Nacht-und-Nebel-Aktion im Bundestag: Der §130 StGB

Die handstreichartige Neufassung des Volksverhetzung-Paragrafen weckt Bedenken. Kritiker befürchten einen Freibrief zur Kriminalisierung Andersdenkender.
Titelbild
Justitia.Foto: David Ebener/dpa/dpa
Von 5. November 2022

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

Am 20. Oktober hat der Bundestag zu fortgeschrittener Stunde eine Neufassung des Paragrafen 130 StGB beschlossen. Die Neuregelung erfolgte im Schnellverfahren – und nicht einmal im Zuge einer eigenständigen Gesetzesinitiative. Vielmehr erfolgte die Änderung des Paragrafen über die Volksverhetzung im sogenannten Omnibusverfahren. Kritiker sprechen von einem Verfahren, das dazu diene, „Kuckuckseier“ zu platzieren.

Alle Parteien außer Linke und AfD haben die Neuerung mit dem Bundeszentralregistergesetz als eigentlichem Hauptpunkt mitbeschlossen. Es gab zuvor lediglich eine 26-minütige Aussprache. Die Bundesregierung betont, es handele sich nur um eine „Klarstellung“ einer bereits bestehenden Rechtslage, die aufgrund eines Vertragsverletzungsverfahrens der EU erforderlich geworden sei. Kritiker wie Rechtsanwalt Gerhard Strate sprechen hingegen von einem „legalistischen Staatsstreich“.

Regierung bestreitet Ausweitung des Tatbestandes der Volksverhetzung

Kern der Neuregelung ist, dass auch die „öffentliche Billigung, Leugnung und gröbliche Verharmlosung“ von Völkerstraftaten explizit als Volksverhetzung gilt. Worum es sich dabei handelt, bestimmen die Paragrafen 6 bis 12 Völkerstrafgesetzbuch.

In den meisten Fällen nehmen diese Bestimmungen Bezug auf – nach dem humanitären Völkerrecht – zu schützende Personen. Die Definition dieses Begriffes bezieht sich teilweise auf die Genfer Abkommen und deren Zusatzprotokoll I vom 12. August 1949. Es ist fraglich, inwieweit sich die Neuregelung auf Tatbestände vor deren Inkrafttreten erstreckt.

Die Strafbarkeit der Tathandlung hängt von zwei Bedingungen ab. Zum einen muss diese geeignet sein, zu „Hass und Gewalt“ gegen eine durch das Gesetz geschützte Gruppe aufzustacheln. Das wäre entweder eine „nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe“ oder „Teile der Bevölkerung“. Zudem muss die Tathandlung geeignet sein, „den öffentlichen Frieden zu stören“.

Für Politiker potenziell gefährlicher als für Normalbürger

Kritiker der Neuregelung sehen in der Neufassung zumindest den Ausdruck eines Versuchs, das Narrativ von Regierung und Medien zum Krieg in der Ukraine zu schützen. Die Regierung der Ukraine und Teile der öffentlichen Meinung in westlichen Staaten rücken die seit Ende Februar laufende russische Militäroperation in die Nähe eines „Völkermords“. Zudem werfen sie russischen Streitkräften Kriegsverbrechen vor.

Zwar dürften Äußerungen einzelner Nutzer sozialer Medien die Bedingungen für eine Anwendung der Neufassung des § 130 StGB kaum erfüllen. Allerdings könnte für Personen, die sich kritisch über die offizielle Erzählung zum Ukrainekonflikt äußern, die Meinungsfreiheit umso dünner werden, je stärker sie in der Öffentlichkeit stehen.

So hatte beispielsweise der frühere ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, jüngst Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer für Übergriffe auf ukrainische Flüchtlinge mitverantwortlich gemacht.

Opferrolle als Sache des geschickten Verkaufs?

Der zuständige Berichterstatter der FDP-Bundestagsfraktion, Thorsten Lieb, bestreitet einen Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Allerdings bestätigt auch er, dass es „den Gerichten vorbehalten“ bleibe, inwieweit Äußerungen, die diesen bewaffneten Konflikt betreffen, Tatbestand sein könnten.

