Nun hat die Basis das Wort: Casting beendet, SPD stimmt über neue Chefs ab
Am Ende stehen noch einmal alle Kandidatinnen und Kandidaten gemeinsam auf der Bühne, recken gemeinsam die Hände nach oben. Und dann, ganz am Schluss dieser 23. SPD-Regionalkonferenz am Samstag in München, werfen die Teams, die sich um den SPD-Vorsitz bewerben, große Luftballon-Bälle in den Saal.
Das soll symbolisieren: Der Ball liegt nun bei den Mitgliedern. Von diesem Montag an darf die SPD-Basis darüber abstimmen, wer die Partei künftig führen soll. Nach dem Casting können 425.630 SPD-Mitglieder vom 14. bis zum 25. Oktober über die Teams abstimmen.
Am 26. Oktober wird das Ergebnis der Mitgliederbefragung bekannt gegeben, die am Montag startet. Falls wie erwartet kein Duo mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommt, folgt eine Stichwahl, die bis zum 29. November dauert. Spätestens danach können CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und CSU-Chef Markus Söder abschätzen, ob sie sich auf Neuwahlen vorbereiten sollten – oder ob die SPD womöglich doch bei der Stange bleibt.
Endgültig gewählt wird die neue Parteispitze auf dem SPD-Parteitag Anfang Dezember. Die bei den 23 Regionalkonferenzen gegeneinander angetretenen Duos wollen spätestens dann auch gemeinsam für die SPD eine neue Epoche einläuten. Ein Überblick:
Keine eindeutigen Favoriten
Eindeutige Favoriten haben sich bei den Regionalkonferenzen nicht herauskristallisiert – aber vier Paaren geben Beobachter besonders gute Chancen. Dazu gehören Vizekanzler Olaf Scholz und seine Brandenburger Partnerin Klara Geywitz, die schon allein wegen Scholz‘ Bekanntheit Stimmen einheimsen werden. Viele der anderen Namen haben die SPD-Mitglieder beim Casting dagegen wohl zum ersten Mal gehört.
Doch Scholz bläst der Wind auch kräftig ins Gesicht. Wie könne jemand glaubwürdig seine Kandidatur erklären, „der uns in dieses Tal der Tränen geführt hat“, wurde er gefragt. Der Finanzminister gab sich gewohnt zurückhaltend, überließ oft Geywitz das Reden. Wie kein anderes Team stehen beide für eine Fortsetzung der großen Koalition.
Als eine Art Anti-Scholz präsentiert sich der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans. Zusammen mit der baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten Saskia Esken tritt er für höhere Steuern für Reiche ein. Auch deshalb gilt das Duo als Favorit der Partei-Linken. „NoWaBo“, wie Walter-Borjans in sozialen Netzwerken heißt, wird auch von den Jusos und ihrem Chef Kevin Kühnert sowie vom mitgliederstarken Landesverband NRW unterstützt.
Mehr noch für einen Neuanfang stünden die NRW-Landtagsabgeordnete Christina Kampmann und Europa-Staatsminister Michael Roth. Sie zeigen sich jung, dynamisch, wollen Verkrustungen in der Partei aufbrechen, wären eine Spitze ohne Abnutzungserscheinungen. Das kommt bei vielen gut an – doch zugleich polarisiert kaum ein Duo so sehr wie dieses. Manch einem liegt die Parallele zum Führungsteam der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, zu nah. Kampmann nervt dieser Vergleich.
Und dann sind da noch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius und die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping. Für sie trommeln vor allem Funktionäre, sie versprechen „keine Traumtänzereien“. Bei den Konferenzen enttäuschte Pistorius die hohen Erwartungen aber eher. Köpping dagegen kam vor allem im Osten an.
Außenseiter Stegner / Schwan
Hoffnungen machen sich auch Parteivize Ralf Stegner und seine Mitstreiterin Gesine Schwan. Kaum einer hatte erwartet, dass sich dieses Duo auf dem Podium so viele Sympathien erarbeiten würde – zumal Stegner auch in seiner Partei als notorischer Miesepeter gilt. Doch damit spielt der Norddeutsche gekonnt, das Paar mischt Selbstironie mit knallharten sozialpolitischen Forderungen.
Politische Extrempositionen scheinen im Kandidatenrennen eher zu schaden – das spüren die Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach und Nina Scheer, die den GroKo-Ausstieg deutlicher als alle anderen fordern. In München bekommen sie aber zum Abschluss viel Applaus, gilt doch die Bayern-SPD als eher linker Landesverband. Profitieren die beiden am Ende vom Rückzug von Hilde Mattheis und Dierk Hirschel? Die Parteilinke und der Verdi-Chefökonom erklärten am Samtag ihren Rückzug – um die Chancen eines anderen „linken“ Teams zu erhöhen.
War die Castingtour erfolgreich?
Im Willy-Brandt-Haus gibt man sich euphorisch über die Wirkung der Castingtour. Rund 3500 Eintritte verzeichnete die SPD von Juli bis Mitte September, sie wirkt lebendiger. Überall volles Haus, überall diskussionsfreudige Mitglieder.
Tatsächlich scheint das Verfahren zur Suche von Nachfolgern für die zurückgetretene Parteichefin Andrea Nahles eine Sehnsucht in der Partei zu befriedigen – nach Mitreden, nach ordentlichem Umgang miteinander. Das nach inneren Grabenkämpfen und grandiosen Misserfolgen geschrumpfte Selbstwertgefühl kann so einen Booster auch wahrlich gebrauchen.
„Es ist gut, dass wir einen solchen neuen Weg gehen. Wir haben gezeigt, wie lebendig diese Partei ist“, sagt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil in München und betont: „Die SPD wird gebraucht. Die SPD ist noch lange nicht am Ende.“
Große Koalition ja oder nein?
Die SPD-Vorsitz-Suche gilt vielen als Vorentscheidung für die Zukunft der großen Koalition. Nur schwer, heißt es, dürfte der Parteitag im Dezember für einen Verbleib in der GroKo stimmen können, wenn das neue Führungsduo lieber aussteigen will – oder auch umgekehrt.
Nur wenige Kandidaten haben klar gesagt, dass sie raus wollen aus der Koalition, vor allem niemand von den Favoriten. Hier äußert man sich diplomatisch offen: Die Halbzeitbilanz in diesem Herbst werde zeigen, ob die SPD in der Koalition noch etwas erreichen könne oder nicht.
Generalsekretär Klingbeil betont am Samstag sozusagen prophylaktisch, alle Kandidatinnen und Kandidaten hätten ihm ein großes Versprechen gegeben. Nun, da der interne Wettstreit in die heiße Abstimmungsphase geht, hätten alle versprochen: „Wenn sie nicht gewinnen, dann werden sie sich einreihen, dann werden sie das Siegerteam unterstützen.“ (afp/dpa/ks)
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