Kritische Richter und Staatsanwälte loben Weimarer Entscheidung: „Nicht nur ein Paukenschlag in der Sache“
Keine Masken, keine Schnelltests, kein Abstand. Das Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte begrüßt die Entscheidung des Amtsgerichts Weimar, wonach wieder Normalität an den Schulen eintreten soll. Wie die Entscheidung tatsächlich umgesetzt wird und ob sie deutschlandweit eine Änderung des Schulbetriebes nach sich zieht, bleibt vorerst abzuwarten.
Das Gericht hatte mit Beschluss vom 8. April 2021 Lehrern, Schulleitungen und weiteren Vorgesetzten einer Grundschule sowie einer Realschule untersagt, die Schüler zum Tragen von Masken, zum Einhalten von Mindestabständen und zur Teilnahme an Corona-Tests zu verpflichten. Weiter ordnete das Gericht an, dass die betroffenen Schulen den Präsenzbetrieb aufrechterhalten.
Das Gericht sei zu dem Ergebnis gekommen, dass der Zwang zum Maskentragen, aber auch die anderen genannten Maßnahmen, Schulkinder in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung schädigen könnten, ohne dass dem ein nennenswerter Nutzen gegenüberstehe, erläuterte KRiStA-Sprecher Oliver Nölken die Weimarer Entscheidung.
Bemerkenswert sei, dass das Gericht sich zur Beurteilung des Nutzens der Maßnahmen auf drei Sachverständigengutachten von Professoren auf dem Gebiet der Medizin, Psychologie und Biologie gestützt und das gefundene Ergebnis dann sorgfältig gegen die Grundrechte der Kinder abgewogen habe.
Pieter Schleiter, Vorstand des Netzwerkes, lobte das Gericht: „Es hat bezüglich der entscheidenden Tatsachen, die unter den Beteiligten zudem umstritten waren, Sachverständige beauftragt und Gutachten eingeholt, die in ihrer Breite und Tiefe beispielhaft sind. Sodann hat es sich mit den sachverständigen Ausführungen und Ergebnissen intensiv auseinandergesetzt.”
Er gab zu bedenken, dass das Robert Koch-Institut eine Regierungsbehörde ist, deren Votum maßgeblich dazu beigetragen hat, dass derartige Regelungen überhaupt erlassen wurden.
Will man diese Regelungen wahrhaft überprüfen, und dies ist die ureigenste Aufgabe der Rechtsprechung als dritte Gewalt, muss man andere Sachverständige zu Rate ziehen“, stellte Schleiter klar.
Gerichte hätten den entscheidungserheblichen Sachverhalt zunächst sorgfältig zu ermitteln und erst dann zu bewerten, hieß es vom KRiStA-Netzwerk. Es reiche dazu nicht aus, sich ungeprüft und kritiklos auf amtliche Quellen zu verlassen. Vielmehr müsse ein Richter sich auch die Mühe machen, sich unbefangen mit abweichenden fachlichen Auffassungen auseinanderzusetzen. Dabei komme es nicht darauf an, die Personen derer zu bewerten, die abweichende Ansichten äußerten, sondern das Gewicht ihrer Argumente zu wägen.
„Die Weimarer Entscheidung ist nicht nur ein Paukenschlag in der Sache“, sagte Nölken. „Sie ist vor allem auch in ihrer Methodik Maßstab und Vorbild für Richterinnen und Richter in ganz Deutschland.“
Nölken rief den Freistaat Thüringen und seine betroffenen Behörden und Schulen auf, die Gerichtsentscheidung zu befolgen.
Thüringer Ministerium erhebt Zweifel
In einer am 11. April veröffentlichen Stellungnahme hatte das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport erklärt, dass die Weimarer Entscheidung „gravierende verfahrensrechtliche Zweifel“ aufwerfe. Die Zuständigkeit des Familiengerichts in Sorgerechtsverfahren beschränke sich auf die Fragen des Sorgerechts. Die Überprüfung von Infektionsschutzmaßnahmen oder Rechtsverordnungen der Landesregierung hingegen obliege den Verwaltungsgerichten.
Das Ministerium sah insoweit keine Auswirkungen auf die Infektionsmaßnahmen, die für die Thüringer Schulen insgesamt angeordnet wurden. „Wie jede gerichtliche Entscheidung könne auch dieser Beschluss rechtliche Wirkungen allein für die am Verfahren Beteiligten entfalten.“ Vorliegend seien das zwei Schüler.
