Neckartailfingen: Rentner (74) und Flüchtlingshelfer muss nach 24 Jahren Miete Asylbewerbern weichen
Selbstgebauter Schwedenofen, selbst gefliestes Bad und verlegte Böden, angepflanzter Garten mit kleinem Pavillon, zum Fußballgucken und selbstgebauter Grill: Seit 24 Jahren lebt Klaus Roth (74) in der Wohnung im Alten Schulhaus in Neckartailfingen, rund 30 Kilometer südlich von Stuttgart.
Doch damit ist nun Schluss.
Hilfe, die Flüchtlinge kommen
In die Wohnung der Gemeinde Neckartailfingen sollen nun zehn Asylbewerber einziehen. Die Kündigung wurde mit „Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben“ begründet.
Die Gemeinde sei nach dem „Gesetz über die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen“ vom Landratsamt Esslingen verpflichtet worden, im Jahr 2019 weitere mindestens 6 Asylbewerber aufzunehmen, hieß es in der Kündigung zudem. Auch für 2020 ist die weitere Aufnahme von vier Personen angedacht.
„Mein Herz hängt hier“
1995 zog er ein, damals noch verheiratet, drei schulpflichtige Kinder. Gegenüber der „Bild“ erklärte der Rentner:
Ich habe hier meine Kinder großgezogen, mit ihnen gelacht. Geweint, als meine Ehe zerbrach. Und mit meiner Partnerin ein neues Leben aufgebaut. Mein Herz hängt hier.“
(Klaus Roth, 74)
Aktuell zahlen Klaus Roth und seine jetzige Lebensgefährtin (73) 500 Euro Miete für die Wohnung im denkmalgeschützten Fachwerkhaus. 1.100 Euro Rente bezieht der ehemalige Grafiker.
Gemeindewohl vor Bürgerwohl
Bürgermeister Gerhard Gertischtke (53) hat es sich nicht leicht gemacht mit der Entscheidung. Auch er steht unter Druck, muss die Migranten in seiner knapp 3.700-Einwohner-Gemeinde irgendwie unterbringen, Befehl von oben, gewissermaßen. Gegenüber der „Bild“ sagte der Bürgermeister:
Wir sind verpflichtet, die Flüchtlinge aufzunehmen. 55 Flüchtlinge leben bereits bei uns. Wir haben lange darüber diskutiert und dann im Gemeinderat diese Lösung beschlossen.“
(Bürgermeister Gertischtke)
So müsse man weder die Sporthalle noch die von den Vereinen genutzte Kelter belegen.
„Wir sind unter Druck und müssen weitere Flüchtlinge aufnehmen. Es gibt keine Möglichkeit mehr zu sagen, dass wir sie nicht unterbringen“, bedauert der Bürgermeister gegenüber der „Nürtinger Zeitung“.
Flüchtlingshilfe am eigenen Leib erfahren
Klaus Roth und seine Lebensgefährtin müssen nun Abschied nehmen von ihrer 149-Quadratmeter-Wohnung mit sechs Zimmern. „Ich habe in die Wohnung viel Geld und Arbeit reingesteckt. Ich habe sie in Eigenleistung von Grund auf renoviert“, so Roth zur „Nürtinger Zeitung“.
Wie die Zeitung berichtet, war der Senior beim Arbeitskreis Asyl drei Jahre aktiv, als die Migrantenströme 2015 nach Deutschland drängten. Das Blatt sieht es als „Ironie des Schicksals“, dass Klaus Roth nun sein eigenes Zuhause räumen muss, um Platz für die Asylbewerber zu machen.
Die Gemeinde will die beiden Senioren auch nicht auf der Straße sitzen lassen. Ihnen wurde eine 78 Quadratmeter große Wohnung in Aussicht gestellt, ebenfalls für 500 Euro. Die zu geringe Miete in der großen Wohnung hatte das Rechnungsprüfungsamt ohnehin schon angemahnt. Die Kündigungsfrist beträgt zwölf Monate, bis Ende Oktober.
Klaus Roth beklagt, dass er seine Möbel gar nicht auf der kleineren Fläche unterbringen könne und die „Wahnsinnsarbeit“ eines Umzugs. Zwei Bandscheiben-Operationen hat er hinter sich. Doch auch hier will die Gemeinde helfen: Der Bauhof soll beim Umzug unterstützen. (sm)
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