Pistorius kündigt baldige Leopard-Entscheidung an – insgesamt hat Deutschland nur wenige Kampfpanzer

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat bei Anne Will eine baldige Entscheidung der Bundesregierung versprochen, ob Kampfpanzer des Typs Leopard für den Krieg in der Ukraine frei gegeben werden oder nicht. Grüne, FDP und CDU machen weiter Druck – für eine Lieferung.
Steht bereits kurz nach seiner Nominierung unter starkem Druck: Boris Pistorius (SPD), künftiger Bundesverteidigungsminister
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mahnt zur Geduld in der Frage der Leopard-Lieferungen an die Ukraine.Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Von 23. Januar 2023

Dürfen demnächst deutsche Leopard-Panzer in der Ukraine gegen russische Soldaten rollen oder nicht? Wird Deutschland selbst liefern – oder „nur“ anderen Ländern erlauben, deren aus Deutschland gekaufte Leopards zum Kampfeinsatz in das Land zu transferieren? Polen und Finnland drängen darauf, brauchen aber rechtlich die Zustimmung aus Berlin.

Scholz will sich abstimmen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Sonntag während der Jubiläumsfeierlichkeiten zum Elyssée-Vertrag in Paris nach Informationen der „Tagesschau“ gesagt: „So, wie wir in der Vergangenheit vorgegangen sind, immer eng abgestimmt mit all unseren Freunden und Verbündeten, die konkrete Lage besprechend, werden wir auch in Zukunft vorgehen. Wir müssen befürchten, dass der Krieg noch sehr lange dauert und deshalb ist es für die Ukraine wichtig zu wissen: Wir werden in unserer Unterstützung nicht nachlassen.“

Sein Gastgeber, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, gab seine Bereitschaft an, Kampfpanzer des Typs „Leclerc“ zu liefern, wenn drei „Kriterien“ erfüllt seien: Die Leclercs dürften „nicht zur Konflikteskalation führen“, sie müssten „eine effektive Hilfe für unsere ukrainischen Freunde darstellen“, wofür es Ausbildung und gewarteter Technik bedürfe, und zum Dritten dürfe eine Lieferung „unsere eigene Verteidigungsfähigkeit nicht schmälern“, so Macron laut „Tagesschau“.

Pistorius: Entscheidung „offen“

Wie sich die Bundesregierung positionieren wird, ist auch nach den Worten von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) offen. „Der Entscheidungsprozess läuft und den werden wir jetzt abwarten müssen“, sagte Pistorius am Sonntagabend in der ARD-Talkshow „Anne Will“. Aus dem Kanzleramt werde es „auch bald eine Entscheidung geben, wie immer sie aussieht“, kündigte Pistorius an. Diese Entscheidung hänge allerdings „von vielen Faktoren ab“.

Einerseits sei „völlig klar“, dass es angesichts der Not in der Ukraine und „im Hinblick auf Donbass und Luhansk“ Panzer und eine Offensivbewegung brauche. Andererseits rede man über eine „schwere Panzerwaffe, die eben auch für Offensivzwecke genutzt werden“ könne, gab Pistorius zu bedenken. Auch in der deutschen Bevölkerung existiere „keinesfalls ein einheitliches Meinungsbild“.

Abstimmung mit den USA nötig

Die Bundesregierung müsse „sehr sorgfältig abwägen“ und könne „nicht übereilt und leichtfertig“ entscheiden, mahnte der Sozialdemokrat, der seinen Posten erst am 19. Januar von der zurückgetretenen Christine Lambrecht (SPD) übernommen hatte. Man müsse sich jetzt mit den Partnerländern abstimmen, „vor allem“ mit den Vereinigten Staaten, erklärte Pistorius.

Die Kritik des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki, der Deutschlands Zögern „inakzeptabel“ genannt hatte, wies Pistorius zurück. Deutschland stehe immerhin „an der Spitze derjenigen Länder in der Welt, die die Ukraine“ unterstützten. Weil die Bundesregierung mittlerweile Systeme und Ausstattung im Wert von insgesamt 3,3 Milliarden Euro an die Ukraine geliefert habe, müsse Deutschland sich „nicht verstecken“. „Schuldzuweisungen“ hülfen niemandem, so Pistorius. Ähnlich hatten sich nach einem Artikel der „Rheinischen Post“ auch SPD-Chef Lars Klingbeil und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert geäußert.

Mützenich kontra Strack-Zimmermann

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte am Sonntagabend im „heute journal“ des ZDF, dass manche Aussagen von Koalitionsparteien über den Kanzler getroffen worden seien, die die Politik der Bundesregierung schwächten. Die Kritik von Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, sei „maßlos“.

Strack-Zimmermann hatte die Kommunikation des Kanzlers in der Panzer-Frage als „Katastrophe“ bezeichnet. „Der Bundeskanzler trägt die Verantwortung und nicht diejenigen, die tagaus tagein twittern und mit irgendwelchen Ratschlägen vorangehen. Ich glaube, dass der Bundeskanzler seine Aufgaben auch sehr deutlich wahrnimmt, aber auch sehr abgewogen wahrnimmt“, stellte Mützenich klar.

Polen kündigt möglichen Alleingang an

Polens Ministerpräsident Morawiecki kündigte an, notfalls auch ohne Zustimmung der Bundesregierung Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern. „Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie die Ukraine ausblutet. Die Ukraine und Europa werden diesen Krieg gewinnen – mit oder ohne Deutschland“, sagte er der Nachrichtenagentur PAP. Sein Land werde mit anderen Ländern selbstständig eine „kleinere Koalition“ bilden, wenn Deutschland nicht bald zustimme.

SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese mahnte in der „Rheinischen Post“ die Nerven zu bewahren und „Entscheidungen grundsätzlich nicht aus dem Bauch heraus [zu] treffen.“ Kritische Stimmen aus der Koalition müsse man nicht „überbewerten“.

Kritik von Koalitionspartnern

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) beantwortete laut „Handelsblatt“ in einem Interview mit dem französischen Sender LCI die Frage, wie sie zu Polens Forderung stehe, Leopard-Panzer an die Ukraine liefern zu dürfen, mit den Worten „Wenn man uns fragt, würden wir dem nicht im Weg stehen“. Bisher sei der grüne Ampelkoalitionspartner aber nicht gefragt worden.

Omid Nouripour, der Co-Parteivorsitzende der Grünen, forderte in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“, dass Deutschland der Ukraine liefern solle, was sie brauche. Das sei der Standpunkt der Grünen aufgrund entsprechender Parteitagsbeschlüsse. Nun müsse eine schnelle Entscheidung her. „Es ist halt ein schmaler Grat zwischen Bündnispartnerschaft und Solidarität auf der einen Seite – und einem deutschen Sonderweg auf der anderen Seite“, meinte Nouripour. Vor der Bundestagswahl 2021 waren die Grünen noch mit der Parole „Keine Waffenlieferungen in Krisengebiete“ und dem Ruf nach Einschränkung von Rüstungsexporten auf Stimmenfang gegangen.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai drängt ebenfalls auf eine schnelle Entscheidung über Leopard-Lieferungen. „Wer nicht will, dass die Ukraine diesen Krieg verliert, muss zügig handeln“, forderte Djir-Sarai nach Angaben der „Rheinischen Post“. Damit teilt er den Standpunkt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der geäußert hatte, dass es „keine Alternative“ zur Lieferung westlicher schwerer Kampfpanzer gebe, wenn die Ukraine den Krieg gewinnen solle.

Opposition wittert Ampel-Bruch

Thorsten Frei, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sieht die Ampelkoalition angesichts der unterschiedlichen Positionen schon am Zerbrechen. „Die Szenen, die sich gerade in der Ampelkoalition abspielen, erinnern an ein Scheidungsverfahren“, sagte Frei nach Agenturangaben der Zeitung „Bild“.

Ebenfalls in der „Bild“ kritisierte CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen den Kanzler dafür, „dass Deutschland in einer historischen Bewährungsprobe des Krieges in Europa an einem entscheidenden Punkt versagt“. Nun müssten sich FDP und Grüne fragen, ob sie bereit seien, „gegen ihre eigene Überzeugung die Verantwortung für dieses Versagen mit zu übernehmen“.

CDU-Parteichef und Oppositionsführer Friedrich Merz forderte die Bundesregierung auf, zumindest NATO-Bündnispartnern zu erlauben, Leopard-Panzer aus ihren eigenen Beständen in das Kriegsgebiet zu schicken. Im „Bericht aus Berlin“ (ARD) sagte Merz, er sei davon ausgegangen, dass Scholz und der französische Präsident Macron am Sonntag eine gemeinsame Erklärung über Kampfpanzerlieferungen abgeben würden. Diese „Chance“ habe Scholz verpasst. Nun müsse Scholz „wenigstens erklären“, warum er noch immer abwäge und zögere.

Bundeskanzler Scholz hatte sich in Paris wenig konkret geäußert: „Wir lassen nicht zu, dass Europa zurückfällt in eine Zeit, in der Gewalt die Politik ersetzte und unser Kontinent von Hass und nationalen Rivalitäten zerrissen wurde“, so der Kanzler nach Informationen der „Rheinischen Post“. Er habe darauf hingewiesen, dass Deutschland bereits entschieden habe, Schützenpanzer, Spähpanzer und weitere Flugabwehrbatterien an die Ukraine zu liefern.

Pistorius will aufrüsten

Beim Treffen hoher Militärs in Ramstein hatte sich Scholz trotz des beinahe allgegenwärtigen Drucks der Verbündeten noch nicht für die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern ausgesprochen. Sein Verteidigungsminister Pistorius hatte nach Informationen der „Bild“ erklärt, dass Deutschland eine mögliche Lieferung von „Leopard 2“-Kampfpanzern in die Ukraine vorbereite.

Zudem wolle er die Weichen dafür stellen, dass die Bundeswehr in ein paar Jahren „die stärkste und am besten ausgestattete Armee in der EU“ sei. In die Ukraine werde er wohl „schon innerhalb der nächsten vier Wochen“ reisen. Er habe in seinem neuen Amt viel zu tun, gab Pistorius zu: „Es muss jetzt alles gleichzeitig passieren: die Beschaffung von Waffen und Ausrüstung, die Modernisierung der Kasernen, die Personalgewinnung. Und: Die Truppe muss spüren, dass man ihr Vertrauen entgegenbringt und dankbar ist für das, was sie leistet“, so Pistorius.

Keine 300 Kampfpanzer im deutschen Heer

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts verfügte die Bundeswehr 2022 über 266 Kampfpanzer – weltweit gesehen Platz 55. Die USA besäßen über 6.600, die Türkei mehr als 3.000. Damit habe die Bundeswehr „äußerst eingeschränkte Fähigkeiten, um der Landes- bzw. der Bündnisverteidigung im Rahmen des NATO-Vertrages nachzukommen“, resümiert das Bundesamt.

Die Ukraine unterhielt zu Beginn des Kriegs nach Informationen des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“ (RND) 2.600 Panzer, 300 Kampfjets oder Helikopter und 38 Kriegsschiffe. Russland habe damals 12.500 Panzer, 4.000 Kampfjets und Helikopter und 600 Kriegsschiffe besessen. Die aktuellen Zahlen sind nach elf Monaten Krieg unklar.

Vor wenigen Tagen hatte die Bundesregierung beschlossen, der Ukraine rund 40 Schützenpanzer vom Typ Marder aus den Beständen der Bundeswehr zu überlassen. „Im Rahmen einer Umfrage des ZDF-Politbarometers bewerteten rund 60 Prozent der Befragten dies als richtigen Entschluss. Die Lieferung von moderneren Kampfpanzern vom Typ Leopard 2 befürworteten zum Zeitpunkt der Erhebung 42 Prozent“, schreibt das Bundesamt.

Stand 2022 verfügt Deutschland laut Statistischem Bundesamt über eine Truppenstärke von 184.000 Streitkräften, die Ukraine hat 200.000 Mann unter Waffen, die USA 1,39 Millionen und Russland rund 850.000. „Rechnet man die Reserveeinheiten sowie die paramilitärischen Einheiten hinzu, ergibt sich für die NATO eine Summe von etwa 5,41 Millionen Personen“, erklärt das Bundesamt. Neben seinen 850.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten liege die Stärke des gesamten militärischen Personals Russlands bei 1,35 Millionen.



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