Parteitagsdebatte: Einige Grüne stoßen sich am Begriff „Wohlstand“ im Parteiprogramm

Die Grünen haben ihren Bundesparteitag in Karlsruhe fortgesetzt. Auf der Tagesordnung stehen vor allem Beratungen über das Programm der Grünen für die Europawahl 2024. Und das Thema Asyl und Migration.
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Ricarda Lang auf dem Parteitag der Grünen ein Karlsruhe, 23. November 2023.Foto: THOMAS KIENZLE/AFP via Getty Images
Epoch Times25. November 2023

Die Grünen haben ihren Bundesparteitag in Karlsruhe am Samstag fortgesetzt. Auf der Tagesordnung stehen vor allem die Beratungen über das Programm der Grünen für die Europawahl im kommenden Jahr. Schwerpunkte sind die Themenbereiche Klima und Nachhaltigkeit, Außen- und Friedenspolitik, Wirtschaft und Finanzen sowie soziale Gerechtigkeit.

Einige der rund 800 Delegierten stoßen sich an dem Begriff „Wohlstand“ im Kapitel zur Wirtschafts-, Energie- und Klimapolitik. Sie schlagen stattdessen den Begriff „Lebensqualität“ vor, da „Wohlstand“ ihrer Ansicht nach vor allem „im Sinne einer konsumistischen Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen verstanden“ werde.

Richarda Lang betont geeintes Europa

Grünen-Chefin Ricarda Lang hat zum Auftakt der Debatte über das Europawahlprogramm ihrer Partei die Notwendigkeit eines geeinten und starken Europas betont. Herausforderungen wie etwa die Migrationspolitik „können wir nur europäisch bewältigen, aber europäisch können wir es schaffen“, sagte Lang am Samstag auf dem Parteitag in Karlsruhe.

Mit Blick auf den Wahlsieg des Rechtspopulisten Geert Wilders in den Niederlanden betonte sie an die Adresse der Konservativen gerichtet: „Es darf keine Zusammenarbeit mit rechtsextremen Parteien geben“. Dies gelte nicht nur für Europa, sondern auch hierzulande, fügte Lang mit Blick auf die Landtagswahlen im Herbst 2024 in Thüringen, Sachsen und Brandenburg hinzu.

Lang rief die Grünen auf, im Wahlkampf für die Europawahl und die Landtagswahlen nicht nur die „demokratische Pflicht“ zu erfüllen und gegen Rechtsextremismus aufzustehen. „Es gibt auch eine demokratische Kür, die heißt, nicht nur dagegen zu sein, sondern auch für etwas zu sein.“ Es gehe darum, was für die Menschen in Deutschland erreicht werden könne.

„Wir wollen Wohlstand für die, die dieses Land am Laufen halten“, sagte Lang. „Wir wollen den Wohlstand der vielen und nicht den Wohlstand der wenigen.“ Dies könne erreicht werden, „wenn es gelingt, Wohlstand auf klimaneutrale Füße zu stellen“, sagte die Grünen-Chefin. Klimaschutz sei der „größte Jobmotor“.

Lang sagte, der Ukraine-Krieg habe gezeigt, „was für ein verdammtes Wunder diese Europäische Union ist, dass man es damals hinbekommen hat, Frieden zu schaffen“. Dass diese Freiheit weiter in der Ukraine verteidigt wird, dürfe „nicht aus dem Fokus“ verloren werden, mahnte Lang. Es müsse klar sein, dass Deutschland und Europa an der Seite der Ukraine stehe und vor allem auch beim Wiederaufbau helfe.

Im Anschluss starteten die rund 825 Delegierten mit der Debatte über das Programm der Grünen zur Europawahl am 9. Juni 2024. Es trägt den Titel „Was uns schützt“.

Europawahl: Kandidaten beschlossen

Früher als vorgesehen hatten die Delegierten gegen 2:00 Uhr in der Nacht zum Samstag die Aufstellung ihrer Liste für die Europawahl abgeschlossen. Gewählt wurden 40 Kandidaten, darunter auch viele der aktuellen Grünen-Europaabgeordneten.

Spitzenkandidatin ist die Europapolitikerin Terry Reintke, die derzeit Ko-Vorsitzende der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz im Europaparlament ist. Auf Platz zwei wurde Sergey Lagodinsky gewählt. Auch auf die nächsten Listenplätze wurden mit Anna Cavazzini, Michael Bloss, Hannah Neumann und Martin Häusling bisherige Europaabgeordnete gewählt.

