Neue Infrastruktur gesucht – jeder 10. Einwohner in Rech hat alles verloren

Die Ahr suchte sich in Rech ein neues Bett. 13 Häuser standen im Weg, jeder 10. Einwohner hat alles verloren. Alles. Epoch Times sprach am 27. Juli mit Dominik Gieler, dem Bürgermeister, über die Situation vor Ort.
Titelbild
Der Bürgermeister von Rech, Dominik Gieler, hofft, dass die Hilfsbereitschaft der Auswärtigen anhält.Foto: Matthias Kehrein
Von und 2. August 2021

Epoch Times: Guten Tag, Herr Gieler. Wir können hier wirklich sehen, dass Sie das Hochwasser sehr stark getroffen hat. Können Sie das kurz mal beschreiben aus Ihrer Sicht?

Dominik Gieler: Ja, wir haben insgesamt 13 Häuser, die seit dem Unwetter beziehungsweise seit der Katastrophe fehlen und sechs Häuser werden noch abgerissen. Wir sehen, dass die Ahr sich ein neues Flussbett gemacht hat. Bis vorgestern hatten wir hier einen riesigen Staudamm, den wir jetzt mit Baggern nach und nach abgelassen haben, sodass sich der Wasserpegel hier insgesamt um drei Meter wieder verringert hat.

Die Bundeswehr unterstützt uns mit einem Steg, der den Einwohnern ermöglicht, hier rüber zu gehen. Auf der anderen Seite der alten Nepomukbrücke befindet sich eine Panzerbrücke, die ebenfalls von der Bundeswehr aufgestellt worden ist, damit man überhaupt mit Fahrzeugen auf die andere Seite kommt. Der andere Ortsteil von Rech war insgesamt vier Tage abgeschnitten und nur über einen Feldweg erreichbar, der circa eine Länge von acht bis zehn Kilometer hat und in Richtung Ramersbach geht.

ET: Dieser See war praktische eine Folge des Hochwassers?

Gieler: Ja, wo wir uns jetzt befinden, war vorher ein Parkplatz, der ungefähr zwei Meter tiefer liegt. Das alte Stromhäuschen hier stand ursprünglich auch mal drei Meter höher. Dahinten sehen Sie einen weggespülten Tank, der sich ursprünglich in dem Gebäude hinter mir befand. Die ganzen Betonreste dahinten sind vermutlich Teile der weggeschwemmten Häuser.

Fünf Tage vor der Katastrophe hatten wir dort hinten auf einer Wiese noch einen sehr schönen Gottesdienst unter Nussbäumen. Davon ist jetzt nichts mehr da.

ET: Wie haben Sie das persönlich erlebt diesen Tag oder die Nacht?

Gieler: Ich war ganz normal auf der Arbeit. Um 15:30 Uhr ging die Sirene, das habe ich nur über WhatsApp mitbekommen. Als ich nach Hause gefahren bin, wussten wir, dass es Hochwasser geben wird. Wir sind eigentlich sehr hochwassererfahren und haben unsere normalen Vorkehrungen getroffen. Dann stieg das Wasser. Es stieg und stieg immer weiter an. Alle haben vorgesorgt, dass das eigene Hab und Gut nicht wegschwimmt – was nicht immer von Erfolg gekrönt war. Als man am Donnerstagmorgen dann aufwachte, sah man, was los war. Die ersten Hilfskräfte kamen erst am Freitagmorgen.

ET: Wir haben gehört, dass Sie persönlich von der Katastrophe betroffen sind?

Gieler: Ja, meine Mutter wird derzeit noch vermisst. Dort drüben stand ihr Haus, meine Mutter war im Dachgeschoss. Wir hatten noch über WhatsApp Kontakt, der allerdings um Viertel vor 12 zu Ende gegangen ist. Am nächsten Morgen war ihr Haus eingestürzt und weggeschwemmt.

ET: Vor Ihnen steht jetzt eine riesige Aufgabe? Was packen Sie als Erstes an?

Gieler: Zunächst einmal müssen wir schauen, dass wir das Bach- und das Flussbett wieder in die richtige Reihe bekommen. Wir müssen die Verbindungen wieder herstellen. Und vor allen Dingen brauchen wir funktionierende Strom-, Wasser- und Abwasserleitungen.