Genau das ist es jedoch, wovor die Gegner der Neuregelung warnen. Staatsanwälte und Richter würden demnach in Eigenregie entscheiden, welcher Tatbestand der „Leugnung“ als verfolgenswert erscheint und welcher nicht. Dies wiegt umso schwerer, als es eine Tendenz zu einer inflationären und propagandistischen Verwendung von Begriffen wie „Völkermord“ oder „Kriegsverbrechen“ gibt.

So behaupteten allein in den vergangenen Jahren unter anderem syrische Rebellen, Palästinenser, weiße Nationalisten oder hiesige Impfgegner, zum Ziel eines „Völkermordes“ oder gar „Holocausts“ geworden zu sein. Je nach ideologischem Standpunkt reicht die Bewertung dieser Darstellungen durch andere von „angemessen“ bis „absurd“.

„Toxische Mischung aus öffentlicher Meinung und persönlicher Auffassung“

Rechtsanwalt Strate spricht von einem „gefährlich schwammig“ formulierten Gesetz. Dies gilt umso mehr, als eine formale Aburteilung eines Kriegsverbrechens nach dem Völkerstrafgesetzbuch nicht Bedingung für eine Verurteilung ist: „Es obliegt somit einer toxischen Mischung aus öffentlicher Meinung und der persönlichen Auffassung von Staatsanwälten und Richtern, welches Kriegsverbrechen als erwiesen betrachtet und dessen ‚gröbliche Verharmlosung‘ somit unter Strafe gestellt werden sollte.“

Die Neufassung von § 130 StGB kollidiere nicht nur mit dem Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit, sondern auch mit der Freiheit der Wissenschaft.

Wie das Bundesverfassungsgericht auf die Neuregelung zur Volksverhetzung reagieren wird, ist noch offen. Dies gilt umso mehr, als sich die Bundesregierung auf Druck vonseiten der EU beruft. Allerdings gibt es ein interessantes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus dem Jahr 2015. Dieses könnte auch bezüglich der Anwendung des § 130 Absatz 5 StGB neu einen Rahmen abstecken.

Der EGMR urteilte damals, der türkische Linksnationalist Doğu Perinçek sei zu Unrecht in der Schweiz nach der Antirassismus-Norm verurteilt worden. Dieser hatte die in vielen europäischen Staaten offizielle Einordnung der gewaltsamen Umsiedlung von Armeniern im Osmanischen Reich des Ersten Weltkriegs als „Völkermord“ als „internationale Lüge“ bezeichnet. Gerichte in der Schweiz hatten ihn dafür verurteilt, weil aufgrund von Art. 261 bis Abs. 4 des schweizerischen StGB die „Leugnung eines Völkermords“ strafbar sei.

Die Große Kammer des EGMR gewichtete Perinçeks Recht auf Redefreiheit damals schwerer als die durch das Recht auf Achtung des Privatlebens geschützte Würde und Identität der armenischen Gemeinschaft.

Hintertür für „Notwendigkeit eines Präzedenzfalls“ bleibt offen

Der EGMR hat die Beurteilung, ob die Ereignisse aus dem Ersten Weltkrieg einen Genozid darstellten, in die Kompetenz eines „internationalen Strafgerichtshofs“ verwiesen. Zwar sei die Beurteilung der damaligen Ereignisse als „Genozid“ identitätsstiftend für die armenische Diaspora. Perinçeks Äußerungen seien jedoch nicht im Kontext eines Aufrufs zum Hass gegen die armenische Gemeinschaft erfolgt. Perinçek habe vielmehr historische „Imperialisten“ und deren Absichten angegriffen.

Um eine Strafbarkeit zu begründen, müsse „die Herabsetzung so massiv sein“, dass sie „einem direkten Angriff auf die Menschenwürde der betreffenden Gruppe oder einem Aufruf zum Hass gleichzusetzen“ sei. Im Falle der Holocaust-Leugnung sei diese Gleichsetzung in jedem Fall gegeben; im Falle der inkriminierten Äußerungen von Perinçek zum Armenier-Völkermord im gegebenen Kontext jedoch nicht.

Zudem seien die Umstände, in denen es zu den Aussagen gekommen sei, nicht geprägt gewesen von ethnischen Spannungen. Es habe demzufolge auch „keine Notwendigkeit gegeben, einen Präzedenzfall zu schaffen“.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 69, vom 4. November 2022.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion