Offener Antisemitismus: Fremder Hass auf deutschen Straßen – wie groß ist die Gefahr wirklich?
Nach dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober gibt es auch in Deutschland wieder eine ziemlich bittere Realität: Antisemitismus hat wieder einen starken Platz in unserem Land. Jüdinnen und Juden fühlen sich in diesen Tagen in unserem Land so bedroht wie lange nicht mehr.
Wie die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) im Oktober schrieb, kleben in Berlin einige jüdische Menschen sogar ihre Namen auf den Klingelschildern ab. Selbst die Mesusa, eine kleine traditionelle Schriftenrolle am Türpfosten, wird aus Angst, als Jude erkannt zu werden, abgeschraubt. Unter der jüdischen Gemeinde geht wieder die Angst um.
Anders als bei früheren Attacken auf Juden
Nachdem die Hamas für den 13. Oktober einen weltweiten Mordaufruf gestartet hatte, waren die Folgen in Berlin zu spüren. In dem Aufruf war von einem „Freitag der Al-Aksa-Flut“ die Rede. Das ist der Codename für die Terrorattacken in Israel.
Aus Furcht vor Anschlägen blieben manche jüdische Läden geschlossen. An einigen jüdischen Schulen fiel der Unterricht aus – Eltern hatten ihre Kinder aus Angst nicht zur Schule geschickt. Oliver Doron Hoffmann brachte damals die Situation in der SZ auf den Punkt: „Alle haben Angst.“ Hoffmann ist Sicherheitsunternehmer und auf den Anti-Terror-Kampf und den Schutz jüdischer Einrichtungen spezialisiert. Es sei diesmal anders als bei früheren Attacken auf Juden weltweit, sagte Hoffmann damals.
Die Anmeldungen zu seinen Selbstverteidigungskursen seien sprunghaft gestiegen. Für eine jüdische Gemeinde musste der Unternehmer zum Gottesdienst am Schabbat extra einen Saal weit weg von der Synagoge finden – die Gemeinde hatte Angst, sich in der Synagoge zu treffen.
Auch die Berliner Polizei hat ihren Schutz jüdischer Einrichtungen in den letzten Wochen nach dem Hamas-Überfall drastisch erhöht. Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte im Oktober der „Deutschen Presse-Agentur“ (dpa) gesagt: „Es sind die schwierigsten Zeiten bisher in meiner Amtszeit.“ Es gehe um die Verantwortung für die ganze Stadt und die jüdischen Mitbürger.
Berlin hat nicht nur eine der größten jüdischen Gemeinden in Deutschland, sondern es leben auch viele arabischstämmige Menschen in der Stadt. Davon leben etwa 40.000 Menschen, so wird geschätzt, mit palästinensischen Wurzeln in Berlin. Viele von ihnen sind während des Bürgerkriegs in Libanon nach Deutschland geflohen. Nach dem Angriff auf Israel wurde nun deutlich, wie schnell der Konflikt im Nahen Osten nach Deutschland getragen werden kann.
Anzahl Demonstrationen fast verdoppelt
Wie das Magazin „Spiegel“ am 6.11. berichtete, hat sich seit dem Hamas-Angriff die Anzahl propalästinensischer Demonstrationen in den 20 Großstädten des Landes fast verdoppelt. Das Magazin beruft sich hier auf eine selbst durchgeführte Umfrage. Würde man die von den Ordnungsbehörden verbotenen Demonstrationen dazurechnen, wäre die Zahl der Kundgebungen mit antisemitischen Bekundungen in Deutschland noch höher gewesen.
Von 16 Städten lagen die Zahlen der angemeldeten und vollzogenen Versammlungen unter freiem Himmel mit Stichtag 2. November vor. Allein in der Hauptstadt Berlin wurden in diesem Zeitraum 91 Demonstrationen angemeldet, darunter 45 propalästinensische, 28 proisraelische und 18 Versammlungen, die in diesem Kontext nicht zugeordnet werden konnten.
Zu den angemeldeten propalästinensischen Kundgebungen kamen noch etwa zehn Prozent nicht angemeldete Demonstrationen dazu. Zwei verbotene propalästinensische Versammlungen in München und Frankfurt am Main wurden von den zuständigen Oberlandesgerichten wieder aufgehoben. Etwa jede zehnte Demonstration wurde trotz Anmeldungen von den Veranstaltern wieder abgesagt.
In Düsseldorf kamen etwa 17.000 Menschen zu einer propalästinensischen Demonstration zusammen. Das ist die bisher größte Kundgebung. Wie die „Tagesschau“ berichtete, ist die Veranstaltung überwiegend friedlich verlaufen. Allerdings mussten mehrere Anzeigen wegen Volksverhetzung geschrieben werden. So seien schon zu Beginn der Veranstaltung Plakate von der Polizei sichergestellt worden, die den Holocaust relativiert hätten. Angemeldet wurde diese Veranstaltung von einer Privatperson.
In Berlin kamen zur gleichen Zeit etwa 8.500 Menschen zusammen. Zu der Veranstaltung aufgerufen hatte ein Bündnis mehrerer propalästinensischer Verbände sowie die israelkritische Organisation Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden im Nahost. Auch mehrere Organisationen aus dem linken politischen Spektrum hatten an diesem Tag aufgerufen, an dieser Kundgebung teilzunehmen.
Die Demonstranten skandierten „Freiheit für Palästina“ und warfen Israel „Völkermord“ und „Apartheid“ vor. Auch auf dieser Kundgebung wurden mitgeführte Banner und Plakate von der Polizei wegen volksverhetzender Inhalte beschlagnahmt. Weiter wurden Platzverweise ausgesprochen. 59 Menschen wurden vorübergehend von der Polizei in Gewahrsam genommen. Insgesamt gab es 64 Anzeigen, in 16 Fällen wegen des Verdachts auf Volksverhetzung.
Schon zuvor kam es zu einer Demonstration in Essen. Dort wurde auf Plakaten die Einrichtung eines islamischen Kalifats gefordert. Augenzeugen berichteten laut „Tagesschau“ weiter, dass auf dieser Demonstration die Vernichtung des Staates Israel gefordert worden sei. Auf Anfrage teilte die zuständige Polizeibehörde mit, dass ihr dazu entsprechende Videoaufzeichnungen vorlägen, die nun geprüft würden.
Wie die FAZ schreibt, sei die Veranstaltung in Essen von einer Privatperson angemeldet worden. Nach Einschätzung von Fachleuten, waren die treibende Kraft hinter dem Aufmarsch aber Gruppierungen wie Generation Islam, eine Nachfolgevereinigung der 2003 in Deutschland verbotenen Organisation Hizb ut-Tahrir (HuT).
Zentrales Ziel von HuT ist die Errichtung eines islamischen Staates auf der Grundlage der Scharia. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah es 2012 als erwiesen an, dass HuT dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht.
Mit Steinen und Feuerwerkskörper gegen die Polizei
Nicht immer verliefen die Kundgebungen allerdings so überwiegend friedlich wie an jenem Wochenende. Am 18. Oktober musste die Polizei in Berlin Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzen. Nachdem damals der Beschuss eines Krankenhauses im Gazastreifen gemeldet wurde, kam es in der Hauptstadt immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.
Bis zu 100 teils vermummten Menschen versammelten sich im Stadtteil Neukölln, brannten Pyrotechnik ab und errichten auf den Straßen Barrikaden. Immer wieder wurden dabei Polizisten von den Vermummten attackiert und mit Steinen und Feuerwerkskörper beworfen. Dabei wurden israelfeindliche Parolen propagiert. 360 Polizeibeamte waren an diesem Abend im Einsatz, 20 Beamte wurden bei den Angriffen verletzt, wovon zwei nicht mehr weiterarbeiten konnten.
Nach Angaben der Feuerwehr brannten damals Müllcontainer, E-Scooter und ein Kinderspielplatz. Die Polizei setzte Wasserwerfer zum Löschen der Brände ein. Später musste sie damit auch gegen Demonstranten vorgehen.
Wie der Fernsehsender rbb berichtet, waren die Menschen damals einem Aufruf der Gruppe Samidoun gefolgt. Samidoun bezeichnet sich selbst als Solidaritätsnetzwerk für palästinensische Gefangene. Das Bundesamt für Verfassungsschutz spricht von einer linksextremistischen Organisation. Größere Aufmerksamkeit erhielt Samidoun, als Mitglieder der Gruppe am 7. Oktober Süßigkeiten in Neukölln verteilten – Stunden nach dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel.
Brandanschlag auf Synagoge in Berlin
Am 18. Oktober warfen Unbekannte zwei Molotowcocktails auf eine Synagoge. Wie die jüdische Gemeinde Kahal Adass Jisroel auf der Plattform X (vormals Twitter) schrieb, seien die Molotowcocktails von der Straße aus in Richtung ihres Gemeindezentrums geworfen worden.
Heute Nacht (18.10.) wurde ein versuchter Brandanschlag auf unsere Gemeinde Kahal Adass Jisroel verübt. Unbekannte warfen dabei 2 Molotow-Cocktails von der Straße aus in Richtung unseres Gemeindezentrums in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte. pic.twitter.com/tnh0UIV9mw
— Kahal Adass Jisroel (@KAJ_Berlin) October 18, 2023
Während der Ermittlungen der Polizei vor der Synagoge kam es dann laut einem Bericht der „Tagesschau“ zu einem weiteren Vorfall. Auf einem E-Scooter kam ein 30-jähriger Mann auf die Synagoge zugefahren. Kurz davor warf er den Roller weg und lief in Richtung des Gebäudes. Die anwesende Polizei konnte das verhindern und den Mann vorläufig festnehmen. Bei der Festnahme leistet der Mann Widerstand und rief volksverhetzende sowie israelfeindliche Parolen.
Die vielen antisemitischen Attacken gegen jüdische Menschen in Deutschland schrecken die Politik auf. So sprach die grüne Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor im Oktober von einer neuen Dimension des Antisemitismus in Deutschland.
„Für Jüdinnen und Juden und für unser innenpolitisches Geschehen ist das eine neue Dimension“, so Kaddor. Sie spricht von einer „Zäsur“, in der Qualität und der Massivität. „Wenn Davidsterne wieder an Haustüren geschmiert werden, dann erinnert das an sehr finstere Zeiten“, so die Grünen-Politikerin.
Antisemitismus unter Migranten höher
Dass sich seit dem 7. Oktober ein vor allem von Migranten geprägter Antisemitismus in Deutschland Bahn bricht, dürfte manchen Beobachter nicht verwundern. Das Thema wurde in den letzten Jahren aber versucht, politisch kleinzureden. Dabei gibt es spätestens mit der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 immer wieder eine Debatte darüber, wie es um den Antisemitismus unter Migranten steht.
Im Jahr 2018 gab es eine Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. Dabei kam heraus, dass 41 Prozent der befragten jüdischen Menschen, die bis dahin Diskriminierungserfahrungen gemacht hatten, bei den Tätern eine „extremist Muslim view“ – also eine extreme muslemische Sichtweise – annahmen.
Eine andere Umfrage aus dem Jahr 2017 unter 553 Juden in Deutschland zeigte, dass 70 Prozent Sorge hatten, „dass der Antisemitismus in Deutschland zunehmen wird, weil viele Flüchtlinge antisemitisch eingestellt sind“. 58 Prozent fühlten sich „in Deutschland als jüdische Person zunehmend unsicher aufgrund der derzeitigen Zuwanderung nach Deutschland“.
Im April dieses Jahres bestätigte eine Untersuchung der Technischen Universität (TU) im Auftrag des „Mediendienst Integration“, dass antisemitische Einstellungen unter einem Teil der Migranten in Deutschland ein Problem sind.
Antisemitische Einstellungen, die unter die Kategorie „klassischer Antisemitismus“ und „israelbezogener Antisemitismus“ fallen, sind demnach unter Muslimen in Deutschland teils erheblich weiter verbreitet als unter dem Rest der Bevölkerung. 45 Prozent der Muslime in Deutschland stimmten beispielsweise der Aussage zu, Juden hätten zu viel Macht in der Politik. Unter Nichtmuslimen vertreten laut der Studie 18 Prozent diese Auffassung.
Die Studie kommt allerdings im Hinblick auf die Leugnung und Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen zum Ergebnis, dass diese bei Menschen mit Migrationshintergrund weniger verbreitet sind als beim Rest der Bevölkerung. Zwischen Muslimen und Nichtmuslimen gebe es kaum Unterschiede.
Herkunft spielt mehr eine Rolle als Religion
Weiter gibt die Studie einen guten Überblick darüber, inwieweit die Herkunft ein Faktor im Hinblick auf antisemitische Einstellungen ist.
So ist die Gesellschaft in Syrien beispielsweise durch den Diktator Assad von einem staatlich verordneten Antisemitismus geprägt. Das Assad-Regime sieht in Israel den „Erzfeind“. Migranten aus Syrien bringen daher nicht selten eine antisemitische Grundeinstellung mit. Dabei sei die Religion unerheblich. „Es ist nicht ein muslimisches Phänomen, sondern man kann auch sehen, dass Christinnen und Christen in den entsprechenden Ländern höhere antisemitische Einstellungswerte haben“, heißt es in der Studie.
Auch sei der Antisemitismus unter den in Deutschland lebenden Muslimen unterschiedlich ausgeprägt. Es gebe unterschiedliche Zustimmung bei Schiiten und Sunniten, den beiden Hauptströmungen des Islam. Bei den Aleviten, einer vorwiegend in der Türkei beheimateten Glaubensrichtung, sagen nur zwei Prozent, sie nehmen das Judentum als Bedrohung wahr.
Am 9. November erinnert sich Deutschland an den Tag vor 85 Jahren. Damals wurden Synagogen angezündet, jüdische Menschen angegriffen und ihre Häuser und Geschäfte zerstört. „Nie wieder“ – so lautet seitdem die deutsche Staatsräson.
In der „Hessenschau“ spricht Eva Maria Schult-Jander über ihre Erlebnisse vor 85 Jahren. Als Kind eines jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter hat sie damals die Gewaltaktionen gegen jüdische Menschen erlebt.
„Ich hätte nie gedacht, dass man sich wieder fürchten muss“
Seit den 1990er-Jahren wohnt sie nun in Kassel und engagiert sich in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. „Ich habe lange gedacht, gut, dass wir in einer soliden Demokratie leben, in der wir an die Pogrome erinnern können. Ich habe mich immer gefreut, dass in Kassel so eine breite Zivilgesellschaft diese Erinnerung mitträgt.“
In diesem Jahr ist sich Schult-Jander aber nicht mehr so sicher. „Seit dem 7. Oktober ist alles irgendwie anders. Die Stimmung ist aufgeheizt und emotional. Ich hätte nie gedacht, dass man sich wieder fürchten muss am 9. November.“
Gerade hat auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, seine Besorgnis über die Situation zum Ausdruck gebracht. Seit dem 7. Oktober verzeichnet das Bundeskriminalamt schon mehr als 2.600 Straftaten im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt.
Viele dieser Straftaten passieren „bei vermeintlich propalästinensischen, in Wahrheit aber meistens antiisraelischen Demonstrationen“, so Klein. Hauptsächlich wurden danach Fälle von Sachbeschädigung, Volksverhetzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt erfasst. Die Zahl der Gewaltstraftaten bewege sich im mittleren dreistelligen Bereich. Der Judenhass sei in Deutschland auf einem seit Jahrzehnten nicht mehr gesehenen Niveau.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion