Nazi-Vergleich: Heilpraktikerverband erschüttert über „Framing“

Felix Klein hält Heilpraktiker für „anschlussfähig“ an antisemitische Narrative, unter anderem weil das Heilpraktikergesetz seit 1939 existiert. Der Dachverband wehrt sich in einem offenen Brief und fordert Klein zum Gespräch auf. Noch immer gelten insgesamt 31 Gesetze aus den Jahren 1933 bis 1945, darunter auch Steuergesetze.
Wissenschaftssenatorin und Hochschulleitung müssten handeln, findet der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 15. Februar 2024

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Deutschlands Heilpraktiker und Homöopathen sehen sich anhaltender Kritik seitens der Politik ausgesetzt. So hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Homöopathie in der Vergangenheit mehrfach angeprangert. Sie habe „in einer wissenschaftsbasierten Gesundheitspolitik keinen Platz“, erklärte der Minister. Daher will der SPD-Politiker die Kosten dafür aus dem Leistungskatalog gesetzlicher Krankenkassen streichen.

Klein: Eine Anführerin des „Reichstagssturms“ ist Heilpraktikerin

Aktuell ist es der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, der diese Berufsgruppe in die „rechte Ecke“ rückt. Gegenüber dem „Schwäbischen Tagblatt“ (hinter einer Bezahlschranke) sagte er jüngst in einem Interview, dass das Heilpraktikergesetz von 1939 immer noch in Kraft sei.

„Die Nazis waren Menschen, die der sogenannten Schulmedizin sehr kritisch gegenüberstanden. Die galt ihnen als ,verjudet‘. Sie wollten Homöopathie und Heilpraktiker als neue, der Naziideologie nahe, Berufe privilegieren. Diese Absicht liegt dem Heilpraktikergesetz zugrunde.“ Nach Kleins Ansicht wäre es gut, „wenn dieser Berufsstand die problematische Genese dieses Gesetzes aufnähme, um dann die eigene Vergangenheit kritisch zu reflektieren“.

Ob er glaube, dass es eine „Anschlussfähigkeit von antisemitischen Narrativen“ gebe, weil auch viele „Corona-Leugner Zweifel an der Schulmedizin haben“, fragt das „Schwäbische Tagblatt“. Klein bejaht das: „Es ist anschlussfähig. Ich möchte niemandem, der den Beruf des Heilpraktikers ausübt, so etwas unterstellen. Trotzdem muss man sehen: Eine der Hauptverantwortlichen, die damals den sogenannten Sturm auf den Reichstag angeführt hat, war eine Heilpraktikerin.“

Die Journalistin Aya Velázquez legt in einer detaillierten Recherche allerdings nahe, dass es sich bei dem Vorfall um eine Inszenierung gehandelt hat. Dazu gibt es eine 90-minütige Dokumentation auf YouTube oder Odysee.

Die Passage über den Reichstagssturm hat der Dachverband Deutscher Heilpraktikerverbände (DDH) aus dem Artikel herauskopiert, auf seiner Internetseite veröffentlicht und angekündigt, sich das nicht „widerspruchslos gefallen“ zu lassen und daher gegen diese Äußerungen vorzugehen.

DDH: Äußerungen Kleins „schon sehr dreist“

In einem offenen Brief an Klein, der mit seiner Funktion als Antisemitismusbeauftragter dem Innenministerium unter Nancy Faeser (SPD) zugeordnet ist, zeigt sich die Sprecherin und Vizepräsidentin des Dachverbandes, die Heilpraktikerin Ursula Hilpert-Mühlig, „mehr als erschüttert“ über die Aussagen.

Dies gelte vor allem für die Einordnung ihres Berufsstandes in einen antisemitischen Kontext: „Sie bedienen hier das manipulative Muster des Framings, indem Sie Ereignisse, Themen und Personengruppen in einem Deutungsraster zusammenfügen, obendrein gekoppelt mit wertenden Aussagen, und implizieren damit Verbindungen, die Sie mit nichts belegen, außer Ihren Behauptungen – das ist schon sehr dreist“, schreibt sie an Klein.

Dieser stigmatisiere eine ganze Berufsgruppe und diskreditiere den Berufsstand. Sie kritisiert auch die historisch falsche Darstellung der Entstehung und Intention des Heilpraktikergesetzes durch den Antisemitismusbeauftragten.

