NZZ: Leipziger Buchmesse krankt an Verlustängsten selbst ernannter Meinungswächter

In einem Kommentar zur diesjährigen Leipziger Buchmesse kritisiert Joachim Güntner von der NZZ, die Angst selbst ernannter Meinungseliten um ihre Deutungshoheit spiele sich in den Vordergrund. Zeitgleich würden trotz zufriedenstellender Besucherzahlen immer weniger Menschen lesen.
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Zur Buchmesse in Leipzig 2019 in Halle drei.Foto: Jens Schlueter/Getty Images
Von 25. März 2019

Die Leipziger Buchmesse 2019, die am gestrigen Sonntag (24. März) endete, hat zusammen mit dem dazugehörigen Festival „Leipzig liest“ 286 000 Besucher angezogen. Dies berichtet die Deutsche Presse-Agentur. Gegenüber dem Vorjahr, in dem die Veranstaltung von einem Wintereinbruch und einem Bahnchaos gekennzeichnet war, bedeutete dies ein Plus von 15 000.

Insgesamt, so die dpa weiter, hatten 2547 Aussteller auf 46 Ländern Neuheiten rund ums Buch präsentiert. Das Gastland war diesmal Tschechien. 2020 wird die Leipziger Buchmesse vom 12. bis 15. März veranstaltet.

Trotz der steigenden Besucherzahlen klagen Verlage über ein durchwachsenes Geschäft. Die Leserzahlen insgesamt seien rückläufig, da der Prozess der Digitalisierung auf dem Büchermarkt Probleme bereite und Publikumsverlage auch mit neuen Vermarktungsmodellen wie Amazon Prime oder Kindle Unlimited zu kämpfen hätten. Bereits im Vorjahr hatte sich die „Zeit“ ausgiebig mit solchen Modellen befasst.

Gestern Klagen über Castingshows, heute über Verrohung in sozialen Medien

Statt sich Herausforderungen dieser Art zu stellen, scheint der Fokus der Buchmesse jedoch auf politischen Handreichungen für das Publikum gelegen zu haben. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls Joachim Güntner, der eine Bilanz über die diesjährige Veranstaltung in der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) gezogen hat.

In seinem Kommentar erweckt er den Eindruck einer Allgegenwart „gesellschaftspolitischer Befunde, die entschieden daherkommen, aber Platz für Fragezeichen lassen“. Die Klage über die „weltweite Krise der Demokratien“ sah sich begleitet von zum Teil gewagten Analysen. Dazu gehöre etwa jene des ungarischen Schriftstellers György Dragomán, der nicht zu niedrige Löhne, sondern den „politischen Wahnsinn“ der Regierung Orbán für Auswanderung verantwortlich machte.

Dabei fehle es, so lautete eine weithin konsensfähige Erklärung, den gefährdeten Demokratien „nicht am Pluralismus der Stimmen […], aber am Dialog“. Schuld daran trügen das Internet und die sozialen Medien, die an „die Stelle des Gesprächs das Schnellfeuer der Meinungen gesetzt“ hätten. Güntner fühlt sich durch diese Aussagen an frühere Klagen über Castingshows und „Sozialpornos“ erinnert, die auch vor empathischen Reportagen über einkommensschwache Familien oder alleinerziehende Mütter nicht Halt gemacht hätten.

„Oben“ und „unten“ Frage der Befindlichkeiten?

Güntner wittert hinter den larmoyanten, teils besserwisserischen Diagnosen einen Ausdruck der Sorge um den Verlust der Deutungshoheit. Diese sei „ein Machtfaktor, und aller Sprachkampf ist geistige Selbstbehauptung im Streit um die richtige Interpretation der Verhältnisse. Wer die Begriffe regiert, regiert die Köpfe.“

Diese zeige auch der Unmut über Versuche der AfD, „den Raum des Sagbaren auszuweiten“. Es gehe „stets darum, was man sagt und wie man es sagt“. Das wüssten auch die Verfechter eines rhetorischen Containments, die Ausdrücke wie „Sozialschmarotzer“ oder „Asyltourismus“ als Sprechakte mutwilliger Menschenfeindlichkeit aus der öffentlichen Rede verbannen möchten.

Der neue Klassenkampf, dem sich auch Nikolaus Blome („Bild“) und Jakob Augstein („Freitag“) in ihrem jüngst erschienenen gemeinsamen Buch „Oben und unten“ widmeten, habe vor allem mit Gefühlen zu tun.

Wer Angst habe, sei „unten“, so Augstein, wer Zuversicht habe, „oben“. Demzufolge dürfte, wie Blome mit dem Hinweis auf die meist aus der Oberschicht stammenden Schulkinder bei „Fridays for Future“ hinweist, deren Angst vor dem Klimawandel nicht wirklich authentisch sein. Hier gehe es eher um den „überschießenden moralischen Impetus“ derer, „die recht haben“. Auf diese Weise seien auch sie „oben“. Dass diese Kraft eine „neue Elite“ schaffe, wie Blome andeute, stellt Güntner in der NZZ jedoch infrage, wenn er nachhakt: „Geht’s auch eine Nummer kleiner?“



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