Hier fahren jetzt die Autos zwar wieder, aber das hat insgesamt vier Tage gedauert, weil hier ein sieben Meter tiefer Krater war. Die Abwasserrohre waren freigespült und letzten Endes auch weggeschwemmt worden; wir reden von großen KG-Rohren (Kanalgrundrohre], die einen Durchmesser von 1,50 Meter haben!

Mittlerweile haben wir wieder provisorisch Strom, aber noch kein Frischwasser. Vom THW werden wir mit Wasser versorgt. Wir haben kein Telefon, das Mobilfunknetz war lange weggebrochen. Seit vorgestern haben wir wieder ein stabiles Mobilfunknetz durch einen Mast, der provisorisch auf dem Berg installiert worden ist. An infrastrukturellen Sachen müssen wir arbeiten.

ET: Wie kann man die Situation mit Orten wie Ahrweiler und besispielsweise Dernau vergleichen?

Gieler: In Dernau waren mehr Keller durchspült und dort waren auch mehr Personen betroffen. Dernau ist größer und liegt auch tiefer. Dort sind mehr Häuser vollgelaufen. Bei uns sind 40 Prozent des Dorfes gar nicht betroffen, bis auf den Umstand, dass sie keinen Strom und kein Wasser haben. Ansonsten sind ihre Keller trocken.

Hier bei uns in Rech haben zehn Prozent der Bevölkerung alles verloren –  also wirklich alles! Der Rest der Einwohner hat wie in Dernau die Keller und das Erdgeschoss voll und muss entsprechend ausräumen.

ET: Was passiert mit den zehn Prozent, die alles verloren haben?

Gieler: Das ist die große Frage. Ein Teil lebt momentan zu Hause provisorisch. Wir haben jetzt Duschen für die Leute aufgestellt. Viele sind abgereist und bei Verwandten und Bekannten untergekommen. Im Grunde genommen, gehen viele wieder in den Rohbau zurück und versuchen, das wieder aufzubauen.

Was die Elementarversicherung angeht: Zehn beziehungsweise zwanzig Prozent der Leute haben nur eine Elementarversicherung gehabt; entweder weil sie nicht daran gedacht haben, dass sie vom Hochwasser betroffen sein könnten oder weil sie so nahe an der Ahr gewohnt haben, dass die Elementarversicherung wegen des Risikos ausgeschlossen wurde. Und alle, die jetzt sagen: „Warum haben sie denn so nah an der Ahr gebaut? Das muss man doch vorher wissen!“ müssen wissen, dass viele Gebäude Bestandshäuser sind, die 1910 gebaut wurden. Sie sind über Generationen vererbt worden. Seitdem war das einfach so.

ET: Wann war das letzte Hochwasser?

Gieler: Ich hab gehört, dass 1910 dieses riesige Hochwasser war. Unser größtes Hochwasser, was man nachvollziehen kann, war eigentlich 2016. Da hatten wir einen Pegelstand von 3,70 Meter. Bei dem aktuellen Hochwasser letzter Woche hatten wir nach meiner Kenntnis einen Pegelstand von acht Metern.

ET: Was macht das mit den Leuten?

Gieler: Die Leute sind jetzt alle noch beschäftigt. Wir arbeiten jetzt schon mit Kriseninterventionsteams, mit Psychologen, die sich der Leute annehmen oder ihre Bereitschaft oder Kontaktdaten hinterlassen. Wie weit das Nachfolgen haben wird, das muss man abwarten. Aber man darf es nicht unterschätzen; auch die Helfer sind massiv belastet. Die Leute, die hierher kommen und in den Medien davon gehört haben, sagen immer wieder: „So schlimm, wie es hier ist, haben wir uns das nicht vorgestellt.“

Meine große Sorge ist, dass das die große Helferflut, die wirklich absolut seinesgleichen sucht, vielleicht in zwei oder drei Wochen abklingt, wenn es vielleicht auch in den Medien nicht mehr so kommuniziert wird. Dann müssen wir in zwei oder drei Wochen schauen, wie es weitergeht.

Momentan haben wir genug Hilfsgüter. Wir sind bestens ausgestattet mit Essen, Trinken, mit Bautrocknern, mit allem Drum und Dran; beispielsweise Stromaggregaten, das haben wir alles im Überfluss; teilweise schon so viel, dass wir gar nicht mehr wissen, wohin damit.