Kampf gegen Rechtsruck in der EU

Die 36-Jährige Reintke warnte mit Blick auf die Wahl im kommenden Juni: „Wir werden nächstes Jahr mit aller Kraft gegen einen Rechtsruck im europäischen Parlament kämpfen müssen.“

Die dem linken Parteilager zugerechnete Politikwissenschaftlerin ist bereits seit 2014 EU-Parlamentarierin, sie ist zudem Ko-Vorsitzende der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz, der Abgeordnete aus 17 Ländern angehören.

Es gehe in Europa gleichermaßen um Wohlstand und Klima, sagte Reintke. Den Weg der grünen Transformation der Wirtschaft und den Erhalt von Arbeitsplätzen „können wir nur gemeinsam europäisch gehen“. Dasselbe gelte für die „zweite große ökologische Krise“, das Artensterben.

„Wir werden Kompromisse machen müssen, auch in der Asyl- und Migrationspolitik“, sagte die Grünen-Politikerin weiter. Das Asylrecht dürfe aber nicht „konservativen und rechtsextremen Schäbigkeitswettbewerben preisgegeben werden“. Reintke betonte auch mit Blick auf „Hass und Hetze“ gegen die Grünen: „Ich möchte eine Gesellschaft, in der alle Menschen frei und ohne Angst leben können.“

Die deutsche Europaabgeordnete Terry Reintke (Mitte) mit einem „#metoo“-Plakat neben dem litauischen Europaabgeordneten Bronis Rope (L) und dem österreichischen Europaabgeordneten Michel Reimon (R) während einer Debatte über die Bekämpfung von sexueller Belästigung und sexuellem Missbrauch in der EU im Europäischen Parlament in Straßburg (2017). Foto: PATRICK HERTZOG/AFP über Getty Images

Debatten über Asyl und Migration

Am Abend stehen in Karlsruhe Debatten über das Thema Asyl und Migration auf dem Programm. Hier hatte es vor allem von Parteilinken heftige Kritik an den in der Regierung geschlossenen Kompromissen für einen härteren Kurs in der Asylpolitik gegeben.

Abgestimmt werden soll über einen Dringlichkeitsantrag zu dem Thema. Am Vormittag gibt es auf dem Parteitag zudem ein Gespräch mit der bisherigen Vizepräsidentin der EU-Kommission, Margrethe Vestager.

Doppelspitze bleibt

Die Grünen halten weiter an ihrer Doppelspitze fest. Der Parteitag in Karlsruhe bestätigte am Freitag Ricarda Lang und Omid Nouripour als Parteivorsitzende.

„Es waren zwei aufreibende Jahre“, sagte Nouripour zu seiner bisherigen Arbeit als Grünen-Chef. „Aber die zwei härteren kommen noch.“ Lang wurde mit 82,3 Prozent der Delegiertenstimmen gewählt. Nouripour, der einen Gegenkandidaten hatte, erhielt 79,1 Prozent. Beide sind seit Anfang 2022 Bundesvorsitzende der Grünen.

Die 29-jährige Lang sagte, die Grünen hätten die „historische Aufgabe, Klimaschutz, Wohlstand und Gerechtigkeit miteinander zu verbinden“. Mit Blick auf die Angriffe von vielen Seiten betonte sie, die Grünen ließen sich „nicht aus der Mitte verdrängen“ und zu einer „Ein-Themen-Partei“ machen.

Neuer Schatzmeister

Als Bundesgeschäftsführerin wurde Emily Büning mit 83,3 Prozent der Stimmen in ihrem Amt bestätigt. Neuer Bundesschatzmeister der Grünen ist Frederic Carpenter. Als stellvertretende Bundesvorsitzende wurden der Thüringer Heiko Knopf sowie Pegah Edalatian aus Nordrhein-Westfalen wiedergewählt.

Bei der anschließenden Kandidatenkür für die Europawahl am 9. Juni 2024 stellte sich der Parteitag demonstrativ hinter Reintke: Sie erhielt bei der Wahl auf Platz eins der Liste 95,2 Prozent.

Der Parteitag beginnt am Samstag mit den Beratungen über das Europawahlprogramm der Grünen. Zudem steht am Abend das Thema Migrationspolitik auf der Tagesordnung. An der Parteibasis gibt es großen Unmut über die von den mitregierenden Grünen eingegangenen Kompromissen zur Verschärfung des Asylrechts. (afp)



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