Ökologische und moralische Weltmacht: Habeck will Deutschland lehren, wieder groß zu denken

Europäischer Patriotismus, Marktwirtschaft mit moralischem Antlitz und ein Deutschland, das durch Regulierung wieder stark wird: Grünen-Sprecher Robert Habeck schildert im Interview mit der „Welt“ seine Vision von „Wirtschaft mit eigener politischer Handschrift“.
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Sprecher der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ Robert Habeck.Foto: CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images
Von 18. November 2019

„Wir denken zu klein, das ist zu anspruchslos“, klagt der am Samstag (16.11.) in seinem Amt als Sprecher der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ wiedergewählte Robert Habeck im „Welt“-Interview über vermeintliche deutsche Leisetreterei. „Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein, ein bisschen mehr Vertrauen in europäischen Patriotismus und Solidarität, das würde vor allem Deutschland nutzen.“

Vor allem im Umgang mit den weltweiten Giganten der Digitalisierung solle man in die Vollen gehen und auf europäischer Ebene eine Digitalsteuer nach französischem Vorbild einführen. Daten zu sammeln und weiterzugeben, ist aus Sicht der Grünen problematisch, wenn private Unternehmen dies zu Gewinnerzielungszwecken oder Gestaltung von Algorithmen praktizieren.

Öffentliche Daten, die bei deutschen und europäischen Behörden gesammelt wurden, sollen hingegen – in anonymer Form – als Open Source Unternehmen zur Verfügung gestellt werden können. Um zu verhindern, dass Bürger in sozialen Medien Daten preisgeben, die dann zur Entwicklung von Algorithmen verwendet werden, will Habeck eine „neutrale öffentlich-rechtliche Plattform“ schaffen, die „für Kommunikation und soziale Netzwerke aller Art zur Verfügung steht“.

Werbung in sozialen Medien als ultimativer Sündenfall

Dies geschehe selbstverständlich nur zum eigenen Besten des Bürgers selbst:

„Die Plattform stünde allen offen, sie sollte aber eben nicht werbebasiert sein. Im Augenblick animieren ja Algorithmen Menschen dazu, möglichst viele Daten zu hinterlassen. Das ist das systemische Grundproblem bei Twitter und Facebook.“

Dass die Grünen ein Optimierungspotenzial hätten, was die Wirtschaftskompetenz betrifft, davon geht Habeck nicht aus. Vielmehr hätten sie einen anderen Begriff davon:

„Richtig ist allerdings, dass Wirtschaftskompetenz nicht heißt, sofort jeden Wunsch der Wirtschaft zu erfüllen. Und es ist auch ein starker Veränderungsimpuls dabei. Da gibt es natürlich auch immer wieder Gerangel.“

Man wolle „durch innovative Formen von Wertschöpfungsmodellen Wohlstand sichern, indem wir den Ressourcenverbrauch drastisch reduzieren und Umwelt und Klima schonen“. Dies setze natürlich eine „andere Regulierung“ voraus, die bestimmte Unternehmen immer ablehnen würden und die bei bestimmten Journalisten die Frage aufwerfen werde, ob die Grünen „wirklich Wirtschaft können“. Für Habeck ist klar:

Ja, können wir, halt mit einer eigenen politischen Handschrift.“

So viel Markt wie nötig, so viele Regeln wie möglich?

Entsprechend sieht Habeck auch kein Problem darin, die Grünen als marktwirtschaftliche Partei zu präsentieren, obwohl Teil der Grünen Jugend und von Fridays for Future lieber heute als morgen jedweden positiven Bezug darauf aus den Programmen und Anträgen tilgen würden.

Habeck schildert den Leitantrag, der am vergangenen Wochenende auf dem Bundesparteitag verabschiedet wurde, als Bekenntnis zur Marktwirtschaft, weil „marktwirtschaftliche Prozesse am effektivsten sind, um Kreativität auszulösen und Innovationen nach vorne zu bringen“. Andererseits aber „bedeutet Markt auch, Regeln zu befolgen“.