Was wir tatsächlich auf lange Sicht brauchen, sind Baumaschinen, Bagger und Leute, die mit Geräten herkommen und wieder eine Infrastruktur schaffen.

ET: Normalerweise dauert es Jahre, um eine Straße oder Brücken zu bauen.

Gieler: Nach meinem Kenntnisstand hat die Bundesregierung sozusagen Bundesbaustellen ruhend gestellt und alles hier in die Richtung gezogen. Das habe ich gehört. Ob sich das bewahrheitet, weiß ich nicht; ich kann auch nicht sagen, ob das so stimmt.

Die Bundeswehr leistet einen erstklassigen Job. Wir bekommen wahrscheinlich morgen eine neue Brücke. Wir sind aktuell dabei, 300 Meter aufwärts Brückenwiderlager zu bauen, damit man dort wieder mit einem normalen Pkw fahren kann. Auf der aufgebauten Panzerschnelllegebrücke können normale Pkw aufgrund der Bauhöhe nicht langfahren. Ein VW Tiguan geht darüber, aber ein normaler Golf hat schon Schwierigkeiten aufgrund der Bodenfreiheit.

ET: Was meinen Sie, wie lange dauert es, bis wieder alles „normal“ ist?

Gieler: Wir sind jetzt seit mehreren Tagen mit Großmaschinen im Einsatz. Hier hat sich viel bewegt. Allerdings rechne ich nicht damit, dass das in den nächsten drei oder vier Monaten erledigt sein wird; selbst wenn es so weitergeht, wie es bisher läuft. Das wird uns wahrscheinlich über Jahre beschäftigen.

Ich hoffe, dass die Helfer lange, am besten über Monate ihren Helferwillen beibehalten. Vielleicht kann man sich abstimmen und dann organisieren, dass immer mal wieder jemand herkommt und sein Arbeitsgerät zur Verfügung stellt.

Derzeit kommen die Helfer aus Privatinitiative. Wir haben auch Bauunternehmer und Mittelständler, die uns tatkräftig unterstützen wollen. Sie schicken die Leute und Maschinen, die sie abziehen können, zu uns. Das funktioniert aktuell super. Wir sind hier bestens organisiert. Allerdings stellt sich die Frage, wie lange das noch anhält.

ET: Gibt es hier eine zentrale Anlaufstelle oder sollen die Helfer einfach herkommen?

Gieler: Momentan habe ich immer noch das Gefühl, dass die Orte sich eigenständig organisieren. Wenn Sie nach Rech kommen wollen, sind Sie herzlich eingeladen. Allerdings müssen wir vorher zumindest Rücksprache nehmen. Meine Kontaktdaten sind im Internet. Wie andere Ortschaften das organisieren, kann ich momentan nicht sagen.

ET: Haben Sie schon Gelder vom Bund oder vom Land bekommen, das sie weitergeben können?

Gieler: Bund und Land haben mir bisher noch keine Gelder zugesichert, die Finanzierung von den ganzen Baumaßnahmen ist derzeit noch offen. Wir haben schon diverse Spenden erhalten und versuchen natürlich diese Gelder den Leuten zukommen zu lassen, die dann alles verloren haben oder die das Erdgeschoss oder die Garage verloren haben. Letzen Endes müssen Kommune, auch Land und Bund dann finanziell schauen, wie die Straßen wiederhergestellt werden.

An die Spielplätze ist aktuell gar nicht mehr zu denken. Sie sind weg. Bei unserem Gemeinschaftshaus ist der Boden vom Erdgeschoss 1,50 Meter angehoben. Sie können quasi jetzt vom Flur, von dem Sie früher in den Raum gegangen sind, in den Keller gucken, der voll mit Schlamm und Matsch ist.

ET: Es gab Berichte über Spenden, die angeboten, aber abgelehnt wurden, weil sie der Querdenkerszene zugeordnet wurden. Was ist da dran?

Gieler: Uns wurde Geld aus einem Moneypool von einem Herrn Schiffmann angeboten, der wohl der Querdenker-Szene zuzuordnen ist. Allerdings haben wir uns dagegen entschieden, weil wir befürchten, dass uns andere Spenden dadurch wegbrechen würden.

Anm.d.Red.: Die Mutter von Herrn Gieler wurde inzwischen gefunden, ist aber nicht mehr am Leben. Wir bedauern das sehr.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe KW29



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