Özdemir fordert weitreichendes Verbot von Junkfood-Werbung

Junkfood ist ungesund, das ist klar. Aber ist ein Werbeverbot der richtige Ansatz, um besonders Kinder davor zu schützen? Bundesernährungsminister Cem Özdemir ist davon fest überzeugt – und präsentiert seine Pläne.
Özdemir fordert weitreichendes Verbot von Junkfood-Werbung
Nicht zu viele Süßigkeiten: „Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder gesünder aufwachsen können“, sagt Bundesernährungsminister Cem Özdemir.Foto: iStock
Von 1. März 2023

Kinder sollen nach den Plänen von Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) künftig keine Werbung mehr für ungesunde Lebensmittel sehen. Özdemir schlug ein weitreichendes Verbot von an Kinder gerichteter Junkfood-Werbung vor. Fachleute lobten die Pläne, der Koalitionspartner FDP kündigte Widerstand an. Lebensmittel- und Werbewirtschaft reagierten empört.

Freiwillige Selbstverpflichtungen der Werbewirtschaft hätten zu nichts geführt, sagte Özdemir am Montag in Berlin. Deshalb brauche es nun eine strikte Regelung. Er fordere kein „allgemeines Werbeverbot“ – „aber die Werbung darf sich eben nicht mehr gezielt an Kinder richten.“

Werbeverbot in fast allen Medienformen

Das Werbeverbot soll für Fernseh- und Radiosendungen sowie Onlinenetzwerke wie YouTube von 06:00 Uhr morgens bis 23:00 Uhr abends gelten. Auch Anzeigen in Presseerzeugnissen sollen unter das Verbot fallen, wenn sie sich von der Aufmachung her offensichtlich an Kinder richten. Außenwerbung für Süßigkeiten und Ähnliches soll im Hundert-Meter-Umkreis von Schulen und Einrichtungen wie etwa Schwimmbädern nicht mehr möglich sein. Neue Vorgaben sind auch für Sponsoring etwa beim Vereinssport geplant.

Die Definition von „an Kinder gerichteter Werbung“ ist weit gefasst: Es reiche aus, wenn „bewusst in Kauf genommen wird, dass sie regelmäßig insbesondere auch von Kindern wahrgenommen wird beziehungsweise wahrgenommen werden kann“, sagte der Minister. Kinder sahen nachweislich zwischen 06:00 Uhr und 23:00 Uhr fern oder seien im Internet unterwegs. Für die Definition ungesunder Lebensmittel will sich Özdemir nach Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) richten.

Lob für die Pläne kam von der Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Ursula Felderhoff-Müser. Kinder- und Jugendärzte, wissenschaftliche Fachgesellschaften und Verbraucherorganisationen forderten eine solche Regelung bereits seit Jahren, denn die Wirksamkeit von an Kinder gerichteter Werbung sei gut belegt.

Die Deutsche Adipositasgesellschaft erklärte, Özdemir sei „ein großer Wurf gelungen“. Adipositas (Fettleibigkeit) bei Kindern stelle ein zentrales Gesundheitsproblem dar, die Werbung für Ungesundes sei dafür ein wichtiger Faktor. Die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), Foodwatch, der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbz) und der WWF sprachen allesamt von einem „Meilenstein“ im Kampf gegen Übergewicht und für die Kindergesundheit.

Wissenschaftliche Untersuchungen hätten gezeigt, dass viele der beliebtesten Sendungen bei Kindern unter 14 Jahren keine Cartoons seien, sondern Familienshows und Fußballübertragungen, erklärte DANK-Sprecherin Barbara Bitzer. „Eine Werbebeschränkung light, die nur im Umfeld klassischer Kindersendungen greift, wäre zum Scheitern verurteilt.“ Sie appellierte an die Koalitionspartner SPD und FDP, „diesen aus wissenschaftlicher Sicht richtigen und wichtigen Vorschlag des Ministers zu unterstützen“.

Özdemir fordert weitreichendes Verbot von Junkfood-Werbung

Bundesernährungsminister Cem Özdemir. Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Widerstand vorprogrammiert?

Özdemir sagte, er werde nun die Ressortabstimmung einleiten und rechne durchaus mit „Widerstand“. Der agrarpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker, kündigte umgehend an, innerhalb der Ampel werde der Grünen-Politiker „keine Mehrheit finden“. Özdemir verfolge offenbar das Ziel, „aus jedem unmündigen Kind einen unmündigen Bürger werden zu lassen“.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte auf Twitter, er stimme Özdemir „klar zu“. Kinderwerbung für ungesunde Lebensmittel sollte verboten werden. SPD-Chefin Saskia Esken dagegen sagte, „Kinder vor ungesunden Lebensmitteln schützen, das müssen, glaube ich, immer noch die Eltern tun.“

Die Lebensmittelindustrie kritisierte, die Kriterien der WHO seien „völlig intransparent“. Es gebe keine belastbaren wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirksamkeit der Werbebeschränkungen auf die Gesamternährung und die Entwicklung von kindlichem Übergewicht.

Keine Verbesserung in Großbritannien

Der Verband verwies auf das Beispiel Großbritannien, wo es seit mehr als 15 Jahren Werbeverbote gebe und die Übergewichtsraten nicht gesunken seien. Die „Kinderärztliche Praxis“ informiert dazu über Daten aus England vom Herbst 2022. Diese zeigen, dass dort 14,4 Prozent der Kinder in der 5. Klasse im Jahr 2020/21 fettleibig waren. 2019/20 betrug dieser Anteil nur 9,9 Prozent. Unter den Schülern der 6. Klasse im Alter von zehn bis elf Jahren stieg die Häufigkeit von Adipositas von 21 Prozent im Jahr 2019/20 auf 25,5 Prozent im Jahr 2020/21.

Wenn zwischen 06:00 Uhr und 23:00 Uhr abends für den Kriterien entsprechende Lebensmittel nicht mehr geworben werden dürfe, „betrifft das mehr als 70 Prozent der Produkte“. Würden die Einschränkungen auch für Sportsponsoring, Social-Media-Aktivitäten und Samstagabendshows gelten, „wird das weitreichende Folgen für die Medien-, Sport- und Kulturlandschaft haben“.

Der Zentralverband der Werbewirtschaft schloss sich den Argumenten an. Auch er sieht ein „weitgehendes Totalverbot für Lebensmittel“ in den Plänen Özdemirs. Das führe zu einer „massiven Überregulierung“.

Abstimmung noch vor April

Laut Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft soll der Gesetzentwurf im ersten Quartal 2023 abgestimmt werden, berichtet die ARD. Dabei sollen die Bundesländer und Verbände konsultiert und Stellungnahmen ausgewertet werden. Die Bundesregierung legt dann den überarbeiteten Entwurf der EU-Kommission zur Notifizierung vor. Im Anschluss daran müsse der Bundestag den Entwurf beschließen.

Rund 15 Prozent der 3- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind nach Angaben der Bundesregierung übergewichtig, fast sechs Prozent von ihnen fettleibig. Das Fatale: Erlangt man im Kindesalter Übergewicht, bleibe es oftmals ein Leben lang bestehen. Das erhöhe in späteren Lebensphasen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes, teilte die Bundesregierung weiter mit.

(Mit Material von AFP)



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