Nach Wolfsgruß von Demiral: Diplomatische Verstimmungen zwischen Türkei und Deutschland

Der „Wolfsgruß“, den der zweifache Achtelfinal-Torschütze für die Türkei, Merih Demiral, nach seinem zweiten Treffer gegen Österreich gezeigt hatte, sorgt für Verstimmungen zwischen Berlin und Ankara. Die Türkei beharrt darauf, dass es sich um kein politisches, sondern ein kulturelles Symbol handele.
Wegen des Wolfsgruß-Jubel schaltet sich nun auch die UEFA ein.
Wegen des Wolfsgruß-Jubel schaltet sich nun auch die UEFA ein.Foto: Hendrik Schmidt/dpa
Von 4. Juli 2024

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Nach dem 2:1 der Türkei im Achtelfinale der Fußball-EM EURO 2024 am Dienstag, 2. Juli, in Leipzig beschäftigt ein Torjubel des zweifachen Torschützen Merih Demiral nach wie vor die Öffentlichkeit. Der Verteidiger, der bei Al-Ahli in Saudi-Arabien unter Vertrag steht, hatte dabei eine Geste gezeigt, die Beobachter als sogenannten Wolfsgruß deuteten. Die UEFA hat nun ein Verfahren wegen „unangemessenen Verhaltens“ eingeleitet.

Faeser spricht von „Symbol türkischer Rechtsextremisten“

Zwischen Berlin und Ankara hat die Angelegenheit bereits für diplomatische Verstimmungen gesorgt. Die Türkei hat am Mittwoch den deutschen Botschafter in Ankara einbestellt. Dies hat das Auswärtige Amt mittlerweile bestätigt. Am Donnerstag soll die Thematik auch in Deutschland mit dem türkischen Botschafter „thematisiert“ werden.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte zuvor die UEFA dazu aufgefordert, Sanktionen zu prüfen. Die „Symbole türkischer Rechtsextremisten“ hätten „in unseren Stadien nichts zu suchen“, schrieb die Politikerin auf X. Sie selbst hatte in der Vergangenheit mit politischen Botschaften in Stadien weniger Probleme: Während der Fußball-WM in Katar zeigte sie sich mit Regenbogen-Armbinde auf der Tribüne.

Das türkische Außenministerium hat die UEFA für die Einleitung der Untersuchung kritisiert. In einer schriftlichen Erklärung vom Mittwoch betonte das Ministerium, die Untersuchung gegen Demiral sei nicht akzeptabel – ebenso wenig die Reaktion der deutschen Innenministerin. Der „Graue Wolf“, den der Wolfsgruß symbolisieren soll, sei ein „historisches und kulturelles Symbol“, das sich gegen niemanden richte.

Wolfsgruß und „Grauer Wolf“ als Bezüge auf nationale türkische Mythologie

Der Führer der türkischen Partei MHP, Devlet Bahçeli, nannte die Untersuchung der UEFA „voreingenommen und falsch“. Der Wolfsgruß, den „unser Sohn Merih“ entboten hatte, sei „die Botschaft der türkischen Nation an die Welt, dass unsere Bemühungen auf dem Feld nicht umsonst“ gewesen seien.

Der „Graue Wolf“ oder „Bozkurt“ ist ein bedeutendes Symbol im türkischen Identitätsverständnis. Er geht auf einen Entstehungsmythos über die türkische Nation zurück. Der Ergenekon-Legende zufolge hat die Wölfin Asena die Köktürken – einen der ersten türkischen Stämme – aus einem unzugänglichen Tal herausgeführt.

In dieses hätten die Köktürken sich angesichts militärischer Bedrohungen im damaligen Zentralasien zurückgezogen und dort zu neuer Stärke gefunden. Aus den Köktürken sollen in weiterer Folge auch die weiteren türkischen Völker entstanden sein.

Nationalistische Idealistenbewegung

Es ist unbestritten, dass der „Graue Wolf“ politisch von der nationalistischen sogenannten Idealistenbewegung (Ülkücüler) vereinnahmt und der entsprechende Gruß verwendet wird.

Während die Vereinigungen der Idealistenbewegung in Deutschland vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft werden, sind sie in der Türkei einflussreiche Kräfte in der Politik. Die älteste ihr zuzurechnende Partei, die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), ist Teil des Regierungsbündnisses von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Gleiches gilt für die weniger bedeutende Partei der Großen Einheit (BBP), die im Vergleich zur MHP deutlich religiöser geprägt ist.

Der Opposition zuzurechnen ist hingegen die „Gute Partei“ (IYI), die von der früheren MHP-Politikerin Meral Akşener gegründet worden war. Im Wahlkampf hatte auch der langjährige CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu, der aus der alevitischen Gemeinschaft stammt, den Wolfsgruß gezeigt. Wie das türkische Außenministerium unterstreicht, erkennt unterdessen auch der Verfassungsschutz an, dass nicht jeder, der den Wolfsgruß verwende, automatisch ein Rechtsextremist sei.

