Zurückweisung von Asylsuchenden — deutsche Grenzpolitik empört Nachbarländer
Die Debatte in Deutschland über eine Zurückweisung Asylsuchender an den Grenzen ohne weiteres Verfahren sorgt zunehmend für Irritationen in den Nachbarländern. Nachdem bereits Österreich am Montag, 9. September, signalisiert hatte, für automatisierte Zurückweisungen Geflüchteter an Deutschlands Außengrenzen nicht zur Verfügung zu stehen, kamen ähnliche Aussagen auch aus Polen.
Polens Regierungschef Donald Tusk sprach am Dienstag von einem „inakzeptablen“ Vorgehen. Deutschland, das bereits seit Oktober des Vorjahres Grenzkontrollen entlang der polnischen Grenze vornimmt, habe das Schengen-Abkommen „praktisch ausgesetzt“.
An Polens Grenze zu Weißrussland sind Zurückweisungen die Regel
In Polen sieht man sich als Opfer einer „hybriden Kriegsführung“. Diese wirft man dem Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, und dessen Verbündetem Alexander Lukaschenko in Weißrussland vor. Beide sollen gezielt einen Andrang von Asylsuchenden aus dem Nahen Osten und zentralasiatischen Ländern an die Grenze zu Polen fördern.
Was Polen brauche, so Tusk, sei nicht eine Verstärkung der Kontrollen an der polnisch-deutschen Grenze. Stattdessen sollten Länder wie Deutschland sich stärker „an der Bewachung und Sicherung der Außengrenzen der EU“ beteiligen. Tusk wolle bereits in Kürze andere Mitgliedstaaten, die von einer möglichen Änderung des Grenzregimes in Deutschland betroffen wären, um „dringende Konsultationen“ bitten.
Polen betreibt bereits jetzt mit stillschweigender Billigung durch die EU eine Grenzpolitik, die Kritikern zufolge von systematischen Verstößen gegen EU-Recht und internationale Konventionen zum Schutz der Rechte Geflüchteter verstößt. Gewalt durch Grenzschützer, Pushbacks und die Abnahme von Eigentum seien an der Tagesordnung. Auch von Todesopfern ist die Rede.
Praktiziert Deutschland de facto bereits jetzt Pushbacks?
Im Sommer 2022 hat Polen einen mehr als vier Meter hohen Grenzzaun entlang der Grenze zu Weißrussland errichtet. Im Dezember 2023 hat die Regierung unter Führung der liberalen Bürgerplattform (PO) sogar den Schusswaffengebrauch bei Grenzverletzung erlaubt.
Die wenigsten Schutzsuchenden, die es über die weißrussische Grenze nach Polen schaffen, bleiben dort. Die meisten versuchen, sich nach Deutschland durchzuschlagen. Mittlerweile ist es pro Monat noch eine dreistellige Anzahl an Geflüchteten, die auf diesem Wege dort einreisen. In den Jahren zuvor war diese noch deutlich höher gewesen.
Der Rückgang der Asylzahlen liegt nach Einschätzung der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl auch daran, dass Deutschland bereits jetzt systematisch Pushbacks entlang seiner Ostgrenze praktiziere. Auch würden Helfer eingeschüchtert. Die polnische Zeitung „wpolityce.pl“ erwähnt den Fall des Künstlers Michael Kurzwelly aus Frankfurt an der Oder.
Dieser hatte versucht, zwei jemenitischen Geflüchteten, die zuvor schon über die Grenze nach Słubice gebracht worden waren, vor der Bundespolizei beim erneuten Erläutern ihres Asylantrags zu helfen. Daraufhin sei er unter dem Verdacht, Schleuser zu sein, zusammen mit diesen wieder auf die polnische Seite gebracht worden.
Pro Asyl: „Eingereiste werden durch Einschüchterung von Asylantrag abgehalten“
Auch etwa 80 Asylsuchende, die in Zielona Góra campiert hatten, sollen zum Teil mehrfach versucht haben, auf der deutschen Seite Asyl zu beantragen. Obwohl Deutschland nach geltendem Recht in einem solchen Fall verpflichtet wäre, zumindest ein Verfahren einzuleiten, wurden sie unverrichteter Dinge nach Polen zurückgebracht.
Dabei hätte eine Überprüfung auch ergeben können, dass sie über die Balkanroute dorthin gelangt waren – in diesem Fall wäre Griechenland, Italien oder Bulgarien für das Asylverfahren zuständig gewesen. Pro Asyl spricht davon, dass die Zahl der zurückgewiesenen Asylsuchenden an den polnischen Grenzen von drei im Vorjahr auf mittlerweile 2.386 im laufenden Jahr gestiegen sei.
Gleichzeitig sei die Zahl der gestellten Asylanträge im gleichen Zeitraum von 2.268 auf 450 gesunken. Pro-Asyl-Sprecher Dirk Morlok äußerte mit Blick auf die Zurückweisungen:
„Eine solch drastisch gestiegene Zahl muss abgeklärt werden und bestätigt unsere Befürchtung, dass es an den deutschen Grenzen zu illegalen Abweisungen kommen könnte.“
Morlok erklärte zudem, ihm seien Fälle bekannt, bei denen die Polizei irregulär eingereiste Personen sogar eingeschüchtert hätten, mit dem Ziel, ihnen das Stellen eines Asylantrags auszureden.