Verband fordert von Klein Belege für seine Behauptungen

Für Kleins Behauptung, das Heilpraktikergesetz sollte „Homöopathie und Heilpraktiker als der Naziideologie nahe Berufe privilegieren“, verlangt der Verband einen Nachweis der Quelle, die das belege.

In allen zugänglichen Archiven zu dieser Thematik sei vermerkt, dass das Gesetz insbesondere auf Betreiben des Reichsärzteführers (seit 1936) Gerhard Wagner (1888–1939) entstanden sei. Dieser habe 1937 erklärt, die Duldung der Heilpraktiker sei mit dem Grundgedanken des Nationalsozialismus unvereinbar.

Nur der ärztliche Beruf könne die charakterliche Eignung zur Ausübung der Heilkunde gewährleisten. So, schreibt Ursula Hilpert-Mühlig, sei 1939 das Heilpraktikergesetz unter Wagners maßgeblichem Einfluss entstanden.

Sollte Klein das Gesetz in seiner Originalfassung gelesen haben, so hätte ihm auffallen müssen, dass es eine Existenz des Heilpraktikerstandes bestätige, der aber mittels dieses Gesetzes abgeschafft werden sollte. Diese habe mit einem Verbot, Schulen und Ausbildungsstätten zu betreiben, sowie die Ausübung des Berufes nur in „besonders begründeten Ausnahmefällen“ zu gewähren, erreicht werden sollen.

Nachzulesen sei dies unter anderem in einem Rechtsgutachten zum Heilpraktikerrecht, das Prof. Christof Stock im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit verfasst hat. Dort steht auf Seite 27, dass Rudolf Heß (1894–1987), seit 1933 Stellvertreter Adolf Hitlers (1889–1945) in der Parteiführung der NSDAP, ein Anhänger der Homöopathie war. Nachdem er aber 1941 in britische Gefangenschaft geraten war, „verlor die Homöopathie in Rudolf Heß […] ihren mächtigsten Fürsprecher“.

Rechtsgutachten des Gesundheitsministeriums bestätigt DDH

Die Anmerkungen der Dachverbandssprecherin zur Abschaffung des Heilpraktikerstandes bestätigt Stock auf den Seiten 28 und 29. Dort heißt es unter anderem, dass jedem Eindruck einer staatlichen Anerkennung entgegengewirkt wurde.

Zur Begründung hieß es: „Aufgrund der nahezu unbeschränkten Kurierfreiheit habe es nicht ausbleiben können, dass sich ,auch fachlich unfähige und charakterlich minderwertige Personen auf diesem Gebiete betätigten und durch unzweckmäßige Behandlungsmethoden gesundheitlichen Schaden anrichteten‘.“

Derartige Formulierungen, schreibt Stock, insbesondere die Bezeichnung als „möglicherweise minderwertige Personen“, machten deutlich, dass Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker „durch das Gesetz keineswegs privilegiert, sondern eher unter Generalverdacht gestellt werden sollten“.

Nach dem Ende der Naziherrschaft, so Hilpert-Mühlig in ihrem Brief an Klein, seien alle Passagen, die nicht mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vereinbar waren, aus dem Gesetz genommen. In dieser Form habe es als Berufszulassungsgesetz – nicht als Berufsgesetz – weiterhin Bestand.

„Wir gehen davon aus, dass Ihnen der Unterschied geläufig ist. Denn das wäre eine Voraussetzung, damit Sie Ihren Umgang mit dem Heilpraktikergesetz kritisch reflektieren und sich mit seiner heutigen, mit dem Grundgesetz vereinbaren Form vertraut machen“, schreibt die Sprecherin.

Sehr gewagte Unterstellungen

Es sei auch „sehr gewagt“, Menschen, die etwa kritisch mit schulmedizinischen Ansichten umgehen, „auch gleich eine Anfälligkeit für antisemitisches Gedankengut zu unterstellen“, sagte sie. Als Beweis liefere Klein eine einzelne Heilpraktikerin, die den deutschen Reichstag stürmen wollte.

