„Zeit“-Journalisten wollen rechtes Netzwerk in Deutschland offengelegt haben
Seit Beginn der Woche ist ein 288 Seiten starkes Werk der beiden Investigativ-Journalisten der „Zeit“ Christian Fuchs und Paul Middelhoff auf dem Markt, das den Titel „Das Netzwerk der Neuen Rechten“ trägt. Darin soll unter anderem aufgezeigt werden, „wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern“. Auch eine dazugehörige Webseite haben die Autoren ins Leben gerufen.
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, so heißt es vonseiten der Autoren mit unheilschwangerem Unterton, sei im vergangenen Jahrzehnt eine „patriotische Parallelgesellschaft“ in Deutschland entstanden. Ein „neues und einflussreiches neurechtes Netzwerk aus über 130 Stiftungen, Vereinen, Medien und Kampagnen“ sei herangewachsen.
In ihrem Buch enthüllen sie nach eigenen Angaben „erstmals das Ausmaß und die ganze Breite des Milieus – seine ideologischen Grundlagen, seine führenden Köpfe, seine wichtigen Zeitschriften, Verlage, Internet-Plattformen, Burschenschaften und Finanziers“. Zudem erklären sie in ihrem Buch „die Aktionsformen und Strategien der Szene, zeigen die engen Kontakte zur AfD auf, wie die Strömung international vernetzt ist und wie sie den Anschluss an die gesellschaftliche Mitte sucht“. Sie wollen während ihrer jahrelangen Recherche auch mit allen bedeutenden Exponenten des „Netzwerks“ persönlich gesprochen haben.
Auf einer großen Deutschlandkarte haben sie die Akteure, die sie in diesem Zusammenhang ausgemacht haben, auch eingezeichnet. Dabei unterscheiden sie nach den Kategorien Thinktank, Medium, Partei, Verlag, Finanzier und Kampagne.
„Nouvelle Droite“ als Dreh- und Angelpunkt
Zudem grenzen sie eigenen Angaben zufolge die „neue Rechte“, die sie ideengeschichtlich auf die „Nouvelle Droite“ zurückführen, die Alain de Benoist in Frankreich ins Leben gerufen hatte, von der „alten Rechten“ ab, die eine mehr oder minder erkennbare Kontinuität oder zumindest Nostalgie bezüglich des Nationalsozialismus aufweise. Deshalb habe man Gliederungen der NPD oder von Parteien wie „III. Weg“ oder „Die Rechte“ nicht aufgeführt.
Die „Nouvelle Droite“ und Alain de Benoist haben vor allem in den 1980er und 1990er Jahren einen bedeutenden Einfluss auf die Theoriebildung in rechtsintellektuellen Milieus ausgeübt. In damals relevanten politischen Parteien der Rechten, etwa bei den Republikanern oder der FPÖ, spielten ihre Überlegungen jedoch nur eine geringe Rolle.
Um im Sinne der Autoren eine Verbindung aufzuweisen, müsse es innerhalb der letzten fünf Jahre einen Geldfluss zwischen zwei Organisationen gegeben haben oder mindestens eine Person muss in beiden Organisationen prägend tätig gewesen sein. Weitere Optionen, um eine Verbindung zu begründen, wären ein Austausch oder eine gemeinsame Beschäftigung von Mitarbeitern, eine gleiche Adresse oder Infrastruktur oder gemeinsame Projekte, Aktionen oder Petitionen.
Die Verbindungen, auf die Fuchs und Middelhoff gestoßen seien, sind auch über die Karte auf der Webseite einsehbar. Darauf finden sich einige alte Hasen, die bereits vor 30 Jahren Gegenstand von Kompendien „gegen rechts“ von Veteranen wie Claus Leggewie, Richard Stöss oder Christoph Butterwege waren – was die Angabe, man habe „erstmals das Ausmaß und die ganze Breite des Milieus“ ausgeleuchtet, bereits etwas relativiert.