Demiral weist Vorwürfe politischer Botschaften zurück

Demiral selbst weist unterdessen den Vorwurf, mit dem Wolfsgruß eine „versteckte Botschaft“ bezweckt zu haben, zurück. Die Art und Weise, wie er gefeiert hatte, habe „etwas mit meiner türkischen Identität zu tun“. Viele Fans im Stadion hätten die Geste auch gemacht:

„Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein und das ist der Sinn dieser Geste. Ich wollte einfach nur demonstrieren, wie sehr ich mich freue und wie stolz ich bin.“

Auch auf X postete Demiral ein Bild von sich mit dem Gruß und dem Spruch „Wie glücklich ist, wer sich als Türke bezeichnen kann“. Dieser Ausspruch von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk ist Teil einer Eidesformel, die Schüler in der Türkei bis 2013 jeden Morgen – gemeinsam mit dem Absingen der Nationalhymne – vor Unterrichtsbeginn aufsagen mussten.

Angehörige von Minderheiten und von marginalisierten Gruppen in der Türkei sahen den Schwur jedoch ebenso wie die Symbole der Idealistenbewegung als Ausdruck von Gleichmacherei und Assimilation.

Kein Verbot der „Grauen Wölfe“ in Deutschland

Eren Güvercin von der Alhambra-Gesellschaft erklärte gegenüber „WELT TV“, türkische Nationalisten und Rechtsextremisten wollten die Verwendung des „Bozkurt“-Grußes „bagatellisieren“. Gerade Demiral sei bereits in der Vergangenheit wiederholt durch die Verwendung nationalistischer Symbole auf und im Umfeld des Spielfelds in Erscheinung getreten. Güvercin ist sich sicher:

„Da geht es nicht um Nationalstolz oder das Grüßen der Fans – hier sollen eindeutig Symbole der türkischen Rechtsextremen gezeigt werden.“

Dass es in Deutschland weder ein Verbot der Grauen Wölfe wie in Frankreich noch eines ihrer Symbole wie in Österreich gebe, erklärt sich Güvercin mit politischen Rücksichtnahmen. Man wolle den türkischen Präsidenten Erdoğan nicht ohne Not brüskieren, da man ein großes Interesse am Erhalt des Flüchtlingsabkommens mit Ankara habe.

Es bestehe jedoch Handlungsbedarf, weil es in Deutschland auch viele türkeistämmige Menschen aus Minderheiten gebe, die von Ultranationalisten bedroht würden. Laut Verfassungsschutz sind 12.000 Personen in Deutschland der türkischen Idealistenbewegung beziehungsweise den „Grauen Wölfen“ zuzuordnen.

Meinungsunterschied in der türkischen Community

Der in Duisburg ansässige Fernsehjournalist bei „Kanal Avrupa“, Ali Osman Yayla, versteht demgegenüber die Aufregung nicht. Er macht auf Facebook deutlich, dass es sich beim „Bozkurt“-Gruß – insbesondere, wenn er nicht in einem politischen Kontext gezeigt wird – mitnichten um ein politisches, schon gar nicht um ein rechtsextremistisches Symbol handele. Vielmehr sei der „Graue Wolf“ Teil der türkischen Folklore:

„Bozkurt, oder auf Deutsch ‚Grauer Wolf‘, ist kein rechtsextremistisches Symbol. Der Bozkurt (Graue Wolf) ist das Symboltier der Türken, ähnlich wie der Adler der Deutschen, der Hahn der Franzosen oder der Bär der Russen. Darüber hinaus steht der Graue Wolf für Mut, Freiheit und die Geschichte der türkischen Völker.“

Kritischer sieht die Angelegenheit Muhammed M. Yüksel aus Köln. Der Forschungsassistent im Bereich der Glaubenslehre in der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş“ (IGMG) äußert in dem gleichen Netzwerk:

„Ein wildes Tier kann nicht mein Symbol sein. Ich bin türkisch geboren, aber ich prahle nicht mit meinem Türkentum – ganz einfach, weil Prahlen mit meiner Ethnizität gegen meinen islamischen Glauben verstößt.“

In einem anderen Beitrag hatte Yüksel einen Tag zuvor bereits die Ausschreitungen gegen syrische Flüchtlinge in der Türkei kritisiert. Er warnte davor, dass eine weltweite Renaissance von Rassismus und Nationalismus auch für Türken und Muslime im Ausland eine Gefahr sei:

„Ich denke, dass diejenigen, die es schaffen, weltweit Mensch zu sein, gegen die Krankheit des Rassismus kämpfen sollten.“

Bereits 2019 hatte die UEFA gegen den türkischen Verband TFF eine Geldstrafe in Höhe von 50.000 Euro verhängt; 13 Spieler – darunter auch Demiral – wurden verwarnt. Anlass war damals ein militärischer Gruß türkischer Nationalspieler, der in den Torjubel eingebaut wurde. Damit wollten die türkischen Spieler die Armee grüßen, die damals im Norden Syriens gegen PKK-nahe kurdische Rebellen vorging.

Der Albaner Mirlind Daku wurde von der UEFA wegen „Botschaften nicht-sportlicher Natur“ nach dem Vorrundenspiel gegen Kroatien für zwei Spiele gesperrt. Mit diesen habe er „den Fußball in Verruf gebracht“. Daku soll nach dem Spiel zusammen mit albanischen Fans nationalistische Gesänge angestimmt haben.



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