NSU-Akte soll 120 Jahre lang geheim bleiben – Kasseler Mord 2006

120 Jahre Geheimhaltung für einen internen Bericht des hessischen Verfassungsschutzes: Es geht um den mutmaßlichen NSU-Mord an einem Kasseler Deutschtürken von 2006.
Titelbild
2014: Andreas Temme (verpixelt) trat zur Zeugenaussage beim NSU-Prozess in München an.Foto: Joerg Koch/Getty Images
Epoch Times9. Juli 2017

Im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss sorgt ein Bericht des Landesamts für Verfassungsschutz (VS) für Wirbel: Es ist eine interne Analyse bezüglich des Mordes an dem Kasseler Deutschtürken Halit Yozgat. Der hessische Verfassungsschutz hatte geprüft, ob er zwischen 1992 und 2012 Hinweise auf den NSU übersehen hatte, oder ob es zu sonstigen Fehlern im Kampf gegen Neonazis kam. Dies berichtet die „Süddeutsche Zeitung“. Und sie erwähnt auch die erstaunliche Sperrfrist, welche die Akte bekam: 120 Jahre.

Der VS war in dem Bericht zum Schluss gekommen, dass er manchen Informationen über Waffen- und Sprengstoffbesitz bei Rechtsextremen nicht zügig genug nachgegangen sei. Einen NSU-Bezug in dem Mordfall fand er jedoch nicht.

Der Mord an Halit Yogzat

Halit Yogzat war 21 Jahre alt und Betreiber eines Internet-Cafés gewesen, als er am 6. April 2006 erschossen wurde – hinter seinem Ladentresen.

Im Hinterzimmer des Internetcafés saß bis mindestens kurz vor dem Mord der damalige hessische Verfassungsschützer Andreas Temme an einem Computer. Er bemerkte nichts von der Bluttat – das sagte er bei der Polizei, vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und beim Münchener NSU-Prozess aus. Unklar ist, ob Temme das Café vor oder nach dem Mord verließ. Er selbst nannte seine Anwesenheit Zufall.

Sollte Yozgat erschossen worden sein, während Temme noch im Internet-Café war, muss der damalige VS-Mann die Schüsse gehört haben, den Toten beim Verlassen des Cafés hinter dem Tresen gesehen haben oder möglicherweise Schießpulver gerochen haben. Das berichtet die „Hessenschau“ unter Berufung auf eine unabhängige Untersuchung des Falles. Die Forschungsgruppe „Forensic Architecture“ hat seit Dezember 2016 versucht, den Fall durch Rekonstruktionen zu klären, weil sie eine behördliche Sabotage der Aufklärung vermutet.

Warum 120 Jahre geheim halten?

Die Sperrfrist von 120 Jahren weckte Spekulationen in Politik und Öffentlichkeit: Will der VS hier etwa Pannen oder Schlimmeres vertuschen?

Ein Sprecher des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz dementiert laut „Süddeutsche“: Es gehe um den Schutz der Informanten, die bei einer Veröffentlichung in Gefahr gerieten.

Enttarnten Informanten muss der VS ein Leben mit falscher Identität ermöglichen. Die 120-Jahre-Spanne solle in diesem Fall auch Nachkommen schützen.

Laut Experten des hessischen Staatsarchivs ist eine derart lange Geheimhaltung möglich und erlaubt. Sie werde aber inzwischen nur noch selten verhängt. Die Süddeutsche berichtete zitierte einen der Experten anonym: 120 Jahre seien in diesem Fall grotesk. Er schätzt, dass hier ein Mängelbericht kaschiert werden soll. (rf)



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