Nach Urteil aus Karlsruhe wackeln auch die Haushalte von fünf Bundesländern
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November hat die Umwidmung der Bundesregierung von Corona- in Klimaschulden für verfassungswidrig erklärt. Jetzt gerät nicht nur die Ampelkoalition in akute Haushaltsnot. Auch einige Bundesländer könnten massive Probleme bekommen, weil sie zu ähnlichen Tricks gegriffen haben wie der Bund. Wie das „Handelsblatt“ berichtet, sind aktuell neben Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen auch das Saarland sowie Schleswig-Holstein betroffen.
Ökonom: Sondervermögen verletzen das Grundgesetz
Der Ökonom Friedrich Heinemann vom Wirtschaftsinstitut ZEW sagt, der Blick müsse daher jetzt auch nach Berlin, Bremen, Düsseldorf, Kiel und Saarbrücken gehen: „Auch in diesen Ländern wurden milliardenschwere Sondervermögen aus der Taufe gehoben, die eindeutig das Grundgesetz verletzen. Auch wenn sich noch kein Kläger gefunden hat, ist das ein unhaltbarer Zustand“, kritisiert Heinemann.
Thiess Büttner, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats beim Stabilitätsrat, dem Aufsichtsgremium der Haushalte von Bund und Ländern, konstatiert: „Das Urteil hat erhebliche Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen von Bund und Ländern.“ Dass das Urteil der Karlsruher Richter sich auch auf die Länder auswirkt, hatten auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) eingeräumt.
Berlin: Klimawandel Grund für zehn Milliarden Sonderkredit
Erstes Beispiel Berlin: In der Bundeshauptstadt gab es bei den Koalitionsverhandlungen eine große Überraschung. „Aus dem Nichts“, so das „Handelsblatt“, genehmigten sie sich einen Sonderkredit von satten zehn Milliarden Euro. Das Geld, so lautete die Begründung, solle für die Bekämpfung der Folgen des Klimawandels verwendet werden.
Daher sorgt das Karlsruher Urteil auch in Berlin für Aufsehen. Die Landesregierung wolle das Urteil „sorgfältig daraufhin analysieren, welche Auswirkungen es auf die Ausgestaltung des Sondervermögens in Berlin haben könnte“, erklärte eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Finanzen.
Es könne aber „nicht unmittelbar auf die Regelungen im Land Berlin übertragen werden“. So habe das Land Berlin – im Gegensatz zum Bund – keine alten Kreditermächtigungen für neue Zwecke umgewidmet. Außerdem begründe Berlin die Sonderkredite nicht allein mit dem Klimawandel, sondern auch mit dem Ukraine-Krieg, betonte die Sprecherin.
Das Bundesverfassungsgericht verlangt in seinem Urteil jedoch eine klare Begründung, worin genau eine Notlage besteht. Die Richter fordern zudem, dass die Politik konkret darlegen muss, wofür die Sonderkredite verwendet werden sollen. Wofür genau Berlin das Geld ausgeben will, steht aber bislang nicht fest.
NRW: Ukraine-Krieg Grund für fünf Milliarden Sondervermögen
Nordrhein-Westfalen (NRW) wollte ursprünglich – wie der Bund auch – nicht ausgegebene Milliarden aus dem landeseigenen Corona-Rettungsschirm umwidmen. Nachdem der Landesrechnungshof ein verfassungswidriges Vorgehen moniert hatte, ließ die schwarz-grüne Landesregierung die Idee in letzter Minute fallen. Stattdessen schuf sie ein Sondervermögen von fünf Milliarden Euro.
Die Regierung in Düsseldorf weist nun Parallelen mit dem verfassungswidrigen Vorgehen des Bundes weit von sich. Man habe das Sondervermögen ausschließlich dafür geschaffen, um die Folgen des Ukraine-Kriegs zu finanzieren. Aus Sicht der Regierung sei der klare Sachzusammenhang gegeben, den die Karlsruher Richter in ihrem Urteil anmahnten.
Jede einzelne Entnahme sei zudem vom Landesparlament beschlossen und jeweils begründet worden. Zudem laufe das Sondervermögen Ende des Jahres aus. Das Geld werde also im Jahr der Notlage ausgegeben, so wie es das Bundesverfassungsgericht gefordert habe.
CDU sieht Verfassungsbruch und klagt
„Etwas geschickter“ mit seiner Begründung sei NRW laut Ökonom Heinemann gewesen. „Aber dort geht es auch nach dem Thema Ukraine in der Begründung rasch in Richtung Energietransformation“, zitiert ihn das „Handelsblatt“.
Die Fraktionen von SPD und FDP sehen in dem Manöver einen „Verfassungsbruch mit Ansage“. Daher haben sie gemeinsam Klage beim NRW-Verfassungsgerichtshof in Münster eingereicht. Wann das Gericht sein Urteil verkündet, ist noch nicht bekannt.
Saarland: Drei Milliarden Euro für Transformation
Bei der Entwicklung, auch auf Landesebene neue Nebenhaushalte zu schaffen, war das Saarland laut „Handelsblatt“ Vorreiter. Der dortige Finanzminister Jakob von Weizsäcker (SPD) war schon als Chefökonom von Olaf Scholz im Finanzministerium kein Freund der Schuldenbremse. Bereits damals suchte er nach Möglichkeiten, wie der Staat trotz der strengen Auflagen der in der Verfassung verankerten Schuldenregel mehr investieren kann.
Als er im Jahr 2022 Finanzminister im Saarland wurde, schuf er ein neues, drei Milliarden Euro schweres Sondervermögen für Transformation. Mit jüngst geglückten Ansiedlungen wie etwa dem US-Halbleiterhersteller Wolfspeed sieht sich die Landesregierung in ihrer Strategie bestätigt. So wolle sie das Geld aus dem Sondertopf gerade auch für solche Ansiedlungen nutzen.
Finanzminister sieht keine Gefahr durch Urteil
Von Weizsäcker sieht keine Gefahr für das saarländische Sondervermögen durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Schließlich habe man keine Mittel aus dem Corona-Sondervermögen nachträglich umgewidmet. Zudem habe die Landesregierung ihren Transformationsfonds vorab ausführlich begutachten lassen.
Ökonom Heinemann ist da jedoch anderer Meinung. Das Argument, dass ohne schuldenfinanzierte Gegenmaßnahmen eine mittel- und langfristige Abwärtsspirale im Saarland drohe, könne als Begründung für eine Notlage im Sinne der Schuldenbremse aufgrund des hochgradig spekulativen Charakters nicht überzeugen. „Es wäre rechtsstaatlich ein Unding, wenn das Saarland mit diesem Grundgesetzverstoß einfach weitermacht“, so Heinemann. Anders als in NRW hat die CDU-Fraktion in der Opposition noch keine Klage gegen das Vorgehen eingereicht.
Drei Milliarden Euro im Kampf gegen drei Bremer Krisen
Der rot-grün-rote Bremer Senat stellte Anfang des Jahres 2023 bis drei Milliarden Euro zur Bekämpfung der Klima- und Energiekrise sowie für die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft im kleinsten Bundesland der Republik bereit. Die Regierungsparteien begründeten ihre Entscheidung mit einer Notsituation, hervorgerufen durch Ukraine-Krieg, Klima- und Energiekrise. Mit den drei Milliarden Euro, die bis 2027 über Kredite bereitgestellt werden sollen, will Bremen diese Krisen bekämpfen. Dafür nutzt der Senat die Regeln der Schuldenbremse, die im Fall einer außergewöhnlichen Notsituation erlauben, Kredite aufzunehmen. Doch nach dem Urteil stellt sich die Frage, ob dies rechtens war.
