Nächtliche Ausgangssperre in Baden-Württemberg ab 11. Februar ausgesetzt
Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof hat die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen im Südwesten mit Wirkung ab Donnerstag aufgehoben.
In einem am Montag in Mannheim verkündeten unanfechtbaren Beschluss gaben die Richter dem Eilantrag einer Frau aus Tübingen statt. Dem Beschluss zufolge ist die bisher landesweit von 20:00 Uhr bis 5:00 Uhr geltende pauschale Ausgangssperre wegen der erheblich verbesserten Pandemielage nicht mehr angemessen. Zum letzten Mal findet sie in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag Anwendung.
Die Mannheimer Verwaltungsrichter wiesen die Argumentation der Landesregierung zurück, dass eine „verfrühte“ Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen die Gefahr eines erneuten exponentiellen Wachstums des Infektionsgeschehens berge.
Diese Darstellung sei zu pauschal und undifferenziert. So setze sie sich nicht damit auseinander, dass gezielte kommunale nächtliche Ausgangssperren in Kreisen mit einem starken Infektionsgeschehen möglich seien.
Was sagt die Landesregierung dazu?
Ein Sprecher der baden-württembergischen Landesregierung sagte, diese habe mit Auslaufen der derzeitigen Corona-Verordnung ab dem 15. Februar auch ein Ende der Ausgangssperre gewollt. Durch den Gerichtsbeschluss sei dies nun auf den 11. Februar vorgezogen. Die Landesregierung strebe nun eine Umwandlung in regionale Regelungen von Ausgangssperren an.
Vermutlich werde ein Erlass verfasst, nach dem Landkreise mit einer noch festzulegenden Sieben-Tage-Inzidenz Ausgangssperren verhängen sollen, sagte der Sprecher. Bevor solch ein Erlass erfolge, werde die Regierung nun aber zunächst den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs prüfen.
Der SPD-Rechtsexperte Boris Weirauch warf Landessozialminister Manfred Lucha (Grüne) vor, mit dem Festhalten an der Ausgangssperre einen Fehler gemacht zu haben. Lucha habe damit „zum wiederholten Mal“ auch das Vertrauen in die Corona-Politik der schwarz-grünen Landesregierung beschädigt. „Das ist Wasser auf den Mühlen der Populisten“, erklärte Weirauch.
Aus der Urteilsbegründung
In der Urteilsbegründung heißt es:
Der Antragsgegner sei für die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2, 3 IfSG begründungspflichtig. Den gesetzlichen Anforderungen für die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen habe der Antragsgegner zuletzt – anders als Ende Dezember und Mitte Januar, als Eilanträge gegen die nächtlichen Ausgangbeschränkungen erfolglos blieben – nicht mehr entsprochen. Der Anwendungsbereich des § 28a Abs. 3 Satz 10 IfSG sei derzeit eröffnet. Denn die landesweite 7-Tages-Inzidenz belaufe sich nach dem Stand vom 4. Februar, 16 Uhr in Baden-Württemberg auf 63,5. Der Antragsgegner habe deshalb derzeit nach wie vor „landesweit abgestimmte umfassende, auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben“, dabei aber darzulegen, dass der Verzicht auf Ausgangsbeschränkungen auch bei Berücksichtigung der übrigen Maßnahmen schwerwiegende Folgen für die wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 zur Folge hätte und dass gerade der Erlass von landesweit einheitlichen Regelungen erforderlich sei.
Daran fehle es angesichts des aktuellen Pandemiegeschehens:
Mitte Dezember 2020 sei in Baden-Württemberg auf damals bereits hohem Niveau wieder ein Anstieg der übermittelten Fallzahlen zu beobachten gewesen. Die 7-Tages-Inzidenz habe am 18. Dezember bei 199,1 und der R-Wert bei 1,04 gelegen. Es habe keine Land- und Stadtkreise mit Inzidenzwerten unter 100 gegeben, diese hätten vielmehr durchweg in den Bereichen zwischen 101 und 200 (25 Kreise) oder über 200 (19 Kreise) gelegen. Ab Weihnachten sei bis zum 20. Januar ein Abfall der Fallzahlen zu beobachten gewesen. Die 7-Tages-Inzidenz sei bis dahin auf 98,9 gesunken und der R-Wert habe bei 0,84 gelegen. Stadt- und Landkreise mit Inzidenzwerten über 200 habe es nicht mehr gegeben. Die diesbezüglichen Werte hätten aber gleichwohl noch auf einem landesweit ähnlichen und hohen Niveau gelegen, die sich entweder im Bereich von 51 bis 100 (25 Kreise) oder 101 bis 200 (18 Kreise) bewegt hätten. Lediglich ein Landkreis (Tübingen) habe – allerdings auch nur minimal (49,4) – unter dem Wert von 50 gelegen.
Das Pandemiegeschehen im Land habe sich seither in beachtlichem Umfang verändert. Die 7-Tages-Inzidenz sei weiter gesunken und liege nun bei 63,5. Der R-Wert bleibe mit 0,85 unter 1. Derzeit (Stand 4. Februar, 16 Uhr) wiesen nur noch 5 Kreise 7-Tages-Inzidenzen von mehr als 100 auf und auch diese bewegten sich eher am unteren Ende der Skala zwischen 101 und 150. 26 Kreise lägen im Bereich der Inzidenzen von 51 bis 100, 9 Kreise im Bereich von 36 bis 50 und 4 Kreise unter 35. Das Pandemiegeschehen stelle sich damit im Vergleich zu Mitte Dezember und auch im Vergleich zu dem Stand vor zwei Wochen im Januar bei insgesamt fallenden Zahlen als regional erheblich differenzierter dar. Die vom Landesgesundheitsamt dazu erstellte Übersichtskarte zeige dabei auch, dass die Kreise mit vergleichsweise niedrigen Werten inzwischen nicht etwa bloße „Inseln“, sondern teils zusammenhängende Regionen innerhalb des Landes bildeten.
Der Antragsgegner habe im Wesentlichen vorgetragen, eine „verfrühte“ Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen berge die Gefahr eines erneuten exponentiellen Wachstums. Dieses Vorbringen falle gemessen an den Anforderungen des § 28a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 IfSG zu pauschal und undifferenziert aus. Insbesondere setze sich der Antragsgegner nicht damit auseinander, dass Bürger, die in Kreisen mit besonders hohen Inzidenzzahlen wohnten, in denen dann beispielsweise nächtliche Ausgangsbeschränkungen nochmals gezielt durch kommunale (Allgemein-)Verfügungen angeordnet werden könnten, diese Kreise aufgrund der dann regionalen Regelung nicht verlassen dürften. Schon deshalb wäre bei etwaigen kommunalen Ausgangsbeschränkungen nicht mit massenhaften Ausweichtendenzen zu rechnen.
Der Beschluss vom 5. Februar 2021 ist unanfechtbar (Az. 1 S 321/21).
(afp/ks)
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