Dass das Bildungsministerium in Erfurt ankündigte, gegen die Entscheidung vor das Oberlandesgericht Jena ziehen zu wollen, sieht das Netzwerk Kritischer Richter und Staatsanwälte (KRiStA) gelassen. Bei sorgfältiger Prüfung der Rechtslage werde der Staatsregierung aber auffallen, dass nach Paragraf 57 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) gar kein Rechtsmittel gegen eine einstweilige Anordnung des Familiengerichts gegeben sei.
„In einem Rechtsstaat muss man Gerichtsentscheidungen auch dann respektieren, wenn sie einem nicht gefallen. Das gilt auch für die Thüringer Staatsregierung“, so KRiStA-Sprecher Oliver Nölken.
Auszüge aus gerichtlicher Begründung
In der Weimarer Entscheidung heißt es bezogen auf die Datenerhebung aufgrund der Corona-Tests auf Seite 174:
Festzuhalten bleibt, dass der verwendete PCR-Test ebenso wie die Antigen-Schnelltests, wie gutachterlich nachgewiesen, prinzipiell nicht zur Feststellung einer Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 geeignet sind. Dazu kommen die beschriebenen und andere im Gutachten aufgeführte Fehlerquellen mit gravierenden Auswirkungen, so dass eine adäquate Feststellung des Infektionsgeschehens mit SARS-CoV-2 in Thüringen (und bundesweit) nicht ansatzweise vorhanden ist.
Ohnehin wird der Begriff der „Inzidenz“ vom Landesverordnungsgeber fehlgebraucht. Denn „Inzidenz“ meint eigentlich das Auftreten von Neuerkrankungen in einer (immer wieder getesteten und gegebenenfalls ärztlich untersuchten) definierten Personengruppe in einem definierten Zeitraum… Tatsächlich aber werden undefinierte Personengruppen in undefinierten Zeiträumen getestet, so dass es sich bei dem, was als „Inzidenz“ ausgegeben wird, lediglich um schlichte Melderaten handelt.
Zudem sei es verfassungswidrig, wenn bei Corona-Tests in Schulen weitere Personen Kenntnis von einem beispielsweise „positiven“ Testergebnis erhalten würden. Dies gelte entsprechend, wenn ähnliche Testbarrieren beim Zugang zum Einkaufen oder kulturellen Veranstaltungen errichtet werden.
Ein (regelmäßiger) Zwang zum anlasslosen Massentesten an Asymptomatischen, also Gesunden, für das schon die medizinische Indikation fehlt, könne nicht auferlegt werden, weil er außer Verhältnis zu dem Effekt steht, der damit erreicht werden könne, so das Gericht weiter. Gleichzeitig setzt der regelmäßige Zwang zum Test die Kinder psychisch unter Druck, weil so ihre Schulfähigkeit ständig auf den Prüfstand gestellt wird.
Ausgehend von Erhebungen in Österreich, wo in Grundschulen keine Masken getragen werden, aber dreimal pro Woche flächendeckend Schnelltests vorgenommen werden, ergebe sich nach den Darlegungen des Gutachters Professor Dr. Kuhbandner: „100.000 Grundschüler müssten eine Woche lang sämtliche Nebenwirkungen des Maskentragens in Kauf nehmen, um nur eine einzige Ansteckung pro Woche zu verhindern.“
Dieses Ergebnis nur als unverhältnismäßig zu bezeichnen, wäre eine völlig unzureichende Beschreibung“, entschied das Gericht.
Vielmehr zeige sich, dass der diesen Bereich regulierende Landesverordnungsgeber in eine Tatsachenferne geraten ist, die „historisch anmutende Ausmaße“ angenommen habe.
Mit der Anordnung solcher Maßnahmen werde das Wohl der Kinder gefährdet. Deshalb dürfen die Lehrkräfte diese nicht anordnen. Sie könnten sich dabei auch nicht auf die entsprechenden landesrechtlichen Verordnungen und die angeführte Allgemeinverfügung berufen, da diese schon „wegen ihrer Ungeeignetheit, die angestrebten Ziele zu erreichen, in jedem Fall aber wegen ihrer Unverhältnismäßigkeit gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen und damit verfassungswidrig und nichtig sind“. Zudem haben die Kinder einen Rechtsanspruch auf zugänglichen Schulunterricht.
Hier das Urteil zum Herunterladen.
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