CDU klagt vor Staatsgerichtshof gegen Nachtragshaushalt
Die Oppositionsfraktion CDU sieht sich in ihrer Kritik bestätigt. Sie hatte im August 2023 eine Klage gegen den jüngsten Nachtragshaushalt des Senats beim Staatsgerichtshof eingereicht. „Haushaltstricks wie das Ansparen von Krediten aus einem Krisenjahr für Folgejahre oder die Finanzierung nicht krisenbedingter Ausgaben aus Notkrediten sind verfassungswidrig“, sagt Jens Eckhoff, Mitglied der CDU-Bürgschaftsfraktion.
Björn Fecker (Grüne), seines Zeichens Bremer Finanzsenator, sagte, seriös bewerten ließen sich die möglicherweise aus dem Verfassungsgerichtsurteil resultierenden Folgen über den Bund hinaus erst nach einer sorgfältigen Auswertung der Urteilsbegründung. „Dies nimmt wegen der Komplexität und des unterschiedlichen Vorgehens etwas Zeit in Anspruch“, so Fecker.
Landesrechnungshof: Verbotenes Vorgehen in Schleswig-Holstein gängige Praxis
Schleswig-Holstein ist vom Urteil des Bundes ebenfalls mittelbar betroffen. Im Zuge der Corona-Pandemie hatte der Landtag 2020 einen Corona-Notkredit über bis zu 5,5 Milliarden Euro bewilligt. Später reduzierte sie diesen. Des Weiteren beschloss das Parlament einen weiten Ukraine-Notkredit über insgesamt 1,4 Milliarden Euro.
Die Präsidentin des Landesrechnungshofs, Gaby Schäfer, sagte, das Urteil habe auch weitreichende Konsequenzen für Schleswig-Holstein. „Notkredite dürfen danach nicht auf Vorrat aufgenommen werden und über mehrere Jahre in Rücklagen und Sondervermögen geparkt werden.“ Dies sei im Norden bislang aber gängige Praxis.
Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) sagte, sie werde sich die Fragestellungen, die sich aus dem Urteil für ihr Land ergeben, anschauen. Es sei wichtig, zu sehen, wie Schleswig-Holstein auch künftig unter Berücksichtigung des Urteils die zahlreichen Krisen bewältigen könne.
Baden-Württemberg: Finanzminister will Reform der Schuldenbremse
„Genau studieren“ will Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) das Urteil der Karlsruher Richter. Eine Konsequenz müsse der Rechtsspruch auf jeden Fall haben. Bayaz fordert eine Reform der Schuldenbremse. „Wir haben einen enormen Investitionsbedarf, wir müssen angesichts hoher Inflation Bürger und Unternehmen entlasten und wir müssen gleichzeitig in den nächsten Jahren die Coronaschulden nach und nach tilgen.“
Karlsruhe lege den Finger in die Wunde. „Der Versuch des Bundesfinanzministers, die Quadratur dieses Kreises mit Tricksereien und Schattenhaushalten hinzubekommen, ist gescheitert.“
Mit Blick auf die Schuldenbremse regt er „ein Update für unsere Verschuldungsregeln“ an. Bayaz schwebt eine Investitionsregel vor. Damit könnten Ausgaben für Investitionen von der Schuldenregel ausgenommen werden. Schattenhaushalte könnten so verhindert und notwendige Investitionen aus dem Kernhaushalt ermöglicht werden, ohne dass Konsumausgaben weiter stark stiegen.
Der Grünen-Politiker wies allerdings auch darauf hin, dass für eine solche Reform eine Änderung des Grundgesetzes nötig sei. Dafür brauche es wiederum eine Zweidrittelmehrheit. „Deshalb halte ich eine Föderalismuskommission aus Bund und Ländern für sinnvoll, die zusammen mit Experten die Schuldenbremse evaluiert und Reformoptionen erarbeitet.“
Staatsgerichtshof kassierte 2021 hessisches Sondervermögen
Dass Sondervermögen von Ländern von den Gerichten einkassiert werden können, hat Hessen bereits 2021 erfahren müssen. Dort kippte der hessische Staatsgerichtshof im Oktober jenes Jahres ein zwölf Milliarden Euro schweres Corona-Sondervermögen, berichtete Epoch Times seinerzeit.
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