Kassel: Die Polizistin mit Herz – Ramelow „Verstörendes Foto“
Die Polizei in Kassel will „sehr gründlich“ die Proteste in Kassel nachbereiten. Dabei sollten auch mögliche Konsequenzen gegen eine Polizistin geprüft werden, die womöglich gegen die Neutralität der Polizei verstoßen habe, teilte das Polizeipräsidium Nordhessen am Montag mit. Außerdem werde das Video der Attacke eines Polizisten auf eine Demonstrantin der Staatsanwaltschaft übergeben.
Im Internet kursiert ein Foto der Polizistin, die mit ihren Händen ein Herz bildet, während eine Demonstrantin eine Hand um sie legt. Die Demonstrantin, die keine Maske trägt und keinen Abstand hält, trägt dabei ein Plakat, auf dem sie die staatlichen Maßnahmen als „Wahnsinn“ bezeichnet.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) verbreitete das Bild weiter und schrieb „ein verstörendes Foto“ dazu. Das Polizeipräsidium Nordhessen erklärte, derzeit werde „gründlich überprüft, in welchem Kontext dieses Bild entstand und welche Konsequenzen zu ziehen sind“.
Ein verstörendes Foto!
PolizeiBeamtin zeigt mit Ihren Händen Herz, solidarisiert sich mit dieser Demonstrantin, die offensichtlich gegen die gerichtlichen Auflagen verstößt, die AHA Regeln missachtet und den Schutz vor der Pandemie als Wahnsinn bezeichnet. https://t.co/DSWjgEBpYK pic.twitter.com/LvDRYjAxtO— Bodo Ramelow (@bodoramelow) March 21, 2021
Thüringens Innenminister kündigt Konsequenzen an
Nach mehreren Videos, die Einsätze Thüringer Polizisten bei einer Demonstration in Kassel zeigen, kündigt auch Thüringens Innenminister Georg Maier Konsequenzen an.
Die Polizei sprach von „mehreren Angriffen“ durch Demonstranten auf Einsatzkräfte, es gab Rangeleien. Demonstranten und Gegendemonstranten gerieten aneinander, als Gegendemonstranten versuchten, eine Kette der Einsatzkräfte zu durchbrechen, um auf die andere Seite zu gelangen.
Eines der Videos zeigt Thüringer Polizisten, wie sie bei einer Demonstration von Gegnern der Corona-Eindämmungsmaßnahmen in Kassel gegen eine Gegendemonstrantin mit Fahrrad vorgehen. Auch andere Videos machten die Runde, in denen Polizisten gegen Gegendemonstranten vorgehen, die den Demonstrationszug blockieren wollten.
Fahrradblockaden durch Gegendemonstranten
„Wir gehen drumherum, wir gehen dran vorbei.“ ruft der Coronaleugner läuft gerade aus, tritt auf das Fahrrad ein und boxt sich den Weg frei. Maskenpflicht wird auch komplett ignoriert. Mit Versammlungs- und Meinungsfreiheit hat das nichts zu tun. #Kassel #ks2003 https://t.co/KEeFshsNoD
— Vasili Franco (@VasiFranco) March 20, 2021
Volksfeststimmung und Thüringer Polizisten
Auf dem zentralen Friedrichsplatz in Kassel herrschte hingegen am Nachmittag „bei Sonnenschein fast schon Picknick-Atmosphäre ohne viel Abstand“, wie Augenzeugen berichteten, die die „Welt“ zitierte. Die Zeitung schreibt: „Reporter vor Ort berichten von einer ausgelassenen Stimmung und ‚Oh wie ist das schön‘-Gesängen.“
Die Polizei Thüringen hatte ebenfalls über den Kurznachrichtendienst reagiert: „Die aktuell auf Twitter kursierenden Videos, die Thüringer Beamte im Einsatz zeigen, haben wir zur Kenntnis genommen.“
Die Videos wie auch eigene Aufzeichnungen würden Teil der anschließenden Einsatzauswertung. „Kritik an der Einsatzführung, unseren Einsatzkräften und deren Vorgehensweise nehmen wir immer ernst.“
Im Web kursierte zuvor unter anderem diese Ansage der Gegendemonstranten:
„Mit Baby bitte in die erste Reihe wenn wir die Polizeikette stürmen. Sowas bringt Klicks wenn die Polizei eine Frau mit Baby schlägt.“ Querdenker 2021. Krank. #k2003 #Kassel pic.twitter.com/YjsYdOeZAz
— Sophia Maier (@_sophiamaier) March 17, 2021
Innenminister Georg Maier
„Selbstverständlich wird der Einsatz kritisch nachbereitet. Auch mir stellen sich aufgrund der Bilder drängende Fragen. Ich werde nicht zögern, die Abgeordneten des Innenausschusses umfassend zu informieren“, schrieb der SPD-Politiker am Samstagabend auf Twitter.
Zuvor hatten auch schon einige Thüringer Politiker mit Kritik auf den Inhalt des Videos reagiert. „Wahnsinn. Sagt mal, Polizei Thüringen, geht’s noch?? Auf den Kopf einschlagen, das Gesicht aufs Fahrrad schlagen?“, schrieb etwa die Linke-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss bei Twitter.
