Doch kein Sanierungszwang, vorerst – EU beschließt neue Energievorgaben für Gebäude
Lange sah es so aus, als wolle die EU-Kommission die Immobilienbesitzer per Gesetz dazu auffordern, ihr Haus zu sanieren. Das hätte enorme Investitionen für die Bürger bedeutet. Am Donnerstag, 7. Dezember, hat sich die EU nun auf neue, deutlich abgemilderte Energievorgaben für private und öffentliche Gebäude geeinigt.
Was hat die EU entschieden?
Die Einigung sieht nach Angaben des EU-Parlaments vor, dass ab 2030 alle neuen Gebäude klimaneutral sein sollen. Für Gebäude in öffentlicher Hand gilt dies bereits ab dem Jahr 2028.
Bestehende Wohngebäude sollen ihren Energieverbrauch reduzieren. Alle Mitgliedsländer sollen dabei selbst entscheiden, wie sie hier künftig Energie einsparen wollen. Der Kompromiss sieht vor, dass 55 Prozent der Einsparungen bei den energetisch schlechtesten Gebäuden erzielt werden müssen, wie „Focus“ berichtet.
Laut dem Kompromiss muss jedes EU-Land seinen Gebäudebestand in zwei Sektoren unterteilen. Die 43 Prozent der Gebäude mit dem höchsten Energieverbrauch zählen dann zu dem Sektor der schlechten Gebäude. Diese sollen durch Renovierungen entsprechend der Richtlinie Energie einsparen.
Die EU hat zudem konkrete Einsparziele für Wohngebäude bis zu den Jahren 2030 und 2035 vorgegeben. Bis 2030 sollen die Mitgliedstaaten 16 Prozent und bis 2035 dann 22 Prozent des Primärenergieverbrauchs im Vergleich zu 2020 einsparen. Nur für Nicht-Wohngebäude bleibt die Vorgabe, dass die 16 Prozent der am schlechtesten sanierten bis 2033 renoviert werden müssen.
Müssen Hausbesitzer ihr Gebäude noch sanieren?
Da sich die Vorgaben jetzt auf den Primärenergieverbrauch und nicht auf den Endenergieverbrauch beziehen, ist eine Gebäudesanierung für Immobilienbesitzer nicht mehr alternativlos. Auch ein besseres Fernwärmesystem mit weniger Energieverlust könnte die Vorgabe erfüllen.
Aber ist das Thema Sanierungszwang damit wirklich vom Tisch?
Laut der FAZ hat die EU mit dem Kompromiss den Sanierungsdruck nur vertagt. Die Mitgliedstaaten haben weiterhin den Handlungsspielraum, Sanierungspflichten einzuführen. Der Sanierungsdruck bleibt aufgrund der nationalen Einsparziele erhalten.
Ein möglicher Sanierungszwang ist deswegen nicht auszuschließen, weil die Bereitschaft zur Sanierung laut der „Berliner Zeitung“ derzeit so gering ist wie schon lange nicht mehr.
Demnach zeigt eine Studie, dass die Sanierungsquote deutlich sinkt. Die allgemeine Annahme einer Sanierungsquote in Deutschland von rund einem Prozent wird mit 0,76 klar verfehlt. Um jedoch die Klimaziele im Jahr 2030 für den Gebäudesektor zu erreichen, sollte die Quote bei rund zwei Prozent liegen – also knapp dreimal so hoch wie heute.
Wie teuer wird das Vorhaben?
Das hängt davon ab, wie Deutschland die Vorgaben im Detail umsetzt. Der Eigentümerverband Haus & Grund erklärte auf Anfrage unter Berufung auf Zahlen der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE e. V.) von 2022, die 15 Prozent der ineffizientesten Gebäude in Deutschland entsprächen etwa 2,3 Millionen Ein- und Zweifamilienhäusern sowie 100.000 Mehrfamilienhäusern. Bereits für eine Teilmodernisierung dieser Gebäude könnten rund 17 Milliarden Euro pro Jahr fällig werden.
Die Wirtschaft sieht in dem nun gefundenen Kompromiss deutlich bessere Möglichkeiten, direkt ganze Wohnblocks zu sanieren. Wenn zeitgleich eine größere zusammenhängende Zahl von Wohnungen und Häusern renoviert werde, könnten sogenannte Skaleneffekte eintreten, teilte der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie mit. Dadurch könnten die durchschnittlichen Kosten pro Wohneinheit sinken.
Laut der EU-Kommission müsste es zudem Anreize für Renovierungen geben, die auf schutzbedürftige Kunden und Gebäude mit der schlechtesten Energieeffizienz ausgerichtet sind. Wie viel Geld bereitgestellt wird, ist aber noch unklar. Die EU-Staaten müssen Mieter laut Kommission vor Zwangsräumungen schützen, die etwa auf unverhältnismäßige Mieterhöhungen nach einer Renovierung folgen könnten.
Gibt es Ausnahmen?
Ja. Nach Angaben des EU-Parlaments können etwa landwirtschaftliche und denkmalgeschützte Gebäude von den neuen Vorschriften ausgenommen sein. Gleiches gilt für Bauwerke, die wegen ihres besonderen architektonischen oder historischen Wertes geschützt sind.
Auch Kirchen und andere Gotteshäuser können demnach von den Vorgaben ausgenommen werden. Die EU-Kommission teilte mit, dass die EU-Staaten beispielsweise auch Ferienhäuser von den Verpflichtungen befreien können.