„Was bitte wollen Sie damit sagen?“, fragt Hilpert-Mühlig den Antisemitismusbeauftragten. „Heilpraktiker zweifeln an der Schulmedizin, sind damit auch gleich Corona-Leugner, was zu antisemitischem Gedankengut führt, das dann im Sturm einer einzelnen Heilpraktikerin auf den deutschen Reichstag mündet?“ Diese Äußerung bezeichnete sie, wie weiter oben bereits erwähnt, als Framing, die unbelegten Behauptungen als „sehr dreist“.

Klein sei von der Bundesregierung berufen worden in eine Position, „die eigentlich gegen Diffamierung und Verunglimpfung von Personen und Bevölkerungsgruppen gerichtet sein sollte. Stattdessen stigmatisieren Sie durch zum Teil sehr fragwürdige Aussagen eine ganze Berufsgruppe“, kritisiert die Sprecherin weiter.

Heilpraktiker sei keine Gesinnung, sondern eine Berufsbezeichnung. Der Beruf stelle „kein wie auch immer geartetes Milieu dar“, ebenso wenig wie Ärzte, Rechtsanwälte, Handwerker und andere, „die beispielsweise ebenfalls gegen die staatlich verhängten Einschnitte des sozialen Lebens während der Corona-Pandemie protestiert haben“.

Kritik an Kleins „unstrukturierten Verknüpfungen“

Aus Sicht des Dachverbandes sei es offensichtlich, dass Klein „gegenüber der Berufsgruppe Heilpraktiker eigene Ressentiments“ pflege. Mit seinen „unstrukturierten Verknüpfungen“ diskreditiere er diese. „Und das nicht zum ersten Mal“, betont Hilpert-Mühlig und erinnert an eine Bundespressekonferenz (24. November 2020, ab Minute 11:22), bei der Klein Heilpraktiker „anlässlich einer vom Grundgesetz gedeckten Demonstration gegen die Corona-Verordnungen in einen Kontext setzte mit Reichsbürgern und offen Rechtsextremen“.

Seinerzeit darauf angesprochen habe er behauptet, eine solche Wirkung nicht beabsichtigt zu haben. „Öffentlich korrigiert haben Sie Ihre Äußerung jedoch nicht“, sagt die Verbandsvize.

Der DDH halte aufgrund der nun getätigten Äußerungen „eine Klärung für dringend geboten, zumal das Diffamierungspotential“ der Äußerungen Kleins offensichtlich sei. Der Verband erwarte von dem Ministeriumsmitarbeiter „Vorschläge für einen zeitnahem [sic] Austausch“.

Steuergesetze stammen ebenfalls aus den 1930er-Jahren

Für das Heilpraktikergesetz gilt übrigens dasselbe wie für 30 weitere Gesetze: Sie alle stammen noch aus den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft (1933–1945). Dazu zählt etwa das Einkommensteuergesetz, wie die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages 2020 mitteilten. Die ursprüngliche Fassung stammt vom Oktober 1934. Erneuert wurde das Gesetz erst 2009.

Das Gewerbesteuergesetz stammt ebenfalls aus jener Zeit; es trat 1936 in Kraft. Eine Neufassung gibt es seit 2002. Das seit 1933 geltende Scheckgesetz wurde laut Wissenschaftlichem Dienst 2015 geändert. Dasselbe gilt für das Wechselgesetz.

Unverändert ist seit April 1933 das „Gesetz über den deutschen Sparkassen- und Giroverband“. Da heißt es etwa unter Paragraf 1: Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband in Berlin (Verband) wird in dem unter § 2 Satz 2 angegebenen Zeitpunkt eine öffentliche Körperschaft des Reichs. Und unter Paragraf 3: Der Verband steht unter Aufsicht der Reichsregierung.

Auch das „Gesetz über Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Betriebs von Bahnunternehmen des öffentlichen Verkehrs“ stammt von 1934 und wurde basierend auf den Angaben des Wissenschaftlichen Dienstes von 2020 im Jahr 2010 zuletzt geändert.

Ein wichtiger Feiertag geht ebenfalls auf die Herrschaft der Nationalsozialisten zurück. Der 1. Mai, der als „Tag der Arbeit“ begangen wird, ist in mehreren europäischen Ländern ein gesetzlicher Feiertag. In Deutschland seit dem 1. Mai 1933. Hierzulande rufen alljährlich Gewerkschaften zu Maikundgebungen auf. Für die SPD ist er „unser Tag der Solidarität“.



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