Dass das grüne Verständnis von Marktwirtschaft in der Tendenz auf so viel Markt wie nötig und so viele Regeln wie möglich hinauslaufen könnte, deutet Habeck auch in seinen Aussagen im „Welt“-Interview an.

Seine „sozial-ökologische Marktwirtschaft“ brauche „ein breites Arsenal politischer Möglichkeiten, also Regulatorik und Ordnungsrecht, Preisanreize und Förderung“. Man könne „darüber debattieren, welcher Anteil in welchem Maß richtig ist. Aber wir zielen eindeutig auf eine reformierte Marktwirtschaft.“

Habeck ist der festen Überzeugung, dass „mangelnde Regulierung“ gewesen wäre, die Ende der 2000er die weltweite Finanzkrise ausgelöst hätte. Zudem seien „digitalen Welt große Monopole entstanden, die sich einer Regulierung und einer sachgerechten Besteuerung entziehen“.

„Umfassende Korrekturen“ am Marktgeschehen nötig

Dass die „sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft“, die Habeck vorschwebt, so viele Regulierungen aufweise, dass es, wie die „Welt“ anmerkt, „an vielen Stellen eher nach einem neuen System klingt“, will Habeck auch gar nicht in Abrede stellen:

„Wir brauchen ja auch umfassende Korrekturen. Der ‚sozialen Marktwirtschaft‘ ist ja das ‚Soziale‘ teilweise abhandengekommen. Der Niedriglohnsektor ist zu groß, die Mindestlöhne sind zu niedrig. Das wollen wir anders machen. Und der Begriff Neubegründung bezieht sich auf den ökologischen Aspekt. Da muss eine neue Logik hergestellt werden.“

Habeck will zudem der Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft durch eine Stärkung der Binnennachfrage gegensteuern. Deshalb brauche man eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro. Zudem sei es sinnvoller, mit öffentlichen Investitionen den industriellen Kern der deutschen Wirtschaft zu sichern und sowohl in die Infrastruktur als auch in Kunst und Kreativwirtschaft zu investieren, als sich weiter auf die Nachfrage aus den USA zu verlassen.

Nationale Autarkiepolitik sei das nicht, denn vielmehr sei der bisherige Exportüberschuss eine „Nationalisierung unseres Außenhandels“. Denn, so Habeck:

Wir sanieren unseren Haushalt und gründen unseren Wohlstand im gewissen Sinne auf Kosten unserer Nachbarn. Das wird von denen als extrem unsolidarisch empfunden.“

Es ist kein Protektionismus, wenn wir es tun

Notfalls müsse man, um die Wirtschaft, die dann vor allem von öffentlichen Aufträgen leben und in Gang gehalten würde, „die Schuldenbremse zeitgemäß reformieren, also an die europäischen Stabilitätsregeln anpassen“. Negative Zinsen wären diesbezüglich sogar ein Glücksfall:

„Wir könnten dann jährlich 35 Milliarden investieren. Das Geld würden wir in einen Fonds packen, ihn der Jährlichkeit des Haushalts entziehen und damit antizyklische Fiskalpolitik betreiben, also gegen die Krise anarbeiten. Das Geld kommt also von Anlegern, die faktisch dafür bezahlen, dass sie uns Geld leihen dürfen. Das bedeuten negative Zinsen ja. Es ist ökonomisch unvernünftig und uneuropäisch, das nicht zu nutzen.“

Da Europa gegenüber den USA und China immer mehr ins Hintertreffen gerate, weil es auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig ist, müsse man durch Sanktionen die Wettbewerbsfähigkeit sichern – etwa durch eine „europäische Quote für klimafreundlichen Stahl“ oder Einfuhrsperren für Produkte, für deren Produktion der Regenwald gerodet worden sei. Zugleich solle der Euro weltweite Leitwährung werden.

Protektionismus sei dies nicht, weil diese Form der „Durchsetzung globaler Regeln“ nicht, wie Donald Trumps Handelspolitik, einem „Nationalismus […], der sich um den Rest der Welt nicht schert“, diene, sondern einem zutiefst moralischen Zweck.



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