Noch ein Brandbrief an den Kanzler: Krise trifft „Kern des wirtschaftlichen Fundaments“

In einem Schreiben an Kanzler Scholz warnen alle vier Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft vor einem dauerhaften Verlust der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Sie zählen zehn Bereiche auf, in denen dringend eine politische Kehrtwende angesagt sei.
Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Foto: ZDH/Henning Schacht
Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Er und die Vorsitzenden dreier weiterer großer Verbände haben sich in einem Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz gewandt.Foto: ZDH/Henning Schacht
Von 31. Januar 2024

Die Weckrufe aus der deutschen Wirtschaft an die Regierung mehren sich. Jüngst hatten die IHK-Verbände der ostdeutschen Bundesländer Anstoß an der Politik der Ampelregierung genommen. Nun gibt es auch vonseiten der vier großen Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft einen Appell.

Verbände sehen in geopolitischen Verwerfungen nur einen Teilaspekt der Krise

Am Dienstag, 30. Januar, verfassten die Verbandspräsidenten Siegfried Russwurm (BDI), Rainer Dulger (BDA), Peter Adrian (DIHK) und Jörg Dittrich (ZDH) einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz. Als erstes Medium berichtete darüber die „Wirtschaftswoche“.

In ihrem Schreiben bringen die Verbände „große Sorge“ zum Ausdruck über die „politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung, in der sich unser Land befindet“. Sie diagnostizieren einen Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Die Entwicklung sei so schwerwiegend, dass sie „an den Kern des wirtschaftlichen Fundaments Deutschlands“ gehe.

Geopolitische Verwerfungen, auf die vonseiten der Ampel stets hingewiesen wird, spielten dabei zwar eine Rolle, aus Sicht der Verbände steht jedoch fest:

„Zum großen Teil sind die Probleme am Wirtschaftsstandort Deutschland aber hausgemacht.“

Dazu gehörten nicht zuletzt das Ausbleiben von Strukturreformen, die steigende Abgabenlast sowie Bürokratie und Regulierungen.

Staatsaufgaben hinterfragen – Folgekosten von Gesetzen bedenken

Die Verbände fordern ein zügiges und drastisches Umlenken. Die Politik müsse andere Prioritäten setzen, vorwiegend auf weitere Belastungen für die Wirtschaft verzichten. Entbürokratisierung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen seien „Maßnahmen, die nichts kosten“.

Eine wesentlich von Digitalisierung und Dekarbonisierung getriebene Transformation der deutschen Wirtschaft könne „nur von starken und wettbewerbsfähigen Unternehmen gestemmt werden“. Der Staat selbst könne auch mit gutem Beispiel vorangehen:

„Er sollte auch bei sich selbst ansetzen, wenn es um Sparmaßnahmen und Priorisierung geht. Die Antwort auf neue Staatsaufgaben – die es zu hinterfragen gilt – kann nicht immer ein weiterer Personalaufbau im Öffentlichen Dienst sein.“

Ferner müsse die Politik „bei jeder Gesetzgebung noch intensiver die Folgekosten für die Unternehmen berücksichtigen“.

Weniger Bürokratie und mehr Investitionen in Infrastruktur erforderlich

In ihrem Schreiben unter dem Titel „Durchstarten für Deutschland“ nennen die Verbände zehn Bereiche, in denen aus ihrer Sicht eine 180-Grad-Wende der Politik als am dringlichsten erscheint. An erster Stelle stehen dabei konkurrenzfähige Strompreise, die den Standort für die produzierende Industrie tragfähig erhielten.

Dazu sei unter anderem eine entsprechende Kraftwerksstrategie erforderlich, die eine „gesicherte, wetterunabhängige Energieversorgung“ gewährleisten könne. Es dürfe jedoch keine neuen Umlagen geben, die weitere Belastungen bedeuteten. Es sei jedoch ein staatlicher Zuschuss erforderlich, um die Netzentgelte zu begrenzen.

Als Punkte 2 und 3 nennen die Verbände eine Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren und einen Abbau bürokratischer Vorschriften. Vor allem im Bereich der Berichtspflichten müsse es ein Einlenken geben. Diese spiegelten „ein Misstrauen der Regierung in marktwirtschaftliche Prozesse wider“. Die Politik müsse „neue Bürokratie systematisch vermeiden“. Auch im Arbeitsrecht müsse es wieder mehr Flexibilität geben.

