OSZE sieht erhebliche Gefahren für die Pressefreiheit – Algorithmen auf Plattformen wie Google, Facebook und Twitter beunruhigend

Mehr als 170 Journalisten sitzen in den Mitgliedsländern der OSZE in Haft. Viele davon, wie der deutsche "Welt"-Journalist Deniz Yücel, in der Türkei. Die OSZE ist über die Entwicklung tief besorgt.
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Die Sicherheit von Reportern ist nach Einschätzung der OSZE so stark bedroht wie schon lange nicht mehr.Foto: Jens Büttner/dpa
Epoch Times27. Dezember 2017

Die Sicherheit von Reportern und die Pressefreiheit im Allgemeinen sind nach Einschätzung der OSZE so stark bedroht wie schon lange nicht mehr.

Unter dem Deckmantel angeblicher nationaler Sicherheitsinteressen werde versucht, so viele kritische Stimmen wie möglich mundtot zu machen, sagte der Beauftragte für Medienfreiheit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Harlem Désir. Die Gesellschaft leide unter diesem Trend. „Eine starke Medienfreiheit ist in diesen Zeiten ein wichtiger Beitrag, um die Gesellschaft zu stärken. Es gibt keine starke Gesellschaft, die nur wenig Zugang zu Informationen hat.“

Frage: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Medien aktuell?

Antwort: Es gibt eine große Bedrohung für die Sicherheit vieler Journalisten. Besonders, wenn es um Recherchen rund um Korruption geht. Wir sehen in den letzten Monaten, dass die Bereitschaft zu Attacken bis hin zu Morden gestiegen ist. Zuletzt gab es das tödliche Attentat auf die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia. Das größte Problem ist, dass die Verantwortlichen viel zu selten bestraft oder überhaupt identifiziert werden.

Frage: Auch von manchen Staaten geht eine Gefahr für kritische Journalisten aus. Wie viele Reporter sind aktuell inhaftiert?

Antwort: Mehr als 170 Journalisten sind im Gefängnis, viele in der Türkei. Die meisten warten auf einen Prozess. In vielen Fällen argumentieren die betroffenen Regierungen mit der Sicherheitslage im Land. Aber nur weil jemand über die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK berichtet, heißt das nicht, dass der Journalist auch Mitglied der PKK ist. Das Argument der Sicherheit wird in vielen Fällen überstrapaziert und missbraucht, um kritische Stimmen mundtot zu machen.

Frage: Wie schätzen Sie die Lage des in der Türkei inhaftierten „Welt“-Journalisten Deniz Yücel ein?

Antwort: Ich bin sehr beunruhigt über die Situation von Deniz Yücel. Die Grundlage der Anklage ist völlig unbegründet. Ich stehe im Kontakt mit den Behörden und habe die Freilassungen gefordert. Ich will keine Journalisten als Geiseln für Verhandlungen zwischen Staaten sehen. Journalisten repräsentieren nicht ihr Heimatland.

Frage: Wie reagieren Sie auf Russlands Kritik, wonach die OSZE besonders oft östliche Länder ermahnt und den Westen unbehelligt lässt?

Antwort: Wir beobachten den Zustand der Pressefreiheit in allen 57 OSZE-Ländern. Und das mache ich auf eine unparteiliche Art und Weise. Aber ich muss intervenieren, wenn ein Land seine Verpflichtungen verletzt. Das mache ich, sooft es nötig ist. In Russland musste ich es schon mehrere Male machen, aber auch in Ländern, in denen Russland Bedenken wegen seiner Journalisten hatte. Probleme gibt es überall.

Frage: Während eines Ausnahmezustands, wie etwa nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei, zeigen sich viele Länder besonders hart gegenüber freien Medien. Ist das der richtige Weg?

Antwort: Diese Situationen herausfordernder Sicherheitslagen können lange dauern. Wir müssen immer wieder bekräftigen, dass wir im OSZE-Raum diese Lagen nicht bewältigen können, indem wir Menschenrechte und die Medienfreiheit außer Kraft setzen. Im Gegenteil: Eine starke Medienfreiheit ist in diesen Zeiten ein wichtiger Beitrag, um die Gesellschaft zu stärken. Es gibt keine starke Gesellschaft, die nur wenig Zugang zu Informationen hat.

Frage: Das betrifft aber nicht nur Journalisten, sondern auch den unzensierten Zugang zum Internet, oder?

Antwort: Natürlich muss darauf geachtet werden, gerade in Zeiten der digitalen Propaganda der Terrororganisation IS, dass das Internet nicht für verbotene Agenden benutzt wird. Aber es gibt ein Problem der Verhältnismäßigkeit. Regierende dürfen das Argument nicht benutzen, um die Opposition im Netz verstummen zu lassen.

Frage: Sie haben auch US-Präsident Donald Trump kritisiert, der seriöse Medienhäuser häufig bezichtigt, „Fake News“ zu verbreiten.

Antwort: Diskussionen zwischen Regierenden und Medien sind normal. Wenn Staatschefs wie Trump aber Medien als „Feinde der Menschen“ bezeichnet und sagen, dass etwa CNN nur Lügen verbreitet, ist das gefährlich. Diese Art der Attacken setzt die Unversehrtheit von Journalisten aufs Spiel. Manche Bürger könnten sich dadurch aufgerufen führen, wortwörtlich gegen Medienschaffende zu kämpfen.

Frage: Sind „Fake News“ vor allem in sozialen Medien ein echtes Problem?

Antwort: Ja, jeder kann heutzutage im Netz seine eigene kleine Nachrichtenagentur werden. Es gibt auch Gruppen mit politischen Absichten, die versuchen, die Wahrheit zu manipulieren. Aber die Antwort auf diese Entwicklung kann nur sein, seriöse und professionelle Journalisten zu schützen. Und die Menschen besser auszubilden, um zwischen Journalismus und „Fake News“ unterscheiden zu können.

Frage: Wie schätzen Sie die Situation für Medien und Journalisten im Vergleich mit den vergangenen Jahrzehnten ein?

Antwort: Der Versuch, Stimmen von Journalisten durch körperliche Einschüchterungen stumm zu machen, ist ein großes Thema. Nicht nur in Kriegsgebieten. Aber auch die Algorithmen auf Plattformen wie Google, Facebook und Twitter beunruhigen mich. Jeden Tag wird dort die Veröffentlichung von Zehntausenden Meldungen verzögert oder verhindert, ohne dass wir die Mechanismen der Systeme und Software nachvollziehen können.

Frage: Welche Lösungen gibt es dafür?

Antwort: Wir müssen natürlich sicherstellen, dass es Konsequenzen gibt, wenn es Hinweise auf rassistische oder verbotene Inhalte gibt. Aber die Umsetzung ist schwierig. Um das Risiko zu minimieren, Dinge zu übersehen, könnten Unternehmen aber automatisch sehr viele Inhalte blockieren. In Ländern, in denen es keine demokratischen Strukturen gibt, können so kritische Stimmen ausgeblendet werden. Das Internet war anfangs eine neue Plattform von Frieden, Austausch und Pluralität. Es könnte jetzt ein Ort werden, der unter volle Kontrolle von Staaten gestellt wird – unter dem Vorwand, Hasskommentare verhindern zu wollen.

ZUR PERSON: Der Franzose Harlem Désir ist seit Juli 2017 Beauftragter für Medienfreiheit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Der 58-Jährige war zuvor Europaabgeordneter und Staatssekretär für Europafragen im französischen Außenministerium. (dpa)

Siehe auch:

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