Rechte Modelabel und Insidertipps
Die Deutsche Burschenschaft als Dachverband findet beispielsweise ebenso Erwähnung wie einige ausgewählte Einzelbünde derselben, beispielsweise die Münchener Danubia oder die Hamburger Germania. Auch das „Studienzentrum Weikersheim“ gehörte bereits in den 1980er Jahren zu den angeblichen Schauplätzen von Verschwörungen innerhalb der Grauzone zwischen CDU-Konservativen und der äußersten Rechten.
Nun stehen sogar Modelabels wie „Cuneus Culture“ oder „KonMo“ auf der Liste, neben selbst innerhalb der Rechten wohl nur einem überschaubaren Personenkreis bekannten Projekten wie „Aktionsbündnis Pegasus“, „Schmied von Kochel Shop“, „Werk-Kodex“ oder „Titurel-Stiftung“ – die sich möglicherweise auf diesem Wege kostenfreier Publicity erfreuen.
Ob inhaltlich zwischen den Vereinigungen und Initiativen Gemeinsamkeiten oder Unterschiede bestehen, scheint für die Autoren eher zweitrangig gewesen zu sein. Entsprechend steht dann die „Identitäre Bewegung“ in einer Reihe mit der „Jungen Freiheit“, diese wiederum mit der linksnationalistischen Gruppe um das Magazin „Compact“, während in Berlin vorwiegend Initiativen des christlich-konservativen Netzwerkes um die Familie von Storch aufgeführt sind.
In vielen Fällen sind die führenden Köpfe der jeweils Genannten um deutliche Abgrenzung zum jeweiligen anderen bemüht. Unter dem Begriff der „Neuen Rechten“ fassen Fuchs und Middelhoff auf diese Weise Phänomene zusammen, die nicht nur strategisch, sondern auch inhaltlich zum Teil gegenläufige Positionen beziehen.
Wie man den Bogen vom NPD-Milieu zu den Wirtschaftsliberalen schlägt
Entgegen den eigenen Bekundungen, zwischen neuer und alter Rechter zu trennen, führen die Autoren beispielsweise den „Lesen & Schenken“-Verlag ebenso als „neurechts“ auf wie das mit „Nation und Europa“ vereinte Magazin „Zuerst“. Dies geschieht, obwohl die dahinterstehende Unternehmensgruppe jahrzehntelange Wurzeln im NPD-Milieu hat und beispielsweise der Geschichtsrevisionismus auch heute durchaus noch ein zentrales Thema des Medienangebots darstellt.
Gleichzeitig schlägt die „Netzwerkanalyse“ einen breiten Bogen bis hin in Kreise, die bis vor kurzem wahrscheinlich nicht einmal gewusst haben dürften, dass es denklogisch überhaupt machbar sei, sie mit dem Ethno-Nationalismus von Alain de Benoist zusammenzuführen.
So finden sich im „Netzwerk der neuen Rechten“ unversehens auch Bürgerlich-Konservative wie Jörg Baberowski und das Blogprojekt „Tichys Einblick“ – obwohl diese nicht einmal eine eindeutige Neigung zur AfD aufweisen. „Neurechts“ sind nach Einschätzung von Fuchs und Middelhoff zudem auch klassisch-liberale und libertäre Vereinigungen wie die Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft oder der Buchverlag Lichtschlag („eigentümlich frei“).
Die Ein-Themen-Initiative „Genug GEZahlt!“ zur Abschaffung des Rundfunkbeitrages findet ebenso Erwähnung wie die sozial-konservative „Demo für alle“, die sich gegen übergriffige Sexualerziehung und die Gender-Ideologie wendet.
Zur „neuen Rechten“, die nach der Definition der Autoren „ihre gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nicht mit biologischen Rassismus, sondern mit Kultur und Identität, die reingehalten werden solle“ begründe, zählen zudem offenbar auch Vereinigungen wie „EIKE“. Deren einziges Geschäftsfeld ist die Kritik am Narrativ von der „menschengemachten Klimaerwärmung“, was Themen wie Kultur und Identität noch nicht einmal im Ansatz berührt.
