Neue Schuldenfreiheit für den Staat: Was Bundestag und Bundesrat jetzt erlaubt haben

Deutschland verabschiedet ein Schuldenpaket von großer Tragweite. Neue Ausgaben in dreistelliger Milliardenhöhe hebeln zentrale Haushaltsregeln aus. Der Staat verschafft sich Spielräume, die das Land in eine Schuldenzukunft ohne klaren Kurs führen könnten.
Die Länder würden mit ihrem Ja zu den Steuerentlastungen auf Einnahmen verzichten. (Archivbild)
Heute hat der Bundesrat den Weg für schwindelerregende Kreditaufnahmen freigemacht.Foto: Demy Becker/dpa
Von 22. März 2025

Am Dienstag beschloss der Bundestag mit den Stimmen von Union, SPD und Grünen ein Schuldenpaket in astronomischer Höhe. Wie vorher erwartet, stimmte am Freitag auch der Bundesrat dem Schuldenpaket zu.

53 von 69 Stimmen stimmten der Neuverschuldung zu. Zu der Erreichung der Zweidrittelmehrheit hätten 46 Stimmen gereicht. Für die Grundgesetzänderung stimmten zwölf Länder, die übrigen Länder Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen enthielten sich.

Verteidigung künftig außerhalb der Schuldenbremse

Im Wesentlichen geht es um drei Bestandteile, aus denen das beschlossene Finanzpaket besteht. Zuerst sollen zukünftige Verteidigungsausgaben, die mehr als 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) übersteigen, nicht mehr von der bisher geltenden Schuldenregel erfasst werden. So sieht es der beschlossene Gesetzentwurf vor. Verteidigungsausgaben dürfen nun also über zusätzliche Kredite finanziert werden.

Aktuell würde 1 Prozent des BIP einem Wert von rund 44 Milliarden Euro entsprechen, wenn man das BIP vom letzten Jahr als Maßstab nimmt. Zum Vergleich: Das Budget des Verteidigungshaushaltes 2025 beträgt im Haushaltsplan 53,25 Milliarden Euro. Allerdings ist der Haushaltsplan aufgrund des Auseinanderbrechens der Ampel im November nicht mehr beschlossen worden. Mit der im Bundestag und Bundesrat beschlossenen Grundgesetzänderung könnten nach dem jetzt vorgelegten Haushaltsplan zusätzliche Schulden in Höhe von 9 Milliarden Euro gemacht werden.

NATO erhöht Druck auf Mitgliedsstaaten

Schon heute ist allerdings abzusehen, dass in den kommenden Jahren unter einer möglichen schwarz-roten Regierung die Verteidigungsausgaben ansteigen werden. Druck dafür gibt es von der NATO. Im Dezember letzten Jahres forderte der neue NATO-Generalsekretär Mark Rutte in einer Rede bei einer Veranstaltung von Carnegie Europe in Brüssel die Verbündeten auf, „auf eine Kriegsmentalität umzusteigen und unsere Rüstungsproduktion und -ausgaben anzukurbeln“.

Das von der NATO ausgegebene Ziel, 2 Prozent des BIP der Mitgliedstaaten in die Verteidigung zu investieren, ist inzwischen deutlich überholt. Das machte Rutte in seiner Rede deutlich. Wortwörtlich sagte er damals:

Wir werden mehr Zeit brauchen, um uns mit den Verbündeten über die genaue Höhe des neuen Niveaus abzustimmen. Es liegt aber deutlich über 2 Prozent. Um es ganz offen zu sagen: Wenn wir nur mehr und nicht besser ausgeben wollen, müssen wir mindestens 4 Prozent erreichen.“

Rutte betonte gleichzeitig, dass man die 4 Prozent durch Integration innovativer Technologien in die Verteidigung sowie gemeinsame Beschaffungen absenken könnte.

 Im Februar berichtete die „Tagesschau“ mit Berufung auf die „Deutsche Presse-Agentur“(dpa), dass die derzeit vorbereiteten Zielvorgaben der NATO im Bündnisschnitt jährliche Ausgaben von etwa 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erfordern würden. Die Richtigkeit dieser Angaben konnte durch die Redaktion nicht gegengeprüft werden, da die dpa sich auf Informationen von Bündnispartnern berief.

Nehmen wir nur 3 Prozent als Verteidigungsausgaben an und legen das BIP von 4,44 Billionen Euro aus dem letzten Jahr zugrunde, würden die Ausgaben langfristig auf 132 Milliarden ansteigen müssen. Die schwarz-rote Koalition könnte damit bis 88 Milliarden Euro über zusätzliche Kredite bezahlen.

Die Grünen hatten noch auf den letzten Metern in das von Union und SPD vorgelegte Gesetz durchgesetzt, dass auch der Zivil- und Bevölkerungsschutz, die Cyberabwehr, die Nachrichtendienste und die Hilfen für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten, wie beispielsweise, die Ukraine, unter die Regeln der Sicherheitsausgaben fallen.

Eine noch weitere Fassung des Verteidigungsbegriffs beziehungsweise die Einberechnung weiterer Haushaltsposten könnte den Spielraum noch mal vergrößern“, sagt Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) gegenüber dem „Handelsblatt“.

Hentze hat berechnet, dass durch die neue Definition der Spielraum allein in diesem Jahr nun von neun auf 22 Milliarden steigt. Die zukünftige Bundesregierung könnte also in diesem Jahr zusätzliche Kredite über 13 Milliarden Euro aufnehmen. Diese wären nicht durch die Schuldenbremse gedeckelt.

Wofür eine neue Bundesregierung den Spielraum nutzt, ist offen und ihr überlassen: Zwischen Mütterrente und Steuersenkungen ist alles drin“, sagt Hentze.

Halbe Billiarde für Infrastruktur und Klimaschutz

Neben den Verteidigungsausgaben ist nun auch der Weg für die Schaffung eines Sondervermögens in Höhe von 500 Milliarden Euro frei gemacht worden. „Der Bund kann ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 mit einem Volumen von bis zu 500 Milliarden Euro errichten“, heißt es dazu im entsprechenden Gesetzentwurf.

Das Sondervermögen soll über zwölf Jahre laufen. 100 Milliarden davon sollen für die Länder und Kommunen bereitgestellt werden, die daraus ihre Investition in die Infrastruktur bezahlen sollen. Auch hier haben die Grünen noch durchsetzen könne, dass das Geld aus diesem Schuldentopf nicht nur in die Infrastruktur, sondern auch in Klimaschutzinvestitionen fließen dürfen.

Bis zu 100 Milliarden Euro sollen aus diesem Topf auch in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) einen Extrahaushalt des Bundes zur Bewältigung der Klimakrise fließen können. Wofür das Geld dann ganz konkret ausgegeben werden soll, darüber entscheiden dann die Regierungsfraktionen im Bundestag.

Fest steht allerdings, dass das Sondervermögen ausschließlich für zusätzliche Investitionen genutzt werden darf. Hier haben sich ebenfalls die Grünen durchgesetzt. Damit wollte die voraussichtlich bald wieder in der Opposition befindliche Grünenfraktion sicherstellen, dass die neue Regierung nicht einfach Ausgaben, die bisher im Bundeshaushalt vorgesehen waren, in das Sondervermögen geschoben werden können, um sich so im regulären Haushaltsetat Spielraum für Wahlgeschenke verschaffen zu können.

„Zusätzlichkeit liegt vor, wenn im jeweiligen Haushaltsjahr eine angemessene Investitionsquote im Bundeshaushalt erreicht wird“, heißt es dazu im Gesetzentwurf. Das sei der Fall, wenn die Investitionen im Haushalt 10 Prozent ausmachen würden. Ob diese nun eingebaute Vorgabe am Ende den Spielraum einer neuen Bundesregierung einengt, kann man kritisch hinterfragen.

2024 lagen die Investitionsausgaben laut Jahresbericht der Bundesregierung ohne Sondereffekte bei knapp 57 Milliarden Euro. Das entspricht mit Blick auf den Gesamthaushalt einer Investitionsquote von 12 Prozent. Schaut man in die Finanzplanung der kommenden Jahre, so liegen die vorgesehenen Investitionen ohnehin über den 10 Prozent. Die neue Regierung hätte also einige Investitionsprojekte aus dem Haushalt in das Sondervermögen schieben sollen, weil die Investitionsquote damit nicht unter 10 Prozent rutschen würde.

Länder erhalten neue Verschuldungsmöglichkeiten

Bisher durften die Länder bedingt durch die im Grundgesetz festgelegte Schuldenbremse keine Schulden aufnehmen. Mit den heute beschlossenen Gesetzen erhalten sie jetzt wieder Kreditspielräume. Nun erlaubt ihnen die neue Regelung eine jährliche Neuverschuldung von 0,35 Prozent des BIP. Das war bisher nur dem Bund vorbehalten. In Zahlen ausgedrückt, entspricht das derzeit rund 15 Milliarden Euro.

Noch nicht geregelt ist im Moment, wie dieser Spielraum zukünftig zwischen den Ländern aufgeteilt werden soll. Das wird jetzt ein neues Gesetz in der neuen Legislaturperiode beschließen müssen.

Eines ist mit dem Blick auf das Gesamtpaket aber sicher: Deutschlands Spielraum für neue Schulden wird durch die drei beschlossenen Änderungen in eine schwindelerregende Höhe erweitert.

Gegenwärtig haben das Parlament und die Länderkammer der Regierung mit den Gesetzänderungen nur die Möglichkeit der Ausweitung der Schulden eröffnet. Wie hoch die Schulden am Ende anwachsen werden, das kann man im Moment nicht seriös vorhersagen. Das hängt am Ende sicherlich davon ab, wie schnell das Geld aus dem Sondervermögen abfließt und in welcher Höhe die Verteidigungsausgaben am Ende tatsächlich nach oben getrieben werden.

Nach zehn Jahren 1,7 Billionen Schulden?

Dem „Handelsblatt“ gegenüber sagt IW-Ökonom Hentze, dass er von einem Schuldenstand in zehn Jahren von nominell 1,7 Billionen Euro ausgehe. In seinen Überlegungen fließt die Annahme ein, dass das Infrastruktursondervermögen vollständig aufgebraucht wird, dauerhaft 3 Prozent Verteidigungsausgaben ausgegeben werden und die Länder ihren Schuldenspielraum ebenfalls vollständig ausnutzen.

Jens Hogrefe, Finanzwissenschaftler am IfW, kommt im „Handelsblatt“ auf eine ähnliche Dimension der Schuldenhöhe. „Über die kommenden Jahre ist nun gesamtstaatlich ein strukturelles Defizit von 3,5 bis 4 Prozent angelegt“, so der Ökonom. 2024 seien es etwa 2 Prozent gewesen. „Wie wir von dem Ast wieder herunterkommen, bleibt unklar.“ Im Zweifel seien die europäischen Schuldenregeln jetzt merklich bindender als die deutschen.



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