Oberverwaltungsgericht: AfD bleibt „Verdachtsfall“ – Entgleisungen nicht nur Einzelfälle

Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat dem Verfassungsschutz die Beobachtung der AfD als Verdachtsfall im Bereich des Rechtsextremismus gestattet. Damit darf er in „verhältnismäßigem“ Umfang auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen. Eine Hochstufung zur „gesichert rechtsextremistischen“ Bestrebung bleibt ebenfalls möglich.
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Das Oberverwaltungsgericht Münster weist den Einspruch der AfD zurück und ermöglicht weiterhin die Überwachung durch den Verfassungsschutz.Foto: Ina Fassbender/AFP via Getty Images
Von 13. Mai 2024

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster hat am Montag, 13.5., sein Urteil im Rechtsstreit zwischen der AfD und dem Bundesamt für Verfassungsschutz verkündet. Am vergangenen Dienstag hatte das Gericht die mündliche Verhandlung abgeschlossen. In allen drei Berufungsverfahren hat das Gericht dabei dem Inlandsgeheimdienst recht gegeben. Die bundesweite Einstufung der Partei als sogenannter Verdachtsfall auf Rechtsextremismus und die darauf gestützte bisherige Beobachtung sind damit rechtmäßig.

Außerdem darf das Amt den offiziell mittlerweile aufgelösten „Flügel“ und die Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) als „gesichert rechtsextremistisch“ einordnen. Auf Landesebene wird die AfD in den Bundesländern Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt ebenfalls in dieser Weise eingestuft.

Hochstufung der AfD zu „gesichert extremistischer“ Bestrebung auch im Bund möglich

Das OVG ließ zwar keine Revision gegen das aktuelle Urteil zu. Der AfD ist es aber möglich, noch einen Antrag auf Zulassung am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu stellen. Das Urteil würde jedoch in diesem Fall nur noch auf Formfehler überprüft.

Die Konsequenz aus dem Urteilsspruch ist, dass der Verfassungsschutz die Gesamtpartei unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten darf. Diese umfassen unter anderem Observationen, verdeckte Ermittler und V-Leute. In Einzelfällen – die in „Verdachtsfällen“ sehr restriktiv zu handhaben sind – kann auch Telekommunikationsüberwachung statthaft sein.

Im Fall der als „gesichert extremistisch“ eingestuften JA wäre die entsprechende Hürde geringer. Allerdings könnte das Urteil vom Montag auch dazu beitragen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD insgesamt vom Verdachtsfall zur „gesichert extremistischen“ Bestrebung hochstufen würde.

„Extremistisches Personenpotenzial unter Mitgliedern bei 10.000“

Bereits im Jahr 2019 hatte das Bundesamt die Gesamtpartei als sogenannten Prüffall eingestuft. Dieser Einschätzung lag ein Gutachten zugrunde, das dem Portal „Netzpolitik“ zugespielt wurde. Im März 2021 stufte das Amt die AfD zum Verdachtsfall hoch. Das Verwaltungsgericht Köln wies im März 2022 eine dagegen gerichtete Klage ab. Das am Montag ergangene Urteil bestätigte nun diese Entscheidung.

Im Verfassungsschutzbericht des Bundes über das Jahr 2022 – jener für das Vorjahr erscheint erfahrungsgemäß im Frühsommer – hat der Nachrichtendienst inhaltliche Gründe für seine Einschätzung angeführt. Er schätzte unter Evaluierung der Mehrheitsverhältnisse auf dem Bundesparteitag in Riesa das extremistische Personenpotenzial in der Partei auf etwa 10.000 Personen.

Zudem zitiert der Inlandsnachrichtendienst Äußerungen von Funktionären der Partei, die auf ein ethnisch-kulturell geprägtes Volksverständnis hindeuteten, das mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei.

Verfassungsschutz verweist auch auf Aussagen aus jüngerer Zeit

Ein Vorstandsmitglied verwende mit Blick auf die DFB-Fußballnationalmannschaft beispielsweise den Begriff „passdeutsch“. Im Grundsatzprogramm selbst wird der „ethnisch-kulturellen Wandel der Bevölkerungsstruktur“ problematisiert, der sich aus der – vor allem zu Beginn – höheren Geburtenrate von Eingewanderten ergebe.