Zahl der Asylanträge in Deutschland deutlich rückläufig
Zwar hat die Union, die bereits im Vorfeld des von Bundesinnenministerin Nancy Faeser anberaumten Migrationsgipfels ein solches Vorgehen gefordert hatte, diesen am Dienstag verlassen. Dennoch ist das Thema nicht vom Tisch: Mit der FDP fordert auch ein Ampelpartner Zurückweisungen an den Grenzen. Darüber hinaus hat die Koalition bereits vor zwei Wochen beschlossen, Asylsuchenden, für deren Verfahren mutmaßlich andere EU-Staaten zuständig sind, Leistungen zu kürzen.
Befürworter automatischer Pushbacks verweisen auf die Dublin-Regeln der EU. Diesen zufolge ist jeweils jener Mitgliedstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig, in dem der Schutzsuchende erstmals Gemeinschaftsterritorium betreten hatte. Deutschland ist dies im Regelfall nicht.
Dennoch entfielen beispielsweise im Vorjahr 329.035 von EU-weit insgesamt 1.049.020 Asylanträgen auf Deutschland. Dessen Politiker werfen Ankunftsstaaten vor, Asylsuchende einfach weiterreisen zu lassen, statt die Asylverfahren selbst durchzuführen. Länder wie Polen kritisieren hingegen, Deutschland habe durch eine offene Migrationspolitik in der Vergangenheit und großzügige Sozialleistungen selbst Asylmigration angezogen. Seit etwa November des Vorjahres ist die Zahl der Schutzsuchenden, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, rückläufig. Im bisherigen Verlauf des Jahres ist die Zahl der hier gestellten Asylanträge um 21,7 Prozent geringer als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
Der mutmaßliche Terroranschlag von Solingen hat jedoch politische Geschäftigkeit ausgelöst. Beim Tatverdächtigen handelt es sich um einen syrischen Geflüchteten, der im Dezember 2022 in Bulgarien erstmals EU-Boden betreten hatte und nach Deutschland weitergereist war. Sein dortiger Asylantrag wurde bereits Anfang des Jahres 2023 mit der Begründung abgelehnt, für das Asylverfahren sei aufgrund der Dublin-Regeln Bulgarien zuständig. Eine geplante Abschiebung scheiterte jedoch an der Abwesenheit des Eingereisten.
Union beharrt auf „nationalem Notstand“
Ministerin Faeser hatte im Vorjahr Grenzkontrollen an den Grenzen zu Tschechien, Polen und der Schweiz angeordnet. Nun strebt sie „ein neues Modell der effektiven Zurückweisung von Migranten an den Grenzen in Übereinstimmung mit dem europäischen Recht“ an. Die Union hatte unter Berufung auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gefordert, einen „nationalen Notstand“ zu erklären.
Dies solle es ermöglichen, automatische und sofortige Pushbacks an der Grenze von Menschen vorzunehmen, die über sichere Drittstaaten nach Deutschland gereist sind und kein Visum haben. Die EU-Rückführungsrichtlinie sieht so etwas nur vor, wenn bereits anderweitig ein Asylantrag gestellt wurde und die betroffenen Nachbarstaaten zustimmen. Dazu müsse ein formelles Verfahren durchgeführt werden, um die Zuständigkeit zu klären.
Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hält Ablehnungen nach § 18 Asylgesetz hingegen für möglich und sogar notwendig. In diesem Absatz heißt es, dass Personen, die aus sicheren Drittstaaten einreisen, die Einreise verweigert werden muss.
Papier hält Zurückweisungen an Grenzen für zulässig
Allerdings ist dort auch die Rede davon, dass von diesem Vorgehen beispielsweise dann abzusehen sei, wenn EU-Vorschriften die Durchführung eines Asylverfahrens vorschreiben. Den Dublin-Regeln zufolge sind die Ersteinreisestaaten für ein solches zuständig. Die Rückführungsrichtlinie schreibt jedoch ein formelles Verfahren vor, um die Zuständigkeit zu klären.
Es ist nun auch eine Frage der Interpretation, inwieweit ein Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit für ein Asylverfahren bereits einem solchen gleichzuhalten ist. Papier sieht das nationale Recht als vordringlich an:
„Humanitäre Ausnahmeregelungen sind an den deutschen Außengrenzen zur Regel geworden. Das widerspricht der Bedeutung des Asylrechts.“
In der Schweiz reagiert man auf die Verschärfungen der Kontrollen in Deutschland bislang gelassen. Aus dem Staatssekretariat für Migration (SEM) hieß es, man rechne angesichts der Erfahrungen seit Oktober 2023 damit, dass diese „keine Auswirkungen“ auf die Schweiz haben würden.
Sarah Progin, Professorin für Europa- und Migrationsrecht an der Uni Freiburg, bezweifelt das. Gegenüber „SRF News“ erklärte sie, mehr Menschen, die nicht nach Deutschland weiterreisen könnten, würden in der Schweiz „steckenbleiben“.
Gelassenheit in Tschechien – Angst bei Migrationsforschern
Aus Tschechien gibt es bislang keine Reaktion auf Ministeriumsebene. Dort befindet man sich selbst in einem Streit mit der Slowakei, weil Prag ebenfalls die Einreise von Asylsuchenden bereits an den Grenzen blockiere.
Der österreichische Migrationsforscher Gerald Knaus warnt gegenüber dem ZDF hingegen vor möglichen Folgen einer Änderung der deutschen Grenzpolitik:
Die Aussetzung des EU-Rechts wäre eine Atombombe, sie würde dazu führen, dass viele EU-Mitglieder sie nachahmen.“
Am Ende stünden schwere interne Streitigkeiten und Chaos in der Staatengemeinschaft.
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