Pegida-Forscher Patzelt: Merkel „erlebt die Abenddämmerung ihrer Kanzlerschaft“

In einem Interview mit dem Tagesspiegel spricht der Dresdner Politikwissenschaftler und Pegida-Forscher Werner Patzelt über den größten politischen Fehler der Kanzlerin Angela Merkel.
Von 22. Dezember 2017

Angela Merkel ist angeschlagen, auch wenn sie es sich nicht anmerken lässt. Das empfindet zumindest der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt. Deutschland hat immer noch keine Regierung im Amt und Experten überschlagen sich mit Analysen und Ursachenforschung.

Der „Tagesspiegel“ führte jetzt ein Interview mit dem Dresdner Professor, dessen Bekanntheit stieg, als er einst das Phänomen „Pegida“ untersuchte. Damals musste er selbst viel Kritik einstecken, da er versuchte, die Situation objektiv zu betrachten, anstatt nur zu verurteilen. Im März diesen Jahres hatten Unbekannte sein Auto angezündet, Kritiker warfen ihm vor, Pegida nahe zu stehen.

Nun wurde er zur Kanzlerin Angela Merkel befragt und auch hier durchleuchtet er mit Objektivität die durchaus schwierige politische Lage, in der sich Deutschland aktuell befindet.

„Die Abenddämmerung ihrer Kanzlerschaft“

Für Patzelt ist klar, Merkel „erlebt die Abenddämmerung ihrer Kanzlerschaft“. Um weiter im Amt zu bleiben, müsse sie nun auf eine ungeliebte Koalition mit der SPD hoffen. Damit habe die SPD sie auch in der Hand, was die Partei natürlich ausnutze. Dieser Zustand könne sich nur ändern, wenn Merkel bereit wäre, auch einer Minderheitsregierung vorzustehen, meint Patzelt.

SPD und FDP würden auf den Abgang Merkels zielen, schreibt der Tagesspiegel und fragt Patzelt, ob sich dadurch die Reihen in der CDU schließen würden?

Patzelt meint, das sehe nur so aus und stellt fest:

Vielen in der CDU ist völlig klar, dass nach zwölf Jahren plus X die Zeit der Kanzlerin Merkel vorbei ist. Gar nicht wenige stehen dem konservativen Berliner Kreis nahe und trauen sich nur nicht öffentlich Flagge zu zeigen, weil Merkel immer noch sehr mächtig ist.“

Nur der äußeren Geschlossenheit halber würden sie sich hinter ihr versammeln, so Patzelt weiter, „sobald es zu einer großen Koalition kommt, wird die innerparteiliche Kritik zunehmen. Denn viele in der CDU wissen: Eine weitere große Koalition mit stark SPD-geprägter Unionspolitik wäre eine Lebensversicherung für die AfD.“ Hier kann man Patzelt durchaus parteiinterne Einsichten unterstellen, ist er doch selbst CDU-Mitglied.

Kompromiss zur Obergrenze kam zu spät

Und was eine Befriedung mit der CSU betrifft, da sei der Kompromiss zur Obergrenze zu spät gekommen, meint der Politikwissenschaftler weiter. Wäre die CDU damit in den Wahlkampf gezogen, hätte sie „der AfD einige Prozentpunkte wegnehmen und möglicherweise mit der FDP eine Regierung bilden können“, sagt er. Hier sieht Patzelt offenbar ihren größten politischen Fehler.

Aber Merkel habe lange nicht begreifen wollen, dass ernstzunehmende Gegner der CDU nicht nur links der Mitte zu finden sind, kritisiert Patzelt. Diese Tatsache habe sie „offenbar aus Überzeugung“ vernachlässigt. Merkel habe sich am Mainstream der politischen Mitte orientiert und nicht an dem, was auch rechte CDU-Wähler akzeptieren würden. „Das war töricht“, stellt der Professor der TU Dresden fest.

Was Merkels „Politik der systematischen Fehlervermeidung“ betrifft, so kann man Patzelts Worten entnehmen, dass die Kanzlerin offenbar die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat. Patzelt erklärt:

Eine Strategie unbedingter Fehlervermeidung ist nur solange vernünftig, wie die Umwelt sich bloß wenig verändert. Dann reicht es, auf Sicht zu fahren und rechtzeitig abzubremsen. Wo sich aber die Verhältnisse selbst verändern, wo gerade das eigene Verhalten die Umwelt mitprägt, ist bloßes Fehlervermeiden nichts anderes als der Verzicht auf Führung.“

„Nie war eine deutsche Regierungschefin weltweit so beliebt“

Tatsächlich habe die Kanzlerin laut Patzelt viele Dinge monatelang treiben lassen: die Migrationspolitik, das Wegdriften der mitteleuropäischen EU-Staaten, den Zwist der Unionsparteien. Derzeit habe sie die Rolle einer geschäftsführenden Amtsinhaberin, die erst einmal sehen müsse, wie sie eine neue Machtbasis hinbekommt.

Patzelt rechnet das Aufkommen der AfD und die Schwächung der CDU Merkels Fehlleistungen zu. Zu diesen gehöre auch „die Schaffung großer Integrationsprobleme und künftiger Verteilungskonflikte durch die Migrationspolitik, sagt Patzelt.

Aber er findet auch positive Worte für die Kanzlerin, die in den letzten Wochen eher rar geworden sind. Im Gegenzug habe sie es nämlich geschafft, „eine deutsche Führungsrolle in Europa zu etablieren, die nicht als Bedrohung wahrgenommen wird.“ Zudem sei es laut Patzelt spektakulär, dass eine deutsche Regierungschefin „weltweit so beliebt wurde“.

Verzichtet Merkel bei möglichen Neuwahlen auf die Kanzlerkandidatur, wäre das für Vorteil für die CDU?, fragt der Tagesspiegel abschließend.  Patzelt: „Wahrscheinlich ja. Die CDU könnte sich dann nämlich für einen neuen Kurs glaubwürdig machen, der Wähler von der AfD zurückgewinnt.“

Siehe auch:

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