Neues Überwachungsgesetz durch die Hintertür beschlossen – Staatstrojaner ab sofort erlaubt
Gegen heftige Kritik aus der Opposition hat die große Koalition das Gesetz zur Überwachung von Messenger-Diensten auf Smartphones durch den Bundestag beschlossen.
Die am Donnerstag verabschiedete Neuregelung sieht vor, dass die Kommunikation bei Diensten wie WhatsApp künftig vor der Verschlüsselung abgehört oder mitgelesen werden kann. Dazu dürfen Ermittler auf Grundlage eines richterlichen Beschlusses heimlich eine Schnüffelsoftware auf das Handy des Verdächtigen laden.
Weil die große Koalition die Neuregelung in einem anderen Gesetz „versteckte“, in dem es etwa um Fahrverbote geht, hat die breite Öffentlichkeit davon zunächst wenig mitbekommen.
Außerdem wird mit dem Gesetz die Online-Durchsuchung von Computern ausgeweitet, die bisher nur in begrenztem Umfang zur Terrorbekämpfung zulässig ist. Die Überwachung soll künftig etwa auch bei Mord und Totschlag, der Verbreitung von Kinderpornografie oder bei schweren Drogendelikten möglich sein.
Mehr Befugnisse gegen Verschlüsselungen
Anstatt der lange dominierenden Kommunikationsmittel wie Telefonieren oder das Verschicken einer SMS nutzen Straftäter inzwischen oft verschlüsselte Wege des Netzes. Da gibt es nach Auffassung der Bundesregierung noch rechtliche Lücken.
„Die Sicherheitsbehörden brauchen innerhalb und außerhalb des Internet nicht mehr, aber eben auch nicht weniger Befugnisse“, forderte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Und wegen der häufig stattfindenden Verschlüsselung gibt es auch technische Hürden.
Es geht um zwei Instrumente: Die Überwachung der unmittelbaren Telekommunikation, die so genannte Quellen-TKÜ. Das andere ist die Online-Durchsuchung, die den Ermittlern Zugriff auf ganze Computersysteme erlaubt.
Staatstrojaner gegen WhatsApp – bevor die Nachrichten verschlüsselt werden
Die wohl spektakulärste Neuregelung in dem Gesetz ist die Möglichkeit, Kommunikation über Messenger-Dienste wie WhatsApp überwachen zu können, bevor sie ver- oder nachdem sie entschlüsselt wurde. Dafür muss ein Trojaner installiert werden.
„Die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation darf auch in der Weise erfolgen, dass mit technischen Mitteln in von dem Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird, wenn dies notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung insbesondere in unverschlüsselter Form zu ermöglichen“, heißt es dazu im Gesetzestext.
Anbieter dürfen sich nicht weigern
Ausdrücklich ist in dem Gesetz geregelt, dass sich die Anbieter von Telekommunikationsdiensten nicht gegen eine angeordnete Überwachung sperren dürfen. Der Digitalverband Bitkom warnte vor „weitreichenden und unkalkulierbaren Folgen“ der Neuregelung. „Die Anbieter von Messaging- und anderen Kommunikationsdiensten betreiben einen enormen Aufwand, um ein Höchstmaß an Datensicherheit und Datenschutz für ihre Kunden herzustellen“, erklärte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.
„Die Bemühungen der Wirtschaft werden mit der Ausweitung des Einsatzes von Staatstrojanern konterkariert.“ Bei der beabsichtigten Ausweitung der Überwachung müssten technologische Sicherheitslücken und Schwachstellen genutzt oder geschaffen werden, die etwa auch von organisierten Cyberkriminellen genutzt werden könnten. Es sei daher fraglich, ob die geplante Überwachung von Messenger-Diensten „überhaupt zu einem Mehr an Sicherheit“ führe, erklärte Rohleder.
De Maizière forderte unterdessen in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ eine stärkere Kooperation der Internetkonzerne. „Es kann doch nicht sein, dass jedes kleine Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet ist, mit den Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten, das für Anbieter von Kommunikationsdiensten aber nicht gilt“, sagte er.
„Solche Anbieter müssen den Sicherheitsbehörden in dringenden Verdachtsfällen, etwa bei Terroristen, mitteilen, welcher Anschluss wann mit welchem anderen Anschluss in Kontakt stand.“ Dienste wie WhatsApp müssten denselben rechtlichen Verpflichtungen unterliegen wie klassische Telefonunternehmen.
Hacken durch den Staat ist erlaubt
Auch ohne Wissen des Betroffenen darf mit technischen Mitteln in ein von dem Betroffenen genutztes informationstechnisches System, etwa ein Computernetzwerk oder auch ein einzelnes Gerät, eingegriffen werden, wie es im Gesetzestext heißt.
Darunter fallen nicht nur Straftaten, mit denen der demokratische Rechtsstaat oder die Sicherheit gefährdet werden, sondern auch Geldfälschung oder die Verbreitung von Kinderpornografie.
De Maizière, Linke und Grüne
„Wir beobachten immer öfter, dass Kriminelle verschlüsselt kommunizieren. Für die Behörden wird es dadurch immer schwerer, auch schwerste Straftaten aufzuklären“, erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Der Bundestag habe nun endlich eine „Befugnislücke“ bei der Strafverfolgung geschlossen. „Verschlüsselung schützt zu Recht die Vertraulichkeit der Kommunikation. Verschlüsselung ist aber kein Freibrief für Verbrecher.“
Linkspartei und Grüne lehnten die Neuregelung als massiven Eingriff in die Bürgerrechte ab. Sei die Schnüffelsoftware einmal installiert, könne die Reichweite der Überwachung kaum kontrolliert werden.
Das Gesetz habe ein „Anwendungsfeld, das seinesgleichen sucht“, kritisierte der Linken-Politiker Jörn Wunderlich in der Bundestagsdebatte. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele prophezeite der Regierung ein Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht: „Dieses Gesetz darf so nicht durchkommen. Dieses Gesetz muss spätestens in Karlsruhe fallen.“
Außerdem beklagte die Opposition, dass die Regierung die weitreichenden Überwachungskompetenzen für die Behörden als Änderungsantrag in einem Gesetz zu „effektiveren und praxistauglicheren Strafverfahren“ zu verstecken versuche. „Wer die Grundrechte der Bevölkerung in einem solchen Maß angreift, sollte sich auch mindestens öffentlich dazu verhalten und eine gesellschaftliche Debatte zulassen“, sagte Linken-Fraktionsvize Jan Korte zu afp. (afp)
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Bericht: Bundesregierung plant Gesetz für Smartphone-Überwachung
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