Auch liberale Islamkritik ist „neurechts“
Pikanterie am Rande: Zu den ersten Theoretikern, die sich bereits in den 1950er Jahren Sorgen ob des fortschreitenden, anthropogenen verursachten CO2-Anstieg in der Atmosphäre gemacht hatten, gehörte der Schriftsteller Günther Schwab – ehemaliges NSDAP-Mitglied, SA-Sturmführer und späterer Gründer des „Weltbunds zur Rettung des Lebens“ (WRL).
Außerdem „neurechts“ ist der „Netzwerkanalyse“ der beiden „Zeit“-Journalisten zufolge der Autorenblog „Achse des Guten“. Dieses 2004 gegründete Projekt bewegte sich Zeit seines Bestehens im Spektrum des klassischen Liberalismus bis hin zum US-amerikanischen Neokonservatismus. Bei beiden handelt es sich um weltanschauliche Ausrichtungen, die in zentralen Kernpunkten schon vom Grundkonzept her nicht mit dem Ethnopluralismus und der Identitätspolitik der neuen Rechten vereinbar sind.
Neben der Klimaskepsis dürfte dort vor allem die liberale Islamkritik, die dort eine tragende Rolle spielt, Fuchs und Middelhoff für eine Einstufung als Teil der „neuen Rechten“ ausgereicht haben.
Die recht eigenwillige und weitläufige, um nicht zu sagen willkürliche Zusammenstellung des „Netzwerks“ inklusive Hinweisen auf die geografische Lage der Akteure weckten unter anderem in Achse-Gründer Henryk M. Broder offenbar Argwohn. Sein Eindruck war, es könnte den Autoren weniger um Erkenntnisgewinn, sondern eher um Denunziation gehen.
„Als würden sich zwei Kampftrinker als Mitarbeiter der Heilsarmee vorstellen“
Aus diesem Grund nahm er die Vorstellung des Buches der beiden Journalisten zum Anlass für einen Kommentar unter dem Titel „Der Denunziant ist ein Meister aus Deutschland“.
„Eben ist eine Art Handbuch über ‚Das Netzwerk der Neuen Rechten‘ erschienen, geschrieben von zwei ‚Investigativreportern der ZEIT‘“, erklärt Broder darin, „was so originell ist, als würden sich zwei Kampftrinker als Mitarbeiter der Heilsarmee vorstellen. Einer der beiden hat sogar den ‚Reporterpreis‘ bekommen, der nur an die Besten der Besten verliehen wird, Claas Relotius zum Beispiel. Was sie alles erlebt und überlebt haben, erinnert an die Abenteuer von Indiana Jones in ‚Jäger des verlorenen Schatzes‘.“
Broder verglich das Anliegen der Journalisten mit Mitläufern totalitärer Systeme, die diese von unten gestützt und vielfach während des Überganges vom Dritten Reich zur DDR nur die Farbe gewechselt hätten:
Nachbarn verpfeifen, die unbotmäßige Witze erzählten, ausländische Radioprogramme hörten oder Fluchtpläne schmiedeten. Die Vollendung des Mitläufers ist der Denunziant. In der nach unten offenen Skala der menschlichen Niedertracht belegt er einen der letzten Plätze, vor Kindesmissbrauch und hinter Zuhälterei.“
Dass die Autoren auf ihrer Webseite trotz nach eigenen Angaben mehr als dreijährigen Recherchen Selbstzweifel äußern und für den Fall, dass sich Fehler eingeschlichen hätten, dazu aufrufen, ihnen zu schreiben, statt gleich den Anwalt anzurufen, nimmt Broder zum Anlass für Sarkasmus. Er schreibt an die Adresse der beiden „Zeit“-Mitarbeiter:
Ja, Jungs, auch Denunzieren will gelernt sein. Für Anfänger seid ihr nicht schlecht, aber beim RSHA [Reichssicherheitshauptamt; d. Red.] wäret ihr nicht mal als Pförtner angenommen worden.“
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