Ostermärsche: Frieden dringlicher denn je, Gesellschaft gespaltener denn je

Frieden ist nicht mehr gleich Frieden, für manche ist sogar „Krieg der neue Frieden“. Die Bewegung ist gespalten und wird kleiner – was sich auch an den nur gut 100 Ostermärschen an diesem Wochenende zeigt. Zeit für einen Neuanfang?
Protestplakat: „Frieden schaffen ohne Waffen"
Ein Protestplakat mit uralter Botschaft: „Frieden schaffen ohne Waffen".Foto: P. Reitler
Von 7. April 2023

So viele Demonstranten wie in den 1980er-Jahren werden sich an den Ostermärschen in den nächsten Tagen wohl nicht beteiligen. Damals nahmen 200.000 an den Märschen teil. Darunter eine bunte Mischung friedensbewegter Christen, Grüne, Sozialdemokraten und Gewerkschafter. Sie alle gingen seinerzeit gemeinsam auf die Straße. Für den Frieden.

Frieden dringlicher denn je, Gesellschaft gespaltener denn je

So einfach scheint es inzwischen nicht mehr zu sein. Bundesweit sind in diesem Jahr rund 120 Ostermärsche geplant. Teilnehmerzahl noch ungewiss, in jedem Fall aber nicht mehr so viele wie früher. Im Mittelpunkt steht laut des überregionalen Veranstalterbündnisses aus Friedensinitiativen die Forderung nach einem Waffenstillstand in der Ukraine und nach Aufnahme von Friedensverhandlungen. Die Organisatoren fordern von der Bundesregierung diplomatische Bemühungen, „damit sich Russland verhandlungsbereit zeigt und das tägliche Sterben beendet wird“.

Am Beispiel der diesjährigen Ostermärsche führt sich anschaulich fort, woran und wie sich die Gesellschaft in den letzten Jahren gespalten hat. Wie hoch die Teilnehmerzahlen 2023 sein werden, ist ungewiss. Denn es seien die ersten Osterferien ohne Corona-Beschränkungen, meint Kristian Golla, Mitarbeiter der Friedenskooperative in Bonn, die in Nordrhein-Westfalen mindestens 16 Veranstaltungen mitorganisiert hat. „Und die Polarisierung in der Gesellschaft mit Blick auf den Ukraine-Krieg und Waffenlieferungen“ spiegele sich auch bei den Friedensgruppen, sagte er gegenüber der „Zeit“. Im Moment sei es das Ukraine-Thema, das die Republik und auch die Friedensbewegten spalte, sichtbar gemacht vor allem durch die Medien, unter anderem durch diffamierende Wortschöpfungen wie „Friedensschwurbler“.

Friedensbewegt seit den Sechzigern

Am Donnerstag starteten die ersten Ostermärsche in Erfurt, Freiburg und Königs Wusterhausen. Bis Ostermontagabend werden Demonstrationen in über 100 Städten stattgefunden haben.

Die Ostermärsche hatten sich als Friedensbewegung in Deutschland seit den 1960er-Jahren etabliert. Die Ursprünge liegen in der Bewegung gegen den Kalten Krieg und die nukleare Aufrüstung. Dabei wurde die Bewegung von verschiedenen Gruppen getragen, darunter die Friedensbewegung der 1980er-Jahre, die Gewerkschaften, die Kirchen und die grüne Partei. Die Grünen waren in den 1980er-Jahren noch eine treibende Kraft. Wie sich bei ihnen die Zeiten geändert haben, lässt sich ganz einfach an einer aktuellen Meldung ablesen:

Der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hatte pünktlich kurz vor den Ostermärschen – fast möchte man sagen demonstrativ – vier Tage lang an einer Reservistenübung teilgenommen. Das erklärte Ziel: Werben um ein höheres Ansehen der Bundeswehr mitten in Kriegszeiten. Zum Shitstorm, den der Grüne dafür im Netz erntete, schreibt die „Frankfurter Rundschau“ dienstbeflissen: „Doch der frühere Kriegsdienstverweigerer lässt sich davon nicht abschrecken.“ Als Zeichen dafür hatte er sich ein Schießtraining mit Pistole und Gewehr geben und sich in den vier Trainingstagen zeitweise in den Rang eines Oberleutnants erheben lassen.

Der Weg von grün zu olivgrün

Entwicklungen wie diese verwundert diejenigen nicht, die 1999 mitverfolgt hatten, wie der grüne Außenminister Joschka Fischer – kaum im Amt – den Kriegseinsatz der Bundeswehr im Kosovo durchsetzte. Das war für viele der erste Schritt der Grünen in Richtung „Olivgrün“, der für alle klar und deutlich sichtbar war.

Auf dem Bielefelder Sonderparteitag der Grünen im Mai 1999 rechtfertigte Fischer den ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr im Kosovo mit der Parole „Nie wieder Auschwitz“. Der Gegenantrag von Hans-Christian Ströbele und Claudia Roth („Die Luftangriffe sofort beenden und mit der Logik der Kriegführung brechen!“) wurde seinerzeit mit 444 zu 318 überstimmt.

Mittlerweile sind auch die Grünen im Bundestag weiter weg von der Friedensbewegung denn je: exemplarisch der Grüne Omid Nouripour, der bei einer Rede vor dem Bundestag am 22. September 2022 unter Beifall von den Grünen, der SPD, der FDP und auch teilweise der Unionsabgeordneten Waffenlieferungen an die Ukraine forderte: „Die Waffensysteme helfen, Leben zu schützen. Es ist deshalb richtig, das weiterhin zu machen.“

Vergangenheit: Kirchen als Hort des Friedens und der Friedensbewegung

Für viele sind die Grünen mit ihrem Haltungswandel in Richtung „Frieden schaffen mit Waffen“ als Protagonisten und Treiber der Friedensbewegung erledigt, werden vielmehr als „Kriegstreiber“ betrachtet. Kaum vorstellbar, dass eine Partei, die der Forderung nach einem „Einmarschieren“ immer näherzukommen scheint, Menschen noch zu Friedensmärschen bewegen vermag.

Aber diese Entwicklung bei den Grünen ist nicht der einzige Friedensbewegungsbooster, der abhandengekommen ist: Auch die Kirche scheint ausgespielt zu haben als eine Organisation, die ihre Schäfchen in Frieden verbinden will.

Zumindest bei denjenigen, die sich über den eigenen Glauben hinaus mit der Haltung der Kirche näher beschäftigen, drängen sich deren Tendenzen zur Spaltung der Gesellschaft auf: erst zur Corona-Krise, dann zum Ukraine-Krieg. Unvergessen das Verhalten der Kirche in der Pandemiezeit: Priester und Bischöfe ließen Ostermärsche ganz gehorsam virtuell stattfinden, trieben Ungeimpfte aus ihren Gotteshäusern – und verzeichneten dafür und auch wegen der vielen ans Licht gekommenen Skandale einen immer größeren Mitgliederschwund.

Waffenlieferungen, die neuen Friedensbotschaften der Kirchen

Gleichwohl machten es sich die Kirchenfunktionäre flugs in den Reihen der Kriegsversteher und Waffenbefürworter gemütlich. So wirbt die neue Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche (EKD), Annette Kurschus, offen für Waffenlieferungen an die Ukraine – zum Beispiel vom öffentlich-rechtlichen Talkshow-Sessel bei Anne Will aus. Die christliche Friedensethik legitimiere den Einsatz von „rechtserhaltender Gewalt als Ultima Ratio“ zum „Schutz von Leib und Leben von Menschen“, hörte man da von der EKD-Chefin, die die Haltung vertritt, dass es „keine christliche Pflicht zu radikalem Pazifismus“ gebe.

Das sieht ihre Vorgängerin Margot Käßmann offenbar anders: Sie war eine der Erstunterzeichnerinnen des „Manifests für Frieden“, das gemeinsam von der Publizistin Alice Schwarzer und der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht verfasst worden war. Stand 6. April unterschrieben bereits über eine Dreiviertelmillion Menschen.

Das Manifest fordert vorbehaltlos zu Friedensverhandlungen auf. Es heißt unter anderem: „Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen.“ Während sich am 24. Februar parteiübergreifend zig Tausende vor dem Brandenburger Tor in Berlin trafen, lässt sich an diesem Beispiel gut die nächste zerstörerische Kraft der Friedensbestrebungen der Menschen herunter deklinieren, nämlich „die Medien“.

Medien in der Friedensbewegung als erfolgreiche Spalter

Denn in der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung und darüber hinaus wurde eine Kontaktschuld propagiert – insbesondere mit der Frage, ob sich zu Demonstrationen gegen Krieg, gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und für Menschenrechte auch Menschen mit „rechter Gesinnung“ gesellen würden. Theologin Käßmann jedenfalls war der Veranstaltung von Wagenknecht und Schwarzer wie viele andere fern geblieben, weil unter anderem AfD-Politiker und „Rechte“ ihre Teilnahme an der Kundgebung angekündigt hatten.

Dieses Prinzip der Kontaktschuld wird erneut für die anstehenden Ostermärsche propagiert. Als Beispiel möge ein Artikel im „Münchener Merkur“ dienen, der fast schon höhnisch den Schwund der erwarteten Teilnehmerzahl 2023 unter der Überschrift „Friedensbewegung in der Ukraine-Falle“ kommentiert:

Zurück bleibt ein Häuflein aus Kommunisten, Pazifisten und dem Duo Sahra Wagenknecht/Alice Schwarzer, für die, lässt man das Wortgeklingel beiseite, weniger Putins Angriffskrieg als vielmehr der aufopferungsvolle Freiheitskampf der Ukrainer mitsamt westlicher Waffenhilfe der eigentliche Kriegsskandal ist, weil das ja das Leiden verlängere. Neu hinzugesellt haben sich viele Rechtsradikale, die Putin anhimmeln.“

Ostermärsche als Signal

Eine Frage wird aktuell noch einmal mehr dringlich: Braucht es die Politik – sprich die Grünen, die Kirche oder die Medien – überhaupt noch für eine Friedensbewegung oder für einen Ostermarsch? Oder wird es Zeit, neu anzufangen, ohne all die vom Staat teilweise alimentierten Funktionäre und neuen Kriegstreiber-Protagonisten? Braucht es vielleicht vielmehr nur den Willen vieler Menschen, neu anzufangen? Gemeinsam mit all jenen, die sich wirklich einfach nur Frieden wünschen und sich dafür engagieren wollen?

Vielleicht wird es ja Zeit, dass aus all den diffamierten „Querdenkern“ und „Friedensschwurblern“ eine neue Generation der „Friedensdenker“ erwächst, die auf den Ostermärschen die ersten Schritte zusammen machen und sich selbstbewusst nicht davon beeindrucken lassen, nach wessen Wind Politik, Kirche und Medien ihre Fähnchen irgendwann gedreht haben.



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