Pistorius: „Deutschland wird nicht Kriegspartei“ – aber keine Angaben über Rote Linien
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sowie Wolfgang Schmidt, Minister für besondere Aufgaben und Kanzleramtschef, haben sich am Mittwoch, 5. Juni, den Fragen des Bundestages gestellt. Es war das erste Mal seit der Ermächtigung der USA und Deutschlands an die Führung in Kiew, mit westlichen Waffen militärische Ziele auf russischem Territorium anzugreifen.
Die Entscheidung hatte in Teilen der Bevölkerung, aber auch in mehreren politischen Parteien die Furcht vor einer Eskalation genährt. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius ist sich sicher, dass diese Befürchtungen keine Substanz haben. Deutschland werde die Ukraine weiterhin „bedingungslos“ unterstützen. Kriegspartei werde man dennoch nicht werden.
Schuld an Eskalation Russland zugewiesen
Pistorius verteidigte in seiner einleitenden Erklärung seine Rede von der „Kriegstüchtigkeit“. Er erklärte Russlands Präsidenten Wladimir Putin zum Verantwortlichen für Eskalationen in europäischen Konfliktgebieten – und für darauf gestützte Maßnahmen des Westens. Russlands Agieren in der Ukraine sei „ein Angriff auf die Freiheit und die internationale Ordnung“.
Putin, so Pistorius, erkenne „die Integrität souveräner Staaten nicht an“. Außerdem greife Russland „zunehmend zivile Ziele“ an. Das Land habe schon längst auf Kriegswirtschaft umgestellt. Man dürfe deshalb „nicht glauben, dass Putin an den Grenzen der Ukraine haltmacht“. Der Minister brachte in diesem Kontext auch Konfliktgebiete in Georgien oder Moldawien ins Spiel.
In zahlreichen unabhängig gewordenen früheren Sowjetrepubliken leben seit dem Zusammenbruch der UdSSR bedeutende Minderheiten mit russischer Muttersprache. In vielen dieser Länder haben radikal nationalistische Kräfte Einfluss gewonnen, die deren politische und kulturelle Rechte infrage stellen. Dies hatte zu Konflikten mit Russland beigetragen.
Wehrdienst „nicht ohne Verpflichtungen“
Der Minister bezog die häufig auf das Ende der Sowjetunion zurückzuführenden Konflikte zwischen Russland und einigen Staaten entlang seiner Westgrenze als Affront gegen den Westen insgesamt. Deshalb erklärte er, ein russischer Sieg in der Ukraine würde auch Deutschland „teuer zu stehen“ kommen – und sogar teurer werden als die Unterstützung der Führung in Kiew.
Um bis 2029 „kriegstüchtig“ zu werden, müsse Deutschland in den Bereichen Personal, Material und Finanzen investieren. Es werde erforderlich sein, einen Wehrdienst einzuführen, der „nicht frei von Pflichten jeder Art“ sein könne.
Besonders bezüglich des Materials und der Einsatzfähigkeit sei ein hohes Maß an Engagement erforderlich. Immerhin sei in diesem Bereich „30 Jahre lang nichts passiert“. Seit 1994 war allerdings die SPD in 22 Jahren an der Regierung. Davon hatte sie in drei Legislaturperioden das Verteidigungsressort inne.
Bas fordert Respekt im Umgang mit Abgeordneten ein
Auf gleich mehrere Nachfragen zeigte sich Pistorius wenig präzise: als es darum ging, wo die Grenzen einer Unterstützung für die Ukraine seien und ab wann er eine konkrete Gefahr für Deutschland sehe, Kriegspartei zu werden. Er betonte, Deutschland werde, „soweit wir es in der Hand haben“, keine Kriegspartei.
Da man aber keine Kriegspartei sei, könne man aber auch über keinen Frieden verhandeln, obwohl „wir alle bereit“ seien, „über jeden Frieden zu verhandeln“. Solange der Krieg jedoch so verlaufe, wie er verlaufe, sei man „gewillt, die Ukraine zu unterstützen“. Immerhin habe „Putin diesen Krieg vom Zaun gebrochen“.
Dieses Narrativ sollte Pistorius, der sich aufgrund mehrerer herablassender Bemerkungen über Fragesteller auch eine Ermahnung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas einhandelte, noch häufiger bemühen, vorwiegend dann, wenn Abgeordnete nach Möglichkeiten zur Beendigung des Krieges oder Grenzen der Eskalation fragten.
Pistorius nennt keine Einsparungspotenziale in anderen Ressorts
Sowohl der Bundesverteidigungsminister als auch Kanzleramtschef Schmidt beteuerten, dass die Ermächtigung an Kiew zur Verwendung deutscher Waffen nicht unbegrenzt sei. Sie scheuten auch vor einer präzisen Antwort auf die mehrfach gestellte Frage nach dem unmittelbaren Anlass für den dabei vollzogenen Sinneswandel zurück.
Im Kern verwiesen sie darauf, dass es lediglich darum gehe, russische Nachschublinien zu unterbinden. Dies sei erforderlich, weil die neue Offensive gegen Charkiw hauptsächlich von russischem Territorium ausgehe. Aus Gründen erforderlicher Geheimhaltung könne man auch nicht jede mit der Ukraine getroffene Vereinbarung kommunizieren.
Wenig konkret blieben auch die Angaben der Minister zu konkreten Konsequenzen bezüglich des Ziels der „Kriegstüchtigkeit“ für den Bundeshaushalt. Pistorius sieht das Zwei-Prozent-Ziel als abgesichert und mahnt, dass das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr nur der erste Schritt sein könne. Die Antwort auf die Frage, wie viel das Ministerium konkret fordere und wo zugunsten der „Kriegstüchtigkeit“ eingespart werden solle, lautete:
„Wir haben bestimmte Bedarfe für das nächste Jahr, dem jetzt aber vorzugreifen, verbietet sich.“
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