Als vierten Punkt zählen die Verbände Investitionen in die Infrastruktur auf. Verkehrswege, digitale Infrastruktur und Energieversorgung inklusive Ladesäulen zeigten ein enormes Ausbaupotenzial. Dies betreffe vor allem auch den ländlichen Raum.

Verbände mahnen konkurrenzfähige Steuerpolitik und Fachkräftesicherung an

Ein zentraler Punkt, den die Verbände ansprechen, ist auch die Steuerpolitik. Hier sehen sie Reformbedarf durch die Einführung einer dauerhaften Investitionsprämie und verbesserter Abschreibungsbedingungen.

Ziel müsse „eine Absenkung der Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland auf maximal 25 Prozent“ sein, um Deutschland wettbewerbsfähig zu halten. Außerdem sei die Forschungsförderung durch steuerliche Vergünstigungen auszubauen. Wesentlich sei auch eine deutliche Senkung der Stromsteuern – zumindest „auf das europäische Maß“.

Als sechsten Punkt findet die Sicherung von Fachkräften Erwähnung. Die konjunkturelle Eintrübung beseitige nicht die unvorteilhafte demografische Entwicklung. Ohne ausreichende Fachkräfte verliere der Standort an Qualität. Dazu komme die Belastung der Sozialversicherungssysteme.

Einfachere Beschäftigung von Zuwanderern und eine zusätzliche Mobilisierung von Frauen für den Arbeitsmarkt würden zumindest helfen, die Folgen des Geburtendefizits zu lindern. Die Zahl der nicht besetzten Ausbildungsplätze steige von Jahr zu Jahr. Die Verbände schlagen unter anderem eine „Bildungswende“, Verschärfungen beim Bürgergeld und das Ende des Verbots für Zeitarbeitsfirmen vor, Drittstaatsangehörige zu beschäftigen.

Keine unerfüllbaren Versprechen mehr in der Sozialversicherung

Die Punkte 7 und 8 beziehen sich auf die Sozialversicherungssysteme. Die stetige Erhöhung der Beiträge auf mittlerweile mehr als 40 Prozent überfordere die Kapazitäten der Wirtschaft und der Erwerbstätigen.

Es bedürfe unter anderem einer „Haltelinie des Gesamtsozialversicherungsbeitrags“. Zudem bedürfe es umfassender Reformen in allen Bereichen der Sozialversicherung, beispielsweise durch eine Konsolidierung der Krankenhauslandschaft.

Die Verbände wenden sich gegen weitere Fortschreibungen eines Mindestrentenniveaus, da dies nicht finanzierbar sei. Stattdessen sei es erforderlich, Maßnahmen zu treffen, um Druck vom Beitragssatz zu nehmen. Dazu gehörten etwa eine längere Lebensarbeitszeit und die Flexibilisierung der Rentenübergänge.

Die Punkte 9 und 10 beziehen sich auf den Außenhandel. Hier werden vor allem Zweifel am Lieferkettensorgfaltsgesetz laut, das für unnötige Bürokratie sorge. Dazu mahnen die Verbände die Bundesregierung, aber auch die EU, sich wieder stärker für offene Märkte und damit Freihandel einzusetzen. Um dies zu gewährleisten, sollte die Bundesregierung „eine Überfrachtung potenzieller Abkommen vermeiden und für mehr Flexibilität in den Verhandlungen werben“. Anders seien wichtige Abkommen wie mit Mercosur, Australien, Indien und Indonesien nicht zu erreichen.

Kubicki solidarisiert sich mit den Forderungen

Laut „Welt“ hat sich FDP-Vize Wolfgang Kubicki mit den Forderungen der Verbände solidarisiert. Er mahnt zu schnellem Handeln, andernfalls werde Deutschland „immer weiter abgehängt, tiefer in die Rezession gleiten und gesellschaftlich auseinander fallen [sic]“.

Es sei bezeichnend, dass nicht Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, sondern der Kanzler der erste Ansprechpartner für die Spitzenverbände sei. Dieser müsse nun dringend eine „Agenda 2030“ entwickeln, um aus der Misere zu kommen. Geschehe dies nicht schnell, „werden uns die Ereignisse überrollen“, so Kubicki.



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