Wie sieht es mit fossilen Energieträgern aus?
Bis 2040 sollen keine Öl- oder Gasheizungen mehr verwendet werden. Das Parlament teilte mit, die EU-Staaten müssten zudem ab 2025 Subventionen für Heizungen mit fossilen Energieträgern wie Öl oder Gas einstellen. Anreize für hybride Systeme, etwa eine Kombination aus fossilem Heizen und einer Wärmepumpe, sollen aber weiterhin möglich sein.
Zudem müssen auf öffentlichen Gebäuden und Nicht-Wohngebäuden ab 2027 schrittweise Solaranlagen installiert werden, sofern das technisch, wirtschaftlich und funktionell machbar ist. Darüber hinaus sollen ab 2030 nur noch Gebäude errichtet werden, die am Standort keine Treibhausgase aus fossilen Brennstoffen ausstoßen. Ausnahmen sind laut der Kommission aber möglich.
Wie geht es weiter?
Mit der Einigung sind die Pläne so gut wie abgeschlossen. Formell müssen das Parlament und die EU-Staaten der Einigung noch zustimmen. Das gilt aber als sehr wahrscheinlich, da Vertreter der beiden Parteien direkt an den Verhandlungen beteiligt sind.
Es kommt nur sehr selten vor, dass nach einer solchen Einigung noch Nachforderungen gestellt werden. Die EU-Staaten müssen die Richtlinie danach noch in nationales Recht umsetzen.
Wer ist für die Abmilderung in Brüssel verantwortlich?
Für die Abschwächung der Kommissionspläne sei laut dem „Handelsblatt“ maßgeblich Deutschland verantwortlich. Deutschland unterstütze die spanische Ratspräsidentschaft dabei, bis Jahresende einen endgültigen Kompromiss zur Gebäuderichtlinie zu finden, „der ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Ehrgeiz und Flexibilität für die Mitgliedstaaten herstellt“, heißt es in den Verhandlungsunterlagen der Mitgliedsstaaten.
Die EU-Behörde sah zunächst vor, den Gebäudebestand in neun Effizienzklassen zu unterteilen. Für die beiden ineffizientesten Klassen sollte eine Sanierungspflicht eingeführt werden. Die Gebäude sollten sogenannte Mindesteffizienzstandards (MEPS) erreichen.
Dagegen entstand jedoch ein massiver Widerstand aus den Mitgliedstaaten – allen voran aus Deutschland. In einem internen Papier vom 29. November heißt es, dass die Regierung in Berlin sich neben den Mindesteffizienzstandards auch für „andere Maßnahmen und finanzielle Anreize“ eingesetzt hatte. Ebenso beklagten die deutschen Vertreter die strengen Regeln bei öffentlichen Gebäuden und Gewerbeimmobilien.
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) lehnte die strikten EU-Pläne ab. Schon im September sagte Geywitz, dass eine Sanierung „ein Riesenakt [ist], den wir gesetzlich nicht erzwingen dürfen“. Zu dem nun in Brüssel gefundenen Kompromiss sagte sie am Freitag: Er „orientiert sich an der Realität und überfordert weder die Familie im Einfamilienhaus auf dem Land noch den Bäckermeister mit kleiner Backstube und Verkaufsraum“. Sie trete dafür ein, „dass wir zuerst Schulen, Feuerwehrwachen und andere öffentliche Einrichtungen sanieren“. Davon profitierten alle.
Wie sind die Reaktionen auf die Einigung?
Der Eigentümerverband Haus & Grund äußerte sich erleichtert. Hauseigentümer hätten nun die „notwendige Flexibilität“, ihr Gebäude bis 2045 umzubauen. Eine kurzfristige Sanierungspflicht hätte „zu einem massiven Werteverfall, Vermögensverlust und zahlreichen Hausnotverkäufen geführt“. Diese Gefahr sei jetzt vom Tisch.
Um die Klimaneutralität in Deutschland bis 2045 zu erreichen, sprach sich der Verband für eine CO₂-Bepreisung mit einer Rückgabe der Einnahmen an die Bürger in Form eines Klimageldes aus. Das wäre „der einfachste, günstigste und wirksamste Weg“.
Die Umweltorganisation BUND kritisierte die Einigung scharf: Das Herzstück der Richtlinie sei „zum Bettvorleger degradiert“. Das sei sozial und ökologisch inakzeptabel. „Denn die energetisch schlechtesten Gebäude befeuern die Klimakrise und Energiearmut.“ In schlecht sanierten Häusern sind die Heizkosten deutlich höher. Dort wohnen oft die wirtschaftlich Schwächsten.
Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen riet statt eines „verengten Blicks auf die Sanierung von Einzelgebäuden“ zu Quartiersansätzen. Ganze Wohnquartiere mit den jeweils sinnvollsten und möglichst kostengünstigen Maßnahmen energetisch auf Vordermann zu bringen, sei „auf bezahlbare Weise erreichbar“. Auch Geywitz erklärte: „Wir werden die Klimaziele einhalten, zum Beispiel, indem wir ganze Quartiere einbeziehen und nicht jedes einzelne Gebäude.“
Der Gebäudesektor sorgt laut dem „Handelsblatt“ für 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen in der EU. Die Reform der Gebäuderichtlinie ist Teil des Fit-for-55-Pakets. Mit diesem will die EU die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren. Bis 2050 will die EU insgesamt klimaneutral sein.
(Mit Material der Agenturen)
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