Mithilfe eines britischen Investors expandieren

Der ehemalige Real-Chef Patrick Müller-Sarmiento hat „Autonomo“ 2021 gegründet – parallel zu seiner Haupttätigkeit als Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger.

Die Technik hat ein Team von Experten in Deutschland unter der Leitung von Pradeep Vallat entwickelt, der bereits in Indien an kassenlosen Supermärkten gearbeitet hat. Im Juni 2022 erhielt „Autonomo“ für sein Konzept mit den Harvard Alumni Entrepreneurs Accelerator-Preis.

Edeka-Kaufmann Jörg Meyer hat sich mit verschiedenen Anbietern beschäftigt und sich dann für „Autonomo“ entschieden. Seiner Ansicht nach ist die Technologie am besten geeignet. „Müller-Sarmiento war selbst Händler und versteht unser Geschäft“, nennt er einen weiteren Grund.

Im Gegensatz zum „Hoody“-Laden benötigen Meyers Kunden in den künftigen Shops nicht mal mehr eine App. Zum Einchecken in den Laden reicht eine Kredit- oder Debitkarte. „Das wird für viele Kunden die Hürden senken, den autonomen Laden zu nutzen“, glaubt Müller-Sarmiento.

Für „Autonomo“ ist die Partnerschaft mit Edeka Mayer ein wichtiger Schritt, um die Tauglichkeit seines Systems in der Praxis unter Beweis zu stellen. Nach einer abgeschlossenen Seed-Finanzierung in Höhe von 2,2 Millionen Euro und dem ersten Laden im vergangenen Jahr stockte die weitere Entwicklung zunächst.

Weitere „Hoody“-Läden seien geplant gewesen, doch sei davon nun nicht mehr die Rede. Jetzt will Müller-Sarmiento seine Technologie weiteren Händlern anbieten. Um die Expansion möglich zu machen, ist als neuer Investor Brookstreet Equity Partners aus London eingestiegen. Er hoffe auf „weitere Erfolgsgeschichten“, sagt der „Autonomo“-Gründer.



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