Ein Kreisverband propagierte die These einer „Eroberung“ durch angebliche „Islamisierung“. Facebook-Einträge, die der Verfassungsschutz vorlegte, attestieren Muslimen pauschal, „Unterdrückung der Frauen, Genitalverstümmelungen, kriminelle Familienclans“ zu begünstigen.

Auch Antisemitismus klinge an manchen Stellen an, in denen Denkfiguren wie jene von einer „globalen Finanzelite“ Verwendung fänden, die das Handeln hiesiger Politiker lenkten. Zudem hätten AfD-Politiker die Judenverfolgung im Nationalsozialismus durch Vergleiche mit der Pandemiepolitik im Berichtszeitraum verharmlost.

AfD führt Mitglieder mit Migrationshintergrund als Zeugen auf

In Summe scheint sich die AfD, die anderen Parteien regelmäßig vorwirft, aus ideologischen Gründen Realitäten nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, selbst auf exakt diese Weise in ihre Lage gebracht zu haben. Im Fall der AfD hat man offenbar bislang keinen überzeugenden Weg gefunden, sich mit dem Faktum zu arrangieren, dass sich der Anteil der Einwohner mit sogenanntem Migrationshintergrund in Deutschland mittlerweile auf 30 Prozent zubewegt. Etwa die Hälfte davon besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Eine „Assimilation“ oder „Remigration“ all dieser Menschen – ob freiwillig oder mithilfe von Zwangsmaßnahmen – ist auch abseits der Frage der Verfassungsmäßigkeit eines solchen Ansinnens höchst unwahrscheinlich.

Zwar hat die Partei auch im Verfahren selbst Mitglieder mit Migrationsgeschichte aufgeboten, die erklärten, dass sie sich „in der Partei gut und sicher“ fühlten. Der Verfassungsschutz konnte jedoch aus der Fülle des ihm vorliegenden Materials schlussfolgern, dass dies nicht der Regelfall sein dürfte.

Vielmehr künden schriftliche und mündliche Aussagen von Funktionären und Mitgliedern davon, dass die Akzeptanzbereitschaft gegenüber Eingewanderten in der AfD schnell endet, wenn diese beispielsweise aus afrikanischen Ländern stammen oder dem muslimischen Glauben anhängen. In einigen Fällen hatten Funktionäre sogar deutlich gemacht, dass sie eine Zugehörigkeit zum Islam und eine zum „deutschen Volk“ grundsätzlich für unvereinbar halten.

Der Verfassungsschutz legte auf 10.000 Aktenseiten tausende öffentliche Aussagen von nicht weniger als 750 Mitgliedern vor. Erst jüngst hatte die Behörde 2.000 Seiten nachgereicht, um dem Vorbringen der AfD-Anwälte entgegenzutreten, bei dokumentierten verfassungsfeindlichen Entgleisungen handele es sich um nicht repräsentative Einzelfälle. Daher hatte das Gericht den Beginn der mündlichen Verhandlung verschoben – aus Sicht der AfD nicht weit genug nach hinten.

OVG: Verfassungsschutz stuft ein aufgrund von „nicht zu beanstandender Gesamtbetrachtung“

Unter den vorgelegten Aussagen befanden sich unter anderem solche, die Einwanderung als „Genozid am deutschen Volk“ bezeichnen oder das Narrativ von einem „Großen Austausch“ reproduzierten.

Das Gericht hielt deshalb die Einschätzung des Verfassungsschutzes, dass die AfD bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgrenzen wolle, für stichhaltig. Diese, so das OVG Münster, beruhe auf einer „nicht zu beanstandenden Gesamtbetrachtung“.

Vonseiten der AfD hatte deren rechtsfreundlicher Vertreter Roman Reusch Entgleisungen einiger Mitglieder eingeräumt. Diese seien jedoch dem Umstand zuzuschreiben, dass es in der Partei eben „einfache Leute, die einen einfachen Bildungshintergrund haben“, gebe. Diese würden oft auch „Blech“ reden, so Reusch. Auf die Willensbildung der Partei hätten diese keinen Einfluss.
Demgegenüber machte der Verfassungsschutz geltend, dass die von ihm zusammengetragenen Äußerungen regelmäßig von Führungspersönlichkeiten und Parlamentsabgeordneten stammten.



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