In einem weiteren Beitrag erklärte sie, dass eine Anfrage für den Landtag zum Thema „Polizeigewalt durch Thüringer Polizeibeamte am 20.03.2021 in Kassel“ fertig sei. „Hier liegt mindestens der Anfangsverdacht einer Körperverletzung im Amt vor“, so König-Preuss weiter.
Genauso verlangte der Fraktionsvorsitzende der Linken, Steffen Dittes, Aufklärung für die Betroffene und den Landtag. Auch die Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Astrid Rothe-Beinlich, und ihre Fraktionskollegin Madeleine Henfling forderten Aufklärung.
Polizei rechnete mit erheblich weniger Teilnehmern
In ihrer Pressemitteilung schreibt die Polizei:
Die große Teilnehmerzahl von ca. 20.000 Menschen, die am Samstag nach Kassel gekommen sind, hat die Prognose der Polizei deutlich überschritten. Im Vorfeld war von einer mittleren bis oberen vierstelligen Teilnehmerzahl ausgegangen worden. Diese Prognose ist das Ergebnis einer ständigen Lagebewertung bis zum Einsatztag, in welche die Aufklärungsergebnisse der Sicherheits- und Polizeibehörden anderer Länder und des Bundes sowie die erkennbare Mobilisierung im Internet und sozialen Netzwerken mit einfließen.
Anhand dieser Lagebewertungen war von einer geringeren Anzahl auszugehen – auch von einer geringeren, als die von den Anmeldern zunächst als erwartete Teilnehmerzahl benannt wurden. Auch aus der bundesweiten Lagebeurteilung ergaben sich keine anderslautenden sicherheitsbehördlichen Bewertungen. Am 13.03.2021 wurden bundesweit bei vergleichbaren Versammlungslagen trotz starker Werbung in den sozialen Medien lediglich Teilnehmerzahlen im mittleren dreistelligen bis unteren vierstelligen Bereich verzeichnet.
Noch am Samstag wurden diese Kalkulationen zunächst noch von den ersten Anreisezahlen über den öffentlichen Nahverkehr eher bestätigt. So kamen etwa über den Zugverkehr lediglich rund 1.400 Personen angereist. Die Polizei wird sich nun intensiv mit der Frage befassen, ob die große Teilnehmerzahl im Vorfeld dennoch hätte erkannt werden können.“
Die Einsatzleitung hatte beschlossen, daraufhin „insbesondere neuralgische Punkte und besonders relevante Objekte zu schützen und situativ entstehende gewaltsame Aktionen konsequent zu ahnden.“
Interessengruppen konsequent trennen
In der Pressemitteilung heißt es:
In der ersten sehr dynamischen und in Teilen unübersichtlichen Phase in der Kasseler Innenstadt bestand die Einsatztaktik der Polizei darin, verschiedene Interessengruppen konsequent zu trennen, um gewalttätige Aktionen zu verhindern. Zudem bestand eine weitere Priorität im Schutz relevanter öffentlicher Gebäude.
Eine Vorgabe der Einsatzleitung, einem Aufzug den Weg freizumachen, hat es zu keiner Zeit gegeben. Ziel war es jedoch, das Aufeinandertreffen rivalisierender Gruppen zu verhindern und relevante Objekte zu schützen. Dass die Polizei dies auch umgesetzt hat, zeigen Bilder, die zeitgleich an mehreren anderen Stellen im Stadtgebiet entstanden sind.
Das Vorgehen der Einsatzkräfte im Bereich des Lutherplatzes während dieser Phase, das auf Videosequenzen zu sehen ist, wird rechtlich geprüft.“
Zum Foto mit der Polizistin
Dazu schreibt die Polizei:
Die Neutralität der Polizei ist ein zentrales Rollenverständnis. Dass an der Neutralität kein Zweifel aufkommen darf, ist insbesondere bei Demonstrationen mit unterschiedlichen Interessenlagen von größter Bedeutung. Die Einsatzleitung der Kasseler Polizei hat daher bereits im Vorfeld in ihren Leitlinien und bei Einsatzbesprechungen darauf hingewiesen, dass das Verhalten der Einsatzkräfte keinen Zweifel an der Neutralität aufkommen lassen darf.
Auch während des Einsatzes wurden die eingesetzten Beamtinnen und Beamten über Funkdurchsagen diesbezüglich ständig sensibilisiert.
Dass es trotzdem zu einem solchen unpassenden Bild mit einer Polizistin kommen konnte, ist ärgerlich. Derzeit wird gründlich überprüft, in welchem Kontext dieses Bild entstand und welche Konsequenzen zu ziehen sind.“
67 Identitätsfeststellungen und 15 Festnahmen
Während des Einsatzes kam es zu 15 Festnahmen und 67 Identitätsfeststellungen, 49 Strafverfahren – darunter 15 Anzeigen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und zwei Anzeigen wegen Beleidigung sowie wegen des Zeigens des Hitlergrußes – und 111 Ordnungswidrigkeitenverfahren – vorwiegend wegen Nichtragen einer Mund-Nasen-Bedeckung – wurden eingeleitet.
